Betreuungsmisere in München:19 Bewerbungen, 19 Absagen

Die Suche nach einem Betreuungsplatz für Kinder ist für die Eltern oft der reinste Horror. Selbst ein Kindergartenplatz, für den es eigentlich einen Rechtsanspruch gibt, ist schwer zu bekommen. Vier Mütter aus München berichten über ihre verzweifelte Suche.

Tina Baier

Jedes Jahr im Frühjahr werden in München die Plätze für Kinderkrippen, Kindergärten, Tagesheime und Horte vergeben. Und jedes Jahr hagelt es Absagen, weil die Nachfrage viel größer ist als das Angebot. Besonders dramatisch ist die Situation bei den Krippen und bei der Nachmittagsbetreuung für Grundschulkinder. Doch auch ein Kindergartenplatz, für den es eigentlich einen Rechtsanspruch gibt, ist keine Selbstverständlichkeit in der Stadt. Vier Mütter in ganz unterschiedlichen Situationen berichten, was sie auf ihrer Suche erlebt haben.

Betreuungsmisere in München: Simone Schuster findet keinen Hortplatz für ihren Sohn Xaver.

Simone Schuster findet keinen Hortplatz für ihren Sohn Xaver.

(Foto: Catherina Hess)

Simone Schuster: "Ich habe mich richtig minderwertig gefühlt"

"Mein Sohn Xaver kommt im September in die Schule. Als ich mich beim Hort angemeldet habe, der zur Schule gehört, hieß es, ich müsste mir keine Sorgen machen: In meiner Situation bekäme ich bestimmt einen Platz. Aber jetzt hat es trotzdem nicht geklappt. Ich bin alleinerziehend und arbeite Vollzeit als Medizinische Fachangestellte. Meine Eltern wohnen an der Grenze zu Österreich, auch Xavers Vater wohnt nicht mehr in München. Xaver und ich sind alleine. Das zählt aber überhaupt nicht. Als Alleinerziehende bin ich auf derselben Dringlichkeitsstufe wie Familien, in denen beide Eltern berufstätig sind.

Mein Sohn ist jetzt von 8 Uhr morgens bis 17 Uhr im Kindergarten und das kriege ich gerade so hin. Aber die Schule endet ja schon mittags. Mein Arbeitgeber hat schon an die Schule geschrieben, dass mein Arbeitsplatz gefährdet ist, wenn ich keinen Hortplatz für Xaver bekomme, aber das hat bis jetzt auch nichts genützt. Ich habe mich auch bei der Elterninitiative angemeldet, wo Kinder aus der Schule nachmittags betreut werden - die haben Xaver abgelehnt. Sie haben gesagt, wenn er ein Mädchen wäre, würden sie ihn nehmen, weil sie offenbar gerade zu viele Jungen haben. Vor zwei Wochen hing der Platz noch aus. Xaver hat zwar so lange Haare, dass er notfalls als Mädchen durchgehen würde...

Man darf seinen Sinn für Humor nicht verlieren, aber ich frage mich schon oft, warum es uns so schwer gemacht wird. In der Schule habe ich noch den Rat bekommen, mich bei der Mittagsbetreuung anzumelden. Das nützt mir aber nichts, weil die um halb vier schließt. Eine Familie, deren Sohn einen Platz im Hort bekommen hat, wollte uns den Platz geben, weil der Bub jetzt auf eine Privatschule geht. Die Schule hat das aber abgelehnt. Sie müsse den freien Platz einem Kind geben, das ihn noch dringender brauche als wir.

Ich war auch auf dem Sozialamt. Die Sachbearbeiterin war ziemlich unfreundlich. Sie meinte, ich müsste dann halt aufhören zu arbeiten, ich wäre ja schließlich nicht die einzige, die einen Hortplatz sucht. Ich habe mich in diesem Moment richtig minderwertig gefühlt. Ich würde nicht wollen, dass Xaver sagen muss 'meine Mama ist arbeitslos'.

Außerdem ist es absurd: Als ich in Elternzeit war und mein Mann und ich uns getrennt haben, bin ich von den Ämtern darauf hingewiesen worden, dass ich verpflichtet bin, mir eine Arbeit zu suchen. Und jetzt wird mir zum Vorwurf gemacht, dass ich arbeite!

Die Schule hat mir empfohlen, mich an das Jugendamt zu wenden, weil es dort Kontingentplätze für dringende Fälle gibt. Dort habe ich aber die Auskunft bekommen, dass unser Fall nicht dringend genug ist. Die Kontingentfälle seien etwa für Kinder, deren Mutter Alkoholikerin ist und denen es deshalb nicht zugemutet werden kann, den ganzen Nachmittag bei der Mutter zu sein. Das Bildungsreferat kann mir auch nicht weiterhelfen. Momentan weiß ich wirklich nicht mehr weiter."

Iris Bronstein: "Die Unsicherheit ist eine große Zumutung"

Iris Bronstein: "Die Unsicherheit ist eine große Zumutung"

Betreuungsmisere in München: Iris Bronstein sucht einen Krippenplatz für ihr Baby im September.

Iris Bronstein sucht einen Krippenplatz für ihr Baby im September.

(Foto: Stephan Rumpf)

"Ich bin im vierten Monat schwanger und habe jetzt angefangen, einen Krippenplatz für September 2013 zu suchen. Ich wusste schon, dass es nicht einfach werden würde, aber dass die Lage so kritisch ist, hat mich doch überrascht. Ich wohne in Pasing und habe mich hier bei sämtlichen Kinderkrippen angemeldet.

Ich fand erschreckend, dass es in Pasing nur zwei städtische Einrichtungen gibt. Es gibt hier viele Neubauprojekte, das heißt, viele Familien ziehen nach Pasing. Die Stadt kann sich doch nicht einfach darauf verlassen, dass private Anbieter die Lücken schon irgendwie füllen werden! Mich hat das so verärgert, dass ich sogar einen Brief an Oberbürgermeister Christian Ude geschrieben habe.

Die Gespräche in den städtischen Krippen waren sehr angenehm. Ich hatte den Eindruck, dass man dort Verständnis für meine schwierige Lage hatte, schließlich bin ich Vollzeit berufstätig. Aber es ist doch eine Katastrophe, dass ich erst im nächsten Frühjahr eine Zu- oder Absage bekomme, wenn ich mich jetzt anmelde. Wenn man mit viel Glück einen Restplatz ergattert, erhält man die Zusage sogar erst im September des Folgejahres. Das ist natürlich viel zu spät.

Ich habe diese Unsicherheit als große Zumutung empfunden. Als berufstätige Mutter brauche ich bei der Planung der Elternzeit und des Elterngeldes Gewissheit, dass und wann ich einen Platz bekomme. Ich muss meinem Arbeitgeber ja auch eine sichere Auskunft darüber geben, wann ich wieder verfügbar bin. Wir haben auch keine Großeltern in München, die im Notfall einspringen könnten.

Insgesamt halte ich das System bei der Vergabe der Plätze für sehr unprofessionell. Das ist so einfach nicht mehr zeitgemäß. Ich habe jetzt das Angebot einer privaten Kinderkrippe angenommen, auch wenn das mit bis zu 850 Euro im Monat sehr viel teurer ist als eine städtische Einrichtung.

Mir war es aber wichtig, eine definitive Zusage zu bekommen, so dass ich weiter planen kann. Und diese Einrichtung konnte mir zusagen, dass ich im September 2013 einen Platz bekomme. Mein Fazit aus dieser Erfahrung ist, dass viele berufstätige Mütter auf unbestimmte Zeit zu Hause bleiben müssen, weil sie keinen Krippenplatz finden. Das kann doch nicht sein!"

Barbara Vorsamer: "Wir sind inzwischen nicht mehr wählerisch"

Betreuungsmisere in München: Barbara Vorsamer findet keinen Krippenplatz für ihre Tochter.

Barbara Vorsamer findet keinen Krippenplatz für ihre Tochter.

(Foto: Catherina Hess)

Barbara Vorsamer: "Wir sind inzwischen nicht mehr wählerisch"

"Meine Tochter Magdalena ist am Montag ein Jahr alt geworden, und ich hatte eigentlich gehofft, dass wir bis zu ihrem ersten Geburtstag einen Krippenplatz bekommen. Als ich schwanger war, haben wir uns bei 15 verschiedenen Krippen angemeldet, sowohl bei städtischen als auch bei privaten. Von den meisten habe ich jetzt Absagen für das ganze Jahr 2012 bekommen.

Ich fand schon die Anmeldung ziemlich nervenaufreibend. Ich habe ja gearbeitet, und bei den meisten Einrichtungen konnte man sich nur an einem einzigen Tag in der Woche zu einer ganz bestimmten Uhrzeit am Nachmittag anmelden. Ich musste also jedes Mal extra freinehmen.

Dann steht man da mit vielen anderen Müttern in der Schlange. Alle sind irgendwie gestresst: Die einen sind schwanger, die anderen haben kleine Kinder dabei. Wenn man endlich dran ist, geht es meistens nur darum, kurz zu unterschreiben. Eine Besichtigung wurde mir nur zweimal angeboten.

Wir sind inzwischen nicht mehr besonders wählerisch, was mich eigentlich stört, weil ich mir für meine Tochter natürlich die beste Krippe wünsche, die es gibt. Aber wir können froh sein, wenn wir überhaupt irgendwo einen Platz bekommen. Ich hoffe jetzt, dass wir im September doch noch Glück haben. Bis dahin hilft uns meine Mutter aus. Diese Woche geht es los. Ich arbeite drei Tage die Woche; in dieser Zeit wird sich meine Mutter um Magdalena kümmern.

Mein Freund arbeitet viel am Wochenende und kann sich dafür unter der Woche hin und wieder frei nehmen und meine Mutter entlasten. Diese Konstruktion ist für alle Beteiligten nicht ideal. Es ist ein ziemlicher Organisationsaufwand, weil wir alle drei permanent unsere Termine koordinieren müssen. Aber wir müssen beide wieder arbeiten, weil wir ja kein Elterngeld mehr bekommen - in München kommen wir sonst nicht über die Runden.

Erschwert hat die Situation, dass wir vor einem halben Jahr umgezogen sind, weil unsere alte Wohnung zu klein war. Das hatte zur Folge, dass die Kinderkrippen, bei denen ich mich in der Schwangerschaft angemeldet hatte, dann zu weit entfernt waren.

Bei der Stadt ist das ganz gut geregelt. Man kann den ursprünglichen Anmeldetermin behalten und sieben andere Einrichtungen angeben. Doch bei den privaten musste ich mich nach dem Umzug neu anmelden. Als ich da ankam, mit Magdalena im Kinderwagen, haben die meisten abgewunken. Eine Krippenleiterin hat mir klipp und klar gesagt, bei ihr würden sich die meisten in der zwölften Schwangerschaftswoche anmelden; mein Kind sei ja schon fünf Monate alt und das sei viel zu spät.

Ich kenne viele Familien, denen es ähnlich geht, weil es ja nicht so selten vorkommt, dass man sich nach der Geburt eine größere Wohnung sucht. Ich wusste schon, dass es schwierig wird, einen Krippenplatz zu finden, aber dass es gar nicht klappt, hat mich frustriert. Wenn ich meine Mutter nicht hätte, wäre ich jetzt ziemlich verzweifelt."

Anabel Schleunig: "19 Bewerbungen, 19 Absagen"

Betreuungsmisere in München: 19 Bewerbungen für einen Kindergartenplatz hat Anabel Schleuning abgeschickt - und 19 Absagen erhalten.

19 Bewerbungen für einen Kindergartenplatz hat Anabel Schleuning abgeschickt - und 19 Absagen erhalten.

(Foto: oh)

Anabel Schleunig: "19 Bewerbungen, 19 Absagen"

"Ich habe mich bei 15 städtischen und vier privaten Einrichtungen um einen Kindergartenplatz für meinen Sohn Milo beworben. In den vergangenen drei Wochen habe ich nur diese roten Briefe mit Absagen bekommen. Ich habe das überhaupt nicht erwartet, weil ich dachte, es gäbe einen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz! Auf den Zetteln stand, man solle sich unbedingt rückmelden, wenn weiterhin Bedarf besteht.

Ich habe also letzte Woche vor der Arbeit alle Einrichtungen noch einmal kontaktiert. Manche waren nett, aber viele waren sehr unfreundlich und haben mich sofort unterbrochen, kaum hatte ich gesagt, worum es ging. Das war sehr frustrierend, weil es für mich eine existenzielle Bedrohung ist, wenn ich keinen Platz für Milo bekomme. Ich bin alleinerziehend und noch in der Ausbildung.

Ich habe dann das Servicetelefon der Stadt München angerufen. Dort haben sie einen Überblick, wo es überhaupt noch freie Plätze gibt. Milo und ich wohnen in der Au, freie Plätze gab es noch in Langwied oder in Neuperlach. Wie soll das gehen? Einen Platz gab es noch in einem Kindergarten in Obergiesing. Ich habe sofort angerufen, aber es hat sich herausgestellt, dass der Platz schon seit zwei Wochen vergeben war.

Ich habe jetzt ein Schreiben aufgesetzt, das ich an alle Einrichtungen verschicken werde. Darin schildere ich meine Situation und erkläre, warum es so wichtig ist, dass wir einen Platz bekommen. Wenn ich mich so dabei sehe, wie ich für meinen Sohn und mich eine Art Bewerbungsschreiben verfasse, mit schöner Schrift und einem schönen Foto, dann habe ich schon das Gefühl, dass hier irgendwas falsch läuft.

Es ist schon verrückt, dass man für einen Dreieinhalbjährigen so eine Art Bewerbungsmarathon durchstehen muss. Ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn ich bis September keinen Platz bekomme. Ich müsste wohl mit dem Studium aussetzen. Meine Mutter ist zwar leidenschaftliche Oma, aber sie ist berufstätig. Ich würde das aber auch nicht wollen. Milo ist in der Kinderkrippe, das hat ihm sehr gut getan, aber jetzt ist es einfach an der Zeit, dass er in den Kindergarten kommt. Er will das auch selbst.

Neulich stand ich mit diesen 15 roten Absagezetteln da und habe geflucht: 'Mist, wir haben keinen Kindergartenplatz.' Milo stand mit großen Augen daneben und hat gesagt: 'Ich will aber in den Kindergarten.' Ich habe ihn getröstet und gesagt: 'Wir werden schon was finden.' Ich hoffe, das stimmt. Wir haben längst davon Abstand genommen, dass Milo zusammen mit einem seiner Freunde in den Kindergarten kommt. Das wäre schön gewesen, aber das ist völlig utopisch. Hauptsache wir bekommen irgendeinen Platz."

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