Carl-von-Linde-Realschule:"Wir sind keine normale Schule"

Carl-von-Linde-Realschule: Gemeinsamer Nenner beim Physikunterricht mit Lehrer Ulrich Maach für die internationalen Klassen an der Carl-von-Linde Realschule ist die deutsche Sprache.

Gemeinsamer Nenner beim Physikunterricht mit Lehrer Ulrich Maach für die internationalen Klassen an der Carl-von-Linde Realschule ist die deutsche Sprache.

(Foto: Robert Haas)

In der Carl-von-Linde-Realschule im Westend haben fast alle Schüler ausländische Wurzeln. Wie sie damit umgeht, soll nun zum Modell für andere Schulen werden.

Von Melanie Staudinger

Die Kleineren spielen draußen im Pausenhof Fußball, die etwas Größeren gehen lieber spazieren. Auf den Bänken im Treppenhaus sitzen Mädchen und lernen. Im Flur haben es sich ein paar Jungs an vier weißen Tischen gemütlich gemacht. Die einen essen, die anderen stecken ihre Nasen in ihre Deutschbücher.

Alltag an der Carl-von-Linde-Realschule im Münchner Westend, ebenso wie in den anderen Schulen der Stadt. Und doch ist die Schule an der Ridlerstraße eine besondere. 93 Prozent der Kinder und Jugendlichen hier haben nichtdeutsche Wurzeln. Das ist selbst in einer Großstadt wie München ein hoher Wert.

Und es ist eine Zahl, die viele Schulleiter, Lehrer und Eltern abschrecken würde. Direktor Philipp Volkmer dagegen ist stolz darauf. "Wir sind keine normale Schule", sagt er. Seit 40 Jahren werden hier internationale Klassen für Schüler angeboten, die zwar grundsätzlich auf Realschulniveau sind, aber noch nicht gut Deutsch können. Die Schüler kommen aus Syrien, Irak, aus Afghanistan, Polen, Spanien oder Griechenland. Jugendliche aus mehr als 55 verschiedenen Nationen hat das Bildungsreferat gezählt, Flüchtlinge ebenso wie Arbeitsmigranten aus Ost- oder Südeuropa.

Was die städtische Carl-von-Linde-Realschule in den vergangenen vier Jahrzehnten aufgebaut hat, soll nun zum Vorbild für andere werden. Auf Anregung der Stadtrats-Grünen wird Stadtschulrätin Beatrix Zurek (SPD) dem Bildungsausschuss in seiner Sitzung am Mittwoch ein Konzept vorlegen, wie die internationalen Klassen auch an anderen Schulen etabliert werden können.

Zwei weitere Realschulen und zwei Gymnasien sollen das Angebot für Flüchtlinge und neu Zugewanderte bekommen. 1,3 Millionen Euro will das Bildungsreferat dafür im Jahr zusätzlich ausgeben, wenn die Bildungspolitiker im Stadtrat zustimmen. Die Wilhelm-Busch-Realschule in Neuperlach und die Ludwig-Thoma-Realschule in Berg am Laim sollen die neuen internationalen Klassen bekommen. Welche Gymnasien teilnehmen werden, steht noch nicht fest.

Momentan sind die meisten Kinder aus Flüchtlings- und Zuwandererfamilien in den Übergangsklassen der staatlichen Grund- und Mittelschulen untergebracht. Dort werden sie nach ihren Deutschkenntnissen eingeteilt. Kinder, die noch nie einen Stift in der Hand hielten, werden gemeinsam mit Schülern unterrichtet, die eine Ausbildung genossen haben, die mit der deutschen Realschule oder mit dem Gymnasium vergleichbar sind.

Carl-von-Linde-Realschule: Philipp Volkmer leitet die Carl-von-Linde Realschule im Westend mit zehn internationalen Klassen.

Philipp Volkmer leitet die Carl-von-Linde Realschule im Westend mit zehn internationalen Klassen.

(Foto: Robert Haas)

Letztere müssen derzeit den "Umweg" über die Mittelschule nehmen, um später dann die Mittlere Reife oder das Abitur machen zu können. Der Freistaat fördert dies mit den Projekten "Sprachförderung intensiv" (Sprint) an der Joseph-von-Fraunhofer- und der Marieluise-Fleißer-Realschule sowie "Integration am Gymnasium" (InGym) am Wilhelm-Hausenstein-Gymnasium.

Im Gegensatz zu diesen Angeboten zielen die internationalen Klassen an der Carl-von-Linde-Realschule nicht nur auf Schüler mit Fluchterfahrung ab, sondern auf alle Kinder und Jugendlichen, die kürzlich aus dem Ausland nach München gekommen sind und nur wenig Deutsch sprechen. Zehn solcher Klassen hat die Schule, alle haben zwischen 20 und 31 Schüler. In den Jahrgangsstufen fünf bis acht gibt es je eine Klasse, in der neunten und zehnten jeweils drei Klassen.

Eltern, Lehrer, Schüler - alle müssen sich anpassen

"Wir nehmen auch die 16- bis 18-jährigen Zuwanderer, die für die Mittelschule zu alt sind", sagt Schulleiter Volkmer. Einzige Voraussetzung: Die Schüler müssen einen Sprachtest bestehen. Denn wer gar kein Deutsch spricht, schafft es in der kurzen Zeit nicht, sich auf die Prüfungen vorzubereiten, die genauso bewertet werden wie bei Muttersprachlern. Volkmer will die Klassen bei allem Aufwand nicht missen. Die Schüler seien sehr strebsam, höflich und arbeitswillig.

Die Schüler werden ganztags bis 16 Uhr unterrichtet, sie haben Intensivierungsstunden, in denen sie ihre Hausaufgaben erledigen und den Unterrichtsstoff vertiefen. Daheim könnte ihnen kaum jemand helfen. Zusätzliche Stunden in Deutsch und Englisch werden zudem angeboten. "Die Schule wird weicher, es gibt mehr Verständnis untereinander", sagt Volkmer. Das heiße aber nicht, dass keine Regeln existierten.

Oder keine Probleme. Auch an der Carl-von-Linde-Realschule gibt es arabische Schüler, denen man beibringen müsse, dass sie ihre Lehrerinnen genauso respektieren wie ihre Lehrer. Und es gibt muslimische Schülerinnen, die nicht am Schwimmunterricht teilnehmen wollen. Bei einer Umfrage kam heraus, dass dies nicht aus religiösen Gründen passiert. "Die Mädchen wollten nicht mit nassen Haaren und ohne Make-up im Unterricht sitzen", sagt Volkmer.

Anpassen müssen sich aber auch die Lehrer. Wenn eine Familie ihr Kind vom Unterricht beurlauben lassen will, stellt sie normalerweise einen schriftlichen Antrag. Bei Volkmer hingegen stehen Mutter, Vater, Tante, Onkel und der Nachbar zum Dolmetschen vor der Tür - ohne Termin. "Man muss sich daran gewöhnen, dass man viel spontan und viel in Englisch machen muss", sagt der Direktor.

Ein Team übersetzt die Elternbriefe in eine einfache Sprache mit kurzen Sätzen, damit der Inhalt verständlich ist. Alle Pädagogen haben Fortbildungen in sprachsensiblem Unterricht absolviert. Sie werden von drei Sozialpädagogen sowie Sozial- und Lerncoaches unterstützt - eine Luxusausstattung, die die Stadt extra bezahlt.

Der Herausforderung, die eine internationale Schülerschaft mit sich bringt, will sich Brigitte Preiß, Leiterin der Wilhelm-Busch-Realschule, stellen. Schon jetzt unterrichten die Lehrer dort Kinder aus vielen Nationen. Mit den internationalen Klassen soll die Förderung noch intensiver werden. "Viele dieser Jugendlichen haben in ihren Heimatländern weiterführende Schulen besucht und eine gute Ausbildung begonnen. Sie sollten auch hier die Chance erhalten, den Abschluss an einer weiterführenden Schule zu machen", sagt Preiß. Volkmer freut sich, wenn mehr Schulen internationale Klassen bekommen. An seiner Schule nämlich geht bald der Platz aus.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: