Besuch in "Protzenhausen":Adelige Frauen mit Freiheitsdrang

Niederpöcking: Urenkelin von Oskar v. Miller: Monika Czernin

Haus am See: Monika Czernin lebt in dieser Villa, die Ferdinand von Miller gebaut hat.

(Foto: Nila Thiel)

Monika Czernin, Urenkelin Oskar von Millers, schrieb bereits über "die Rotkreuzbaronin" und "Die Mätressen des Wiener Kongresses". Nun folgt ein Buch über Kaiserin Maria Theresia

Von Martina Scherf, Niederpöcking

Im ersten Stock des Hauses hängt der Stammbaum über dem Esstisch. Handgezeichnet, fast zwei Meter hoch, weit verästelt. Trotzdem haben längst nicht alle Millers darauf Platz, denn die Familie ist kinderreich bis in die jüngsten Zweige. Ziemlich weit oben, auf der linken Seite, finden sich Monika Czernin und ihre Geschwister. Die schlanke Frau steigt mit Schuhen auf einen Stuhl und schaut noch einmal genau nach. "Ach, da ist ja auch meine Tochter", sagt sie betont beiläufig und hüpft wieder herunter. Ist ja auch unübersichtlich, so ein Riesenclan. "Aber doch auch schön, Teil von so einer Familie zu sein." Zumal, wenn damit ein Wohnsitz in einer der schönsten Villen am Starnberger See verbunden ist.

Es ist ein warmer Frühlingstag, weiße Wölkchen tupfen den fast unwirklich blauen Himmel, die ersten Segler ziehen ihre Bahnen durch den See. "Gehen wir doch runter an den Steg, da ist mein Lieblingsplatz", sagt Monika Czernin mit einer weichen österreichischen Dehnung, sie ist in Klagenfurt geboren. Sie trägt eine ärmellose weiße Bluse über der Jeans, lässt die Sonne an die blasse Haut. Im Garten blüht der Goldregen, Wellen plätschern leise über die Ufersteine. Vom Steg - da hängt noch der Dampfschiff-Fahrplan von 1905 - schaut man zur prächtigen historistischen Villa auf, und Czernin beginnt zu erzählen, von der Familie, von ihren Büchern und Filmen, beides ist eng miteinander verwoben.

Gebaut hat die hellgelbe Villa ihr Ururgroßvater Ferdinand von Miller, der königliche Erzgießer, Erschaffer der Bavaria auf der Theresienwiese, der Quadriga auf dem Siegestor und Dutzender anderer Skulpturen von München bis Chicago. 1851 hat ihn Ludwig I. für seine Verdienste geadelt. Als 1854 die Eisenbahnstrecke von München nach Starnberg fertiggestellt wurde, bauten die großen Münchner Familien in Niederpöcking ihre Sommerhäuser: die Schwinds, Knorrs, von Millers. Oskar von Miller, eines von zehn Kindern, übernahm den Familiensitz später. Der Ingenieur hat Bayern elektrifiziert und 1925 das weltberühmte Deutsche Museum gegründet. Er lud illustre Kollegen nach Niederpöcking ein, auch Thomas Edison und Henri Ford waren da. Nebenan wohnen bis heute weitere Millers. "Das Miller-Dorf", sagt Monika Czernin und lächelt.

Im Volk hieß Niederpöcking damals "Protzenhausen". Was vielleicht auch an den ausladenden Festen lag, die da gefeiert wurden, mit Ritterspielen und Banketten. Die feine Münchner Gesellschaft kam zu solchen Anlässen mit dem Schiff aus Starnberg und genoss den Anblick der festlich geschmückten Häuser und Gärten.

Das letzte Mal, dass der ganze Miller-Clan zusammenkam, war der 200. Geburtstag des Ahnherrn Ferdinand 2013. "Da waren wir irgendetwas zwischen 200 und 300", sagt Czernin. Sie hat selbst als Kind noch an den Festspielen teilgenommen, die bis heute bei runden Geburtstagen aufgeführt werden, und liebt die alten Geschichten. Die männliche Heldenverehrung ist allerdings nicht so sehr ihr Thema, in ihren Büchern geht es mehr um Frauen. Nur beim Deutschen Museum, wo sie im Vorstand des Freundeskreises und im Kuratorium sitzt, da macht sie eine Ausnahme. Dort wird Oskar bis heute wie ein Heiliger verehrt.

Dass er aber nicht nur als genialer Erfinder in die Geschichte einging, sondern als Vertreter des Großbürgertums immer wieder aus der Reihe tanzte, dass sie ihn auch "den roten Oskar" nannten, das gefällt ihr. Dass er das Deutsche Museum als Bildungsstätte gesehen hat, dass er es angeblich nie wieder betrat, als die Nazis dort ihre Hakenkreuzfahne aufhängten. Er starb am 9. April 1934 und musste nicht mitansehen, wie sein Museum im Krieg von Bomben durchlöchert wurde.

Czernin hat ein Buch über Oskars Ehefrau geschrieben, Marie von Miller, eine begabte Malerin, die für diese Ehe auf vieles verzichtete. Adelige Frauen mit Freiheitsdrang, das ist ein Lieblingsthema der Autorin. Da ist Nora Gräfin Kinsky - ihre Urgroßtante -, "die Rotkreuzbaronin", die zu Beginn der Russischen Revolution als Lazarettschwester bis nach Sibirien reiste und ein Tagebuch hinterließ. Oder Frieda von Bülow, eine frühe Feministin, die mit den deutschen Kolonialisten nach Ostafrika fuhr und ihre Abenteuer später niederschrieb. Da sind "Die Mätressen des Wiener Kongresses" und Anna Sacher, die Chefin des berühmten Wiener Hotels. Da ist Hanna von Bismarck in einer Fernseh-Dokumentation über das ambivalente Verhältnis des deutschen und österreichischen Adels zu Hitler.

Czernins Bücher und Filme sind eine Mischung aus Fakten und Fiktion, Atmosphäre dichtet sie recht frei dazu: Sitten und Speisen, Gerüche, Gewänder und Gesten. Immer geht es ihr darum, einen zeitgemäßen Blick aus der Sicht einer Frau auf die Geschichte zu werfen.

Aufgewachsen ist Czernin in einem Schloss in Kärnten - ihre Mutter, Enkelin Oskar von Millers, hat einen Grafen Czernin, alter böhmischer Adel, geheiratet. Wer im Schloss aufwächst, für den ist Geschichte immer präsent. Sie geht dann zum Studium nach Wien, "zur Zeit, als die Affäre um Kurt Waldheims Nazi-Vergangenheit hochkochte", das war prägend, sagt sie. Fängt parallel an, beim ORF zu arbeiten, und in der Kulturredaktion der Tageszeitung Die Presse. Der Liebe wegen kommt sie vor 20 Jahren nach München.

Nach der Geburt ihrer Tochter schreibt sie ein Tagebuch über ihr Leben mit Kind und bittet für die Veröffentlichung den Pädagogen Remo Largo um ein Vorwort. Der hatte mit "Babyjahre" einen Bestseller geschrieben, der immer noch in den meisten Familienregalen steht. Als sich Czernin sieben Jahre später scheiden lässt, fragt sie ihn um Rat. "Wenn ihr es gut macht, wird dem Kind nichts passieren", antwortet der Schweizer in seiner pragmatischen Art. Das war der Beginn einer langjährigen Zusammenarbeit. Gemeinsam schreiben sie "Glückliche Scheidungskinder". Sie lässt sich zur Mediatorin ausbilden, um anderen Eltern in der Trennungsphase zu helfen, und zieht mit ihrer Tochter zur Tante nach Niederpöcking.

Dann folgt, zusammen mit Largo, "Jugendjahre". "Meine Tochter fand es zuerst furchtbar, dass ich ein Buch über Jugendliche schreibe. Aber als ich mit ihr darüber zu diskutieren begann, merkte sie, dass ich sie ernst nehme, dass sie davon profitiert, weil sich mein Blick auf die Pubertät ändert." Heute, sagt die Mutter, sei ihre Tochter ihre beste Freundin.

Auf dem Tisch am Steg liegt ein dicker Wälzer über die Aufklärung in Europa im 18. Jahrhundert. Maria Theresia, das ist ihr nächstes Projekt: ein Film für den ORF und ein Buch über die Kaiserin, deren 300. Geburtstag 2017 gefeiert wird.

Gibt es nicht schon Dutzende Biografien? Schon, sagt Czernin, aber sie hat etwas entdeckt, was unbedingt ans Licht muss. "Zufällig" war sie in einem österreichischen Schloss, da hing ein Porträt der Kaiserin über dem Kamin. "Ich sagte zum Schlossherrn: Sag' mal, warum hängt denn die Maria Theresia dort? Da stellte sich heraus: Eine Vorfahrin des Schlossherrn war Hofdame der Kaiserin." Zum Beweis zog der Schlossherr eine eiserne Kassette heraus, mit 80 handgeschriebenen Briefen von Maria Theresia. "Ein Schatz", sagt Czernin, der zwar bekannt, aber bisher wenig beachtet und kaum veröffentlicht war. Diese Briefe passen zum Blick der Biografin auf ihr Sujet: "Maria Theresia hat dieser Sophie Enzenberg, die den Hof bald wieder verlassen hatte, 25 Jahre lang Briefe geschrieben. Sie war ihre Vertraute. Und es zeigt, wie einsam die Politikerin am Ende ihres Lebens war", sagt Czernin.

Diese Frauenfreundschaft interessiert sie. "Mit Ursula von der Leyen und Angela Merkel im Hintergrund lesen wir eine solche Biografie ganz neu", sagt sie, und es schwingt eine gewisse Bewunderung mit für die Machtpolitikerin und Reformerin, die europäische Geschichte schrieb und nebenbei 16 Kinder gebar.

Zurück auf der Terrasse der Villa kommt auch noch die Tante heraus, Marie von Miller-Moll, mit ihren 82 Jahren eine sehr attraktive Frau, dezent geschminkt, akkurat frisiert. Auch sie eine selbstbewusste Frau, die als Physiotherapeutin tätig war und bei Siemens Arbeitersport anleitete. Sie hütet die Andenken in diesem Haus. Möbel, Bilder, Lampen, Fotos, ja selbst Polster, Kissen und Tischtücher scheinen unverändert. Oskar blickt von einem Foto im Hausflur, Ferdinands Büsten stehen in jedem Winkel. Die Ahnen sind omnipräsent. Aber die Frauen in diesem Haus können ganz gut damit leben.

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