Bestattungen in München:Wenn sich niemand um die Beerdigung kümmert

Bestattungen in München: Der städtische Bestattungsdienst hat seinen Sitz im Palais Lerchenfeld in der Damenstiftstraße.

Der städtische Bestattungsdienst hat seinen Sitz im Palais Lerchenfeld in der Damenstiftstraße.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Immer wieder passiert es, dass Menschen sterben und niemand die Bestattung organisiert. In solchen Fällen muss die Stadt einspringen. München hält dann sogar eine richtige Trauerfeier ab - auch wenn niemand daran teilnimmt.

Von Imke Plesch

Ein kahler Sarg steht in der Aussegnungshalle, ganz ohne Blumenschmuck. Nur der Kreuzträger und ein Friedhofsmitarbeiter warten am Rand. Ein Ave Maria und eine Gedenkminute - dann ist es vorbei. Dieses Minimalprogramm bekommt in München ein Mensch, der "von Amts wegen" bestattet wird.

In Deutschland besteht Bestattungspflicht - aber was passiert, wenn sich niemand um eine Beerdigung kümmert? Wenn es anscheinend keine Angehörigen gibt, keine Freunde, keine Nachbarn? Diese Fälle landen auf dem Schreibtisch von Sigrid Diether. 1219 waren es im vergangenen Jahr. Die Sachgebietsleiterin bei den Städtischen Friedhöfen München und ihre vier Mitarbeiter beginnen dann zu recherchieren.

Es geht um zwei Dinge: dem Verstorbenen eine würdige Bestattung zu ermöglichen und Angehörige zu finden, die die Kosten übernehmen. Nach dem Bayerischen Bestattungsgesetz sind die Angehörigen dazu verpflichtet - dazu zählen sogar Nichten und Neffen, Stiefkinder und Schwiegereltern. Nur wenn es jemandem, zum Beispiel finanziell, nicht zumutbar ist zu zahlen, kann er die Übernahme der Kosten beim Sozialamt beantragen.

Wenn ein Freund für die Bestattung seine Weltreise abbricht

"Es geht bei meiner Arbeit aber nicht um Armenbestattungen", sagt Diether. Einsamkeit gebe es in allen Gesellschaftsschichten. Die Menschen würden immer älter und oft seien die Familie und der Freundeskreis schon tot - im Fachjargon heißt das "vorverstorben". Andere hätten sich von sich aus zurückgezogen. Die Anonymität in der Großstadt erleichtert diesen Vereinsamungsprozess. Manche Menschen werden erst gefunden, wenn es im Treppenhaus zu riechen beginnt.

Bestattungen in München: Siegrid Diether ist für die Bestattungen "von Amts wegen" zuständig.

Siegrid Diether ist für die Bestattungen "von Amts wegen" zuständig.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Mit der Zeit hat Diether aber auch gelernt, den Satz "Der hat keine Angehörigen!" nicht so schnell zu glauben. Bei Einwohnermeldeämtern und Standesämtern suchen sie und ihre Mitarbeiter nach der Familie des Toten. Zweimal in der Woche werden Anzeigen in Tageszeitungen geschaltet. "Manchmal rufen dann 20 Leute an - und manchmal kein einziger. Jeder Fall ist anders", erzählt Diether.

Zu den positiven Erlebnissen gehört es, wenn sich Nachbarn zusammentun oder ein Freund extra eine Weltreise abbricht, um die Bestattung zu organisieren. Oft leben Familien heute auch weit verstreut über Deutschland oder andere Länder, sodass es eine Weile dauert, die Angehörigen zu finden und zu informieren.

"Ohne Ihren Vater wären Sie doch gar nicht auf der Welt"

Andererseits hat Diether auch viele negative Erlebnisse - vor allem, wenn sie Angehörige gefunden hat, die nicht bezahlen wollen. In sechs von zehn Fällen, die sie bearbeitet, seien die Familien zerrüttet: "Da sagt dann der Sohn: Mein Vater hat sich die letzten 30 Jahre nicht um mich gekümmert, warum soll ich mich dann um seine Beerdigung kümmern?" Nicht selten muss Diether sich auch beschimpfen lassen. "Ich versuche ja, Verständnis aufzubringen. Aber ich denke auch: Ohne Ihren Vater wären Sie doch gar nicht auf der Welt."

Während Diether nach Angehörigen sucht, muss sie auch die Bestattung in die Wege leiten, die normalerweise spätestens vier Tage nach dem Tod stattfinden soll. Manchmal stellt sich heraus, dass der Verstorbene seine Beerdigung bereits selbst organisiert und - im Idealfall - bezahlt hat.

Ansonsten organisiert sie eine "einfache, kostengünstige, ortsübliche und würdevolle" Beerdigung. Auch wenn jemand von Amts wegen bestattet werde, müsse man diesen Menschen "mit Anstand" verabschieden: "Es gibt einen Mindestanspruch, der sich aus der Würde des Menschen herleitet."

Die Erdbestattung kostet 3200 Euro

Dieser Mindestanspruch ist in München höher als in anderen Gemeinden Deutschlands, wo teilweise die Feuerbestattung und Beisetzung der Urne im anonymen Gräberfeld die Regel ist. In München ist die ortsübliche Bestattung eine Erdbestattung mit Trauerfeier und ein Grab mit Holzkreuz. Und das, obwohl die Erdbestattung mit etwa 3200 Euro etwas teurer ist als eine Feuerbestattung mit rund 2600 Euro.

Von den 1219 Fällen, die ihr im vergangenen Jahr zunächst gemeldet wurden, musste Diether schließlich bei 473 eine Bestattung von Amts wegen organisieren. In etwa einem Drittel der Fälle wurden die Kosten aus dem Nachlass des Verstorbenen gezahlt, in einem weiteren Drittel wurden Angehörige verpflichtet und im letzten Drittel zahlte die Stadt - insgesamt etwa 400 000 bis 500 000 Euro.

"Die Stadt München leistet sich den Luxus, eine Trauerfeier zu bezahlen", sagt Peter Kotzbauer, Leiter der Städtischen Bestattungen München, der die Bestattungen von Amts wegen organisiert. Doch nicht alle Angehörigen wüssten das zu schätzen. Während bei der Beerdigung eines Obdachlosen oft viele Menschen kämen und die obdachlosen Freunde ihr weniges Geld noch für etwas Blumenschmuck zusammenlegten, gäben Familien, die es sich eigentlich leisten könnten, keinen Cent mehr aus als unbedingt nötig.

"Die Gesellschaft wird immer geldgesteuerter. Die Angehörigen fragen sich: Fahren wir in den Skiurlaub oder zahlen wir eine teure Bestattung für die Tante?" Statt "billig" sagen sie laut Kotzbauer dann: "Es soll möglichst schlicht sein."

Eine Extremsituation für Pfarrer

War der Verstorbene in der Kirche, leitet ein Pfarrer die Bestattungen von Amts wegen. Manfred Bugl, Gemeindereferent im katholischen Pfarrverband Obergiesing, feiert dann eine allgemeine Liturgie, selbst wenn er mit dem Friedhofsmesner allein am Sarg steht.

"In der Bibel heißt es: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen", sagt Bugl. "Zwei Leute - das ist für mich der minimale Anspruch, um dem Toten gerecht zu werden." Bugl achtet darauf, die rituellen Handlungen dann noch konzentrierter, noch würdevoller zu vollziehen als sonst. Aber deprimierend sei es trotzdem. "Wenn niemand zur Beerdigung kommt, macht man sich schon so seine Gedanken, was im Leben des Verstorbenen alles kaputtgegangen ist."

"Das ist eine ganz beklemmende Situation", sagt auch Gerson Raabe, Pfarrer an der evangelischen Erlöserkirche in Schwabing. In Extremfällen kennt er nur den Namen und das Alter des Verstorbenen. Dabei komme es gerade bei einem evangelischen Begräbnis darauf an, auf die individuelle Lebensgeschichte des Toten einzugehen.

Auch dieses Leben habe doch seine Höhen und Tiefen gehabt, sagt Raabe. Der Pfarrer zitiert ein Bibelwort, spricht das Vaterunser und einen Segen. "Ein Moment des Rituals muss sein. Das gehört zu einem würdigen Abschied dazu." Auch wenn das Ritual ja in erster Linie für die Hinterbliebenen gedacht sei.

Peter Kotzbauer von den Städtischen Bestattungen hat dazu seine ganz eigene Meinung. "Jeder sieht seine eigene Bestattung, davon bin ich überzeugt", sagt er. "Eine Beerdigung, zu der niemand kommt, ist die Höchststrafe. Das bedeutet: Dieser Mensch geht keinem ab."

Am kommenden Samstag, 29. November, veranstalten die Städtischen Friedhöfe und die Städtische Bestattung München einen Tag der offenen Tür. Von 9.30 bis 17 Uhr kann man sich im Palais Lerchenfeld, Damenstiftstraße 8, über Fragen zum Thema Tod und Bestattung informieren.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: