Hobby in München:"Ich liebe Excel"

Hobby in München: René Martin mag sich auch in der Freizeit mit Excel beschäftigen. Früher gehörten Karten und Bier zum Stammtisch, heute können es Laptops sein.

René Martin mag sich auch in der Freizeit mit Excel beschäftigen. Früher gehörten Karten und Bier zum Stammtisch, heute können es Laptops sein.

(Foto: Robert Haas)

Das sagt eine Teilnehmerin des ersten Excel-Stammtischs in München, den René Martin gegründet hat. Dort treffen sich Menschen, die jeden Tag mit Tabellen zu tun haben - und reden über Tabellen.

Von Gerhard Fischer

Auf der Leinwand sieht man zwei Kurven, die über Jahre hinweg parallel verlaufen. Manchmal berühren sie sich, als gehörten sie zusammen. Eine Kurve zeigt die Höhe der US-Rohölimporte aus Norwegen, die andere die Zahl der Fahrer, die bei Zugkollisionen getötet wurden. Die beiden Statistiken haben nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun - außer ihrem Kurvenverlauf. "Das sind Zufallszusammenhänge", sagt Michael Schmidt.

Excel-Experte Schmidt hält an diesem Abend ein Referat über Datenvisualisierung. Schmidt spricht im Funkstadl in der Arnulfstraße, und in dem kleinen Nebenraum, in dem elf Leute sitzen, haben die Stuhl-Lehnen herzförmige Löcher. An der Wand hängen Teller mit Aufschriften wie "Unser täglich Brot gib uns heute". Die Umgebung passt eher zu einem - Stammtisch. Und es ist auch einer: der erste Excel-Stammtisch Münchens.

René Martin, 53, hat den Stammtisch Anfang 2016 gegründet. Dort treffen sich Menschen, die sich den ganzen Tag mit dem Tabellenkalkulationsprogramm Excel beschäftigen; und die dann abends zusammen kommen, um sich mit dem Tabellenkalkulationsprogramm Excel zu beschäftigen. "Das ist schon ein bisschen schräg", hatte Martin am Telefon vor dem Treffen gesagt - und damit die Erwartung geschürt, man werde im Funkstadl auf blasse, vielleicht etwas aus der Form geratene Nerds treffen, die einem nicht in die Augen sehen, sondern nur in ihre Laptops.

Aber dann kommt eine Stunde vor dem Beginn ein sportlicher, schlanker, gar nicht bleicher Mann angeradelt. René Martin schließt sein Fahrrad ab, grüßt freundlich, setzt sich in den Nebenraum des Restaurants und bestellt etwas Nicht-Alkoholisches. "Ich will einen klaren Kopf behalten", sagt er. Martin sieht sich um. "Ich habe mit dem Funkstadl bewusst den Kontrast gewählt - die Leute, die zum Stammtisch kommen, sitzen den ganzen Tag in irgendwelchen hochklimatisierten High-Tech-Räumen."

Martin stellt seinen Laptop auf den Tisch. "Die meisten haben einen dabei", sagt er. Damit könne man gleich kontrollieren, was der Referent so sage. "Außerdem fragen wir uns gegenseitig nach Lösungen von Excel-Problemen - so spielen wir manchmal um die Wette, wer am schnellsten eine Lösung parat hat."

Während der Laptop hochfährt, erzählt René Martin von einem 23-jährigen Afghanen. Das hat nichts mit dem Stammtisch zu tun. Aber es hat mit Martin zu tun. "Ich betreue seit zwei Jahren einen Asylbewerber", sagt er, "wir lesen, rechnen, schreiben miteinander." Der junge Mann hatte in Afghanistan keine Schule besucht. "Er hatte dort Ziegen gehütet und dem Vater auf dem Bau geholfen", erzählt Martin. "Dann brachten die Taliban seine Eltern um und er ist geflohen."

Es ist eine traurige Geschichte. Aber so unvermittelt, wie Martin sie erzählte, so rasch wechselt er auch wieder das Thema. Er redet über den Stammtisch. Ist das jetzt ein moderner Stammtisch? Ein Stammtisch 2.0? Wie kam es dazu?

"Es gab schon Excel-Stammtische in Basel und Nordrhein-Westfalen - aber das war zu weit weg", sagt Martin. "Da dachte ich, wenn ich einen in München haben will, muss ich ihn selbst gründen." René Martin, der Excel-Trainer ist, hat dann Kollegen angesprochen und bei Xing, Facebook und in Excel-Blogs nach Stammtisch-Teilnehmern gesucht.

"Am ersten Abend kamen 14 Leute", erzählt er. "Es war ein gigantischer Abend an einer langen Tafel - die Leute waren begeistert." Sie sprachen über Excel und sie lernten voneinander. "Und es entstanden dann ...". Martin sucht nach dem passenden Wort. "Freundschaften ist nicht richtig", sagt er dann, "vielleicht Beziehungen - und da geht es auch darum, dass man Aufträge vermittelt." Es geht also auch ums Netzwerken.

Die Hälfte bis zwei Drittel der Teilnehmer sind Frauen

Nach einigen Monaten drohte der Stammtisch einzuschlafen. Also führten sie das Referat ein, das ein Teilnehmer hält. "Der erste Vortrag ging über Excel und Didaktik", sagt Martin. "Und ich habe mal ein Referat über Fehler in Excel gehalten." Er holt ein Buch aus der Tasche. "Excel nervt" steht auf dem Cover. "Das habe ich geschrieben", sagt er, "es soll humorvoll sein - ich habe auch einen Blog dazu." Er habe etwa 3000 Zugriffe pro Tag.

Martin holt noch etwas aus der Tasche, einen Prospekt. "Wir veranstalten einen Workshop in München - die Excellent Days", sagt er. "Durch die Vernetzung mit anderen Excel-Stammtischen kennen wir die besten deutschsprachigen Experten, die dort auf hohem Niveau referieren werden", sagt Martin. Die Referenten werden über Themen wie "Matrix in Excel" oder "Power Query- Funktionen" sprechen. Bei einem Blick auf den Prospekt bemerkt man, dass alle männlich sind.

Kommen auch Frauen zum Stammtisch? "Aber ja", sagt René Martin. "Die Hälfte bis zwei Drittel der Teilnehmer sind Frauen - da sind viele Controllerinnen aus Firmen und Trainer-Kolleginnen dabei."

Der erste Stammtischgast kommt in den Funkstadl. Es ist - eine Frau. "Hallo Angelika", sagt René Martin. "Hallo René, ich war gerade noch beim Sport", sagt Angelika. "Ich bin früh dran, ich setz' mich noch raus und esse was." Martin schaut auf die Uhr. Es bleibt etwas Zeit, bis der Stammtisch beginnt. Er erzählt, dass er in Baden-Württemberg aufgewachsen sei, Germanistik, Romanistik und Mathematik studierte und Lehrer werden wollte, für Mathe und Deutsch. Aber dann zog er nach München, und an Bayerns Gymnasien gab es diese Kombination nicht.

Also setzte er auf die Arbeit mit Computern. Schon als Student in Mannheim habe er "so einen Kasten" in der WG gehabt, und während des Zivildienstes und des Studiums gab er Kurse bei der Evangelischen Kirche und beim Europäischen Patentamt. "Das war anfangs ein Studenten-Job, aber darüber bin ich dann in die Selbständigkeit rein gerutscht", sagt er. "Es war keine bewusste Entscheidung, aber ich bin glücklich als Selbständiger."

René Martins Schüler kommen aus vielen Sparten. "Personal, Finanzplanung, Technik, Controlling", zählt er auf. "Oft sagen die Teilnehmer: Mein Chef hat gesagt, ich muss die Diagramme mit Excel machen. Oder eine Analyse durchführen. Oder Daten aufbereiten. Oder importierte Daten weiter verarbeiten." Martin lebt hauptsächlich von seiner Arbeit als Trainer. Aber er programmiert auch für Firmen, macht Lernvideos, schreibt Bücher, schreibt Zeitschriftenartikel.

Allmählich kommen die anderen Stammtisch-Gäste. René Martin steht jedes Mal auf und begrüßt sie. Es sind schließlich vier Frauen und sechs Männer da, die meisten wohl zwischen 40 und 60 Jahre alt. Sie reden darüber, wie man Sudokus mit einem Excel-Programm lösen kann, suchen in ihren Smartphones danach, seit wann es Excel gibt (schon seit 1982, damals unter dem Namen Multiplan) und beantworten reihum die Frage, warum sie denn so gerne kommen.

Angelika, die mit vollem Namen Angelia Meyer heißt und seit 16 Jahren Trainerin ist, hat eine einfache Erklärung, warum sie tagsüber mit Excel arbeitet und abends über Excel reden möchte: "Ich liebe Excel", sagt sie. Die anderen - es sind Trainer oder Anwender in Firmen - sagen, dass Excel das Leben erleichtere; es sei "fantastisch", "vielfältig" und "nie langweilig". Einer sagt, er sei "excelfiziert".

Und dann spricht Michael Schmidt über Ölimporte und tote Zugfahrer.

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