Betongold statt Schwabinger 7:Kultkneipe tot: Charakter weg

Zu Tode veredelt: Die Schwabinger 7 muss noblen Luxuswohnungen weichen. Mit der Kneipe stirbt ein Stück Schwabing. Stadtsoziologe Detlev Sträter über die Bedeutung von Kultlokalen, die Folgen der Veredelung ganzer Viertel und Mitsprache bei der Stadtentwicklung.

Bernd Kastner

Der bevorstehende Abriss der Kneipe Schwabinger 7 lässt München über die Veredelung von immer mehr Stadtvierteln diskutieren. Detlev Sträter, Stadtsoziologe beim interdisziplinären Münchner IMU-Institut, beobachtet die Gentrifizierung schon lange und fordert eine Demokratisierung der Stadtentwicklung. Ein Gespräch über Kultkneipen und rücksichtslose Autofahrer, über Bürger, die ihren Politikern Feuer unterm Hintern machen, und über den Populismus eines Ministers.

'Schwabinger 7' - Gentrifizierungsstreit in München

In der Kneipe lernt man Leute aus dem Viertel kennen, "so entsteht eine zwanglose Vertrautheit mit der eigenen Umgebung, das ist wichtig für das gesamte Gefüge im Quartier", sagt Stadtsoziologe Detlev Sträter. Die Schwabinger 7 bot Gästen aus allen Münchner Vierteln eine vertraute Umgebung.

(Foto: dpa)

Warum hat sich die Debatte um Gentrifizierung ausgerechnet in Schwabing entzündet, das ja schon lange als schick und teuer gilt, und dann auch noch an einer Absturzkneipe wie der Schwabinger 7?

Es gibt bestimmte Viertel, die stehen für die ganze Stadt. Das ist in München natürlich die Altstadt mit ihren herausragenden Bauten. Aber eben auch Schwabing. Das verbindet man schon immer mit einem bestimmten sozialen und kulturellen Lebensgefühl. Dazu kommt, dass eine Stadt so etwas wie identitätsstiftende Netzknoten braucht, wie die Schwabinger 7 einer ist. Wenn die zerstört werden, verliert ein Viertel über kurz oder lang seinen Charakter. Und weil das in Altschwabing passiert, beschäftigt das ganz München.

In Untergiesing gab es vor zwei Jahren großen Ärger, als die "Burg Pilgersheim" schließen musste.

Genau, das ist auch so ein Beispiel. Wenn solche Identifikationsorte ausgelöscht werden durch Investorenprojekte, hat das Auswirkungen weit über die Kneipe hinaus. Das wirkt negativ auf das soziale Leben eines Quartiers, auf das Flair. Und genau wegen dieses Flairs zahlen Hinzuziehende so viel Geld für eine Wohnung. Die sind dann hinterher womöglich gar nicht mehr zufrieden, weil sie mit ihrer teuren Wohnung indirekt das zerstören, weshalb sie hergezogen sind.

Dass Kneipen auf- und zumachen, ist doch völlig normal.

Schon. Aber diese speziellen Orte der Kommunikation entstehen nicht von heute auf morgen. Sie wachsen über viele Jahre und sind Teil dessen, weshalb Menschen ihr Stadtquartier als Heimat verstehen. Wenn man diese Orte zerstört, macht man viele Menschen emotional heimatlos: Ihre Bindung zum Stadtquartier, ja womöglich zum Gemeinwesen München geht verloren.

Übertreiben Sie nicht ein bisschen?

Die Sozialkontakte in solchen Kneipen bewegen sich auf einer mittleren Ebene, irgendwo zwischen "völlig fremd" und "Freundschaft". Man lernt dort Leute aus dem Viertel kennen, und so entsteht eine zwanglose Vertrautheit mit der eigenen Umgebung, das ist wichtig für das gesamte Gefüge im Quartier.

Die Vorsitzende des Mietervereins, Beatrix Zurek, und Oberbürgermeister Christian Ude sagen: So schlimm sei der Abriss der Schwabinger 7 doch gar nicht, immerhin entstehen neue Wohnungen.

Selbstherrlicher Anspruch

Die Frage ist, ob es die Wohnungen sind, die München so dringend braucht, günstige nämlich. Dazu kommt, dass jede Veränderung auf die Umgebung ausstrahlt. Wenn wohlhabende Leute neu in ein Viertel ziehen, verkörpern sie auch einen bestimmten sozialen Status und erwarten vom neuen Wohnumfeld, dass es all das bietet, was ihrer Gehaltsklasse entspricht. Es verändern sich die Sozialkontakte. Ablesbar wird ein solcher Wandel, wenn die Eckkneipe zum schicken Café wird und der Damensalon zum Hair Studio, oder auch auf der Straße: Wenn die Fußwege immer öfter von dunklen Geländewagen zugeparkt sind, weil so mancher Zugezogene den öffentlichen Raum auf seine Weise beansprucht, mitunter recht selbstherrlich.

Betongold statt Schwabinger 7: Beobachtet das Phänomen der Gentrifizierung schon lange: Stadtsoziologe Detlev Sträter.

Beobachtet das Phänomen der Gentrifizierung schon lange: Stadtsoziologe Detlev Sträter.

(Foto: Stephan Rumpf)

Man könnte meinen, München ist voller rücksichtsloser Geländewagenfahrer und Entwurzelter, so vehement diskutiert die Stadt über Gentrifizierung.

Ich nenne das, was gerade passiert, gerne Veredelung. Der Prozess ist nicht neu, es gibt ihn schon seit zwanzig, dreißig Jahren. Früher war der Begriff Gentrifizierung nur in wissenschaftlichen Kreisen gebräuchlich, inzwischen ist es ein Modewort.

Wenn es das schon so lange gibt, was ist daran jetzt so besonders?

Früher war diese Entwicklung nicht dominant kapitalgetrieben, sondern eher durch die öffentliche Hand initiiert und gelenkt. Denken Sie an den ehemaligen Sozialen Wohnungsbau oder die Sanierung von Vierteln wie Haidhausen und das Westend. Vor Jahrzehnten haben dort noch vorwiegend die sogenannten vier A's gewohnt: Alte, Ausländer, Arme und Arbeitslose. Es war politisch gewollt, diese Viertel aufzuwerten. Und dann ist dieser Prozess ein Selbstläufer geworden, als man entdeckte, dass mit der Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen viel Geld zu machen ist.

Was sind heute die "Hot Spots" der Veredelung?

Nach dem klassischen ersten Ring um die Altstadt mit Vierteln wie Lehel, Max- oder Isarvorstadt ist längst der zweite Ring dran: Au, Untergiesing, Untersendling zum Beispiel. Und sogar im dritten Ring spürt man es schon, in Thalkirchen etwa: "Wohnen am Wasser", das zieht.

Sie nennen die Entwicklung "kapitalgetrieben". Was heißt das?

Seit der Finanzkrise wird wieder verstärkt in Immobilien investiert, weil die als sicher und wertbeständig gelten. Und innerhalb Deutschlands bietet sich natürlich an, Vermögensbestände in Form von "Betongold" in München mit seinen enorm hohen Miet- und Bodenpreisen anzulegen.

Aber ist es nicht zu begrüßen, wenn Geld in Wohnungen investiert wird?

Die hohe Miete ist sozusagen die Verzinsung des angelegten Kapitals. Aber das reicht vielen nicht mehr, sie wollen einen kurzfristigen Umschlag ihres Geldes, und deshalb werden Mietwohnungen in Eigentum umgewandelt und verkauft. So kann man noch schneller noch mehr Gewinn generieren. Aber so gehen auch dringend benötigte günstige Mietwohnungen verloren.

Innenstadtbewohner kriegen oft unaufgefordert Post von Leuten, die eine Immobilie kaufen wollen.

Genau. Ich wohne in Untersendling, und alle paar Wochen kriege ich Postwurfbriefe von Maklern oder Banken. Die suchen nach Häusern oder Wohnungen, um sie an Kunden zu vermitteln, die Geld anlegen wollen. Die Nachfrage nach Immobilien in München ist höher als das Angebot, das treibt den Preis. Es hängt maßgeblich von den Eigentümern ab, wie sie mit ihrer Immobilie und den Bewohnern umgehen, ob behutsam, oder ob sie das Maximum rausholen wollen. Unser Grundgesetz mahnt die Sozialpflichtigkeit des Eigentums an, nicht seine maximale Rendite.

Manchmal sind die Eigentümer aber auch gezwungen, teuer zu sanieren, für den Klimaschutz zum Beispiel.

Aber das ist ja gerade das Absurde: Mit einer nachhaltigen Energiepolitik werden indirekt Mieter vertrieben. Denn die müssen weitgehend die Kosten für energetische Sanierung tragen nach den derzeitigen Regelungen.

Feuer unterm Hintern

Demonstration für 'Schwabinger Sieben' in München, 2011

Bei einer Demonstration für den Erhalt der "Schwabinger 7" wurde die Kultkneipe von Anhängern der Bürgerinitiative "Rettet die Münchner Freiheit" symbolisch zu Grabe getragen.

(Foto: Robert Haas)

Die Gentrifizierungsdebatte hat inzwischen auch die bayerische Staatsregierung erfasst: Kultusminister Ludwig Spaenle will die Schwabinger 7 unter Denkmalschutz stellen.

(lacht) Es ist schön, dass auch die CSU die Bedeutung von kulturellen und sozialen Orten erkennt. Schade nur, dass dieser Vorstoß populistisch wirkt. Es gäbe ja durchaus Möglichkeiten, solche Entwicklungen zumindest zu bremsen, zum Beispiel mit einem Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen. Das aber verhindert die CSU im Landtag seit Jahren.

Zusammen mit Spaenle kämpft ein buntes Völkchen für die Schwabinger 7. Wird jetzt auch in München der Wutbürger heimisch?

Mir gefällt das despektierliche Wort vom Wutbürger gar nicht. Aber klar ist, dass sich eine Menge Missmut aufgestaut hat. Viele haben das Gefühl, dass auf dem institutionellen Weg ihre Sorgen kleingeredet werden, deshalb suchen sie die Öffentlichkeit. Ich finde es gut, wenn die Bürger sich engagieren. Wir brauchen so etwas wie eine Demokratisierung der Stadtentwicklung. Auf diese Weise wachen viele Politiker eher auf, so kriegen sie ein bisschen Feuer unterm Hintern.

Und was bewirkt das außer ein bisschen Rauch?

Die Stadtpolitik muss sich darauf einstellen, dass sie es nicht nur mit Investoren zu tun hat, sondern auch mit Bürgern, die sich dagegen wehren, rausgedrängt zu werden. Die derzeitige Entwicklung spaltet die Stadtgesellschaft: Einige Reiche, die die Innenstadt aufkaufen und horrende Preise zahlen, und eine wachsende Zahl von Menschen, die sich München nicht mehr leisten können. Es schwächt auf Dauer auch den Wirtschaftsstandort München, wenn Sozialdienstleister wie Lehrer, Altenpfleger oder Krankenschwestern diese Stadt notgedrungen verlassen.

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