Kinderbetreuung in München:Warum so wenige junge Flüchtlinge in Kitas gehen

Kinderbetreuung in München: Spielerisch die deutsche Sprache lernen beim Kikus-Projekt im Family House in der Bayerkaserne.

Spielerisch die deutsche Sprache lernen beim Kikus-Projekt im Family House in der Bayerkaserne.

(Foto: Stephan Rumpf)

Von Inga Rahmsdorf und Melanie Staudinger

Es sind nur Gerüchte, doch wie das mit Halbwahrheiten so ist: Sie verbreiten sich rasend schnell, vor allem in Tagesstätten, in denen Eltern aufeinander treffen, die alle nur das Beste für ihre Kinder wollen. Bis zu drei zusätzliche Mädchen und Jungen müsse die Kindergartengruppe künftig aufnehmen, wenn sich Flüchtlingskinder anmelden, sagen die einen Eltern. Mehr Personal aber gebe es nicht. Das befürchten auch manche Erzieherinnen und Kinderpfleger, die jetzt schon über eine enorme Arbeitsbelastung klagen und nicht so genau wissen, wie sich traumatisierte Kinder in die Gruppen einfügen werden.

In der Diskussion über die Integration von Flüchtlingskindern in Kindertagesstätten gibt es viel Unsicherheit. Wie genau es laufen wird, wenn Flüchtlingskinder Kitas besuchen, weiß niemand. Denn momentan gibt es kaum welche. An 45 Flüchtlingskinder habe die Elternberatungsstelle der Stadt bisher Plätze vermittelt, teilt das Bildungsreferat mit.

Die Zahl ist gering, wenn man bedenkt, dass München für Kinder bis sechs Jahre gut 62 000 Betreuungsplätze bietet. Allerdings sind nicht alle Asylbewerber bei der Stadt erfasst. Kinder, deren Eltern sich selbst einen Platz besorgt haben, tauchen in dieser Zahl nicht auf. Eine umfassende Statistik fehlt.

Keine Pflicht zum Kita-Besuch

Dass sich nur wenige Eltern in den Kitas anmelden, habe verschiedene Gründe, wie Susanne Herrmann, Leiterin der Abteilung Kita im Bildungsreferat, bei einer Pressekonferenz erklärte. Im Schulalter müssen Eltern ihre Kinder spätestens nach drei Monaten in einer Grund- oder Mittelschule anmelden, aber erst, wenn sie in einer Gemeinschaftsunterkunft leben. Im Gegensatz dazu existiere keine Pflicht, Tochter oder Sohn in eine Tagesstätte zu bringen. Der Besuch ist freiwillig, wenngleich auch Flüchtlingsfamilien einen Anspruch auf einen Betreuungsplatz haben, der vom ersten Geburtstag an gilt.

Doch Eltern und Kinder würden nach den Fluchterlebnissen eine Trennung oft nur schwer ertragen, sagt Herrmann. Ein weiterer Grund: Der unklare Aufenthaltsstatus erschwere die Entscheidung für eine Kita. Und vielen Eltern sei das Prinzip der Krippe unbekannt, weil Kinder unter drei Jahren in ihren Herkunftsländern nicht außer Haus betreut würden.

Feste Ansprechpartner für Flüchtlinge

Dabei ist das pädagogische Ziel klar. "Wir wollen, dass Kinder in Regeleinrichtungen integriert werden", lautet Herrmanns Ziel. Mit Gleichaltrigen lernen die Mädchen und Buben spielerisch Deutsch, Sprachförderung und das Vorschul-Kindergartenjahr unterstützen dabei. Die Kinder entkommen zumindest für ein paar Stunden der Tristesse der Gemeinschaftsunterkünfte und können von Fachleuten betreut werden, wenn ihnen etwas fehlt oder sie Defizite haben.

Das Bildungsreferat setzt vor allem auf eine Strategie, um die Familien zu locken: Aufklärung. "Es ist am sinnvollsten, wenn wir die Eltern mitnehmen, ihnen zeigen, was ein Kindergarten ist und was es bedeutet, wenn ihr Kind dort betreut wird", so Herrmann.

Drei Mitarbeiterinnen der Elternberatungsstelle seien deshalb extra als feste Ansprechpartnerinnen für Flüchtlingsfamilien und die Sozialdienste in den Gemeinschaftsunterkünften abgestellt. Bei Bedarf könnten diese einen Dolmetscher organisieren. Derzeit bereite man auch Kennenlern-Angebote in Kitas in der Nähe der Flüchtlingsheime vor. Generell sollen die Kinder in reguläre Gruppen kommen. Die Familien melden sich laut Bildungsreferat über das gleiche System an wie andere Eltern, den Kitafinder im Internet. Ein Sonderkontingent gebe es nicht.

Ein Platz für jedes Kind

Momentan könnte allen Flüchtlingskindern ein Platz angeboten werden, ohne dass sich dies negativ auf die Qualität der Betreuung der anderen Kinder auswirken würde, sagt eine Sprecherin des Bildungsreferats. Denn deren Zahl sei derzeit gering. Trotzdem will man vorbereitet sein: Großen Wert legt das Bildungsreferat nach eigenen Angaben auf die Fortbildungen der Erziehungskräfte. Das pädagogische Institut der Stadt biete spezielle Schulungen zu den Themen Flucht und Trauma an.

Begleitend zu den Regelangeboten in Schule, Kindergarten und Krippe braucht es aber dringend weitere Angebote in den Flüchtlingsunterkünften, fordert Andrea Betz, Leiterin der Abteilung für Flüchtlinge bei der Inneren Mission München. Dabei gehe es nicht darum, diese Projekte als Ersatz oder in Konkurrenz zu einem Besuch in einer Tagesstätte zu sehen. Oft bieten die Angebote in den Unterkünften aber eine sinnvolle Unterstützung, die gerne und unproblematisch angenommen werde. Zudem sei es auch wichtig, Schulkindern beispielsweise mit einer Hausaufgabenbetreuung zu helfen.

Familienzentrum in der Bayernkaserne

Die Innere Mission betreut 16 Unterkünfte für Flüchtlinge in München. Auf dem Gelände der Bayernkaserne, der Erstaufnahmeeinrichtung, betreibt der Wohlfahrtsverband das Family House, in dem vier Fachkräfte arbeiten. Sie bieten Kindern, Jugendlichen und ihren Eltern Deutschkurse und verschiedene andere Aktivitäten an. So ein Familienzentrum ist bisher jedoch eine Ausnahme.

In Bayern existiert keine einheitliche und flächendeckende Struktur für eine Unterstützung von Kindern und Jugendlichen in den Flüchtlingsunterkünften. Ob es Spielgruppen, Betreuung, Deutschunterricht für Kinder oder Sportangebote gibt, ist abhängig von Ehrenamtlichen, Initiativen oder den jeweiligen Wohlfahrtsverbänden, die in den Unterkünften für die Betreuung zuständig sind.

Gute Strukturen für unbegleitete Flüchtlinge

Fachleute aus der Flüchtlingsarbeit machen immer wieder darauf aufmerksam, dass die Bedürfnisse und Probleme von Kindern, die mit ihren Eltern fliehen, zu wenig Beachtung finden. Das Münchner Jugendamt arbeitet derzeit an Plänen, einen festen Betreuungsschlüssel für Fachpersonal zur Unterstützung von Kindern und Jugendlichen in den Unterkünften festzulegen.

Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge fänden in München recht gute Strukturen vor, sagte Markus Schön, kommissarischer Jugendamtsleiter. Nun müsse der Kinderschutz und die Versorgung von Familien verbessert werden. Die Arbeit in den Gemeinschaftsunterkünften soll dafür stärker professionalisiert werden. Das sieht zumindest ein Beschlussentwurf vor, über den der Stadtrat Anfang 2016 entscheiden wird.

Mit Fachpersonal könne man die Strukturen ausbauen und für Kinder Sport-, Musik- und Kulturangebote schaffen, sagt Betz von der Inneren Mission. Dabei sei es wichtig, die freiwilligen Helfer, die bereits viel leisten würden, einzubinden. Und schließlich gehe es auch darum, mit Einrichtungen wie Sportvereinen und Jugendfreizeitstätten in den jeweiligen Bezirken noch stärker zu kooperieren.

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