Berg am Laim:Prinzip Hoffnung

ASB-Aktion zu Wohnen im Viertel

Klares Zeichen: Mit einer Demonstration am Karl-Preis-Platz haben Betroffene vor Kurzem beim "Tag der Pflege" auf ihre Situation aufmerksam gemacht.

(Foto: privat)

Das Modell "Wohnen im Viertel" erleichtert es Pflegebedürftigen, in ihrer vertrauten Umgebung zu leben. Nun aber ist es in Gefahr, weil sich die Stadt und der Bezirk Oberbayern um die Finanzierung streiten

Von Renate Winkler-Schlang, Berg am Laim

Ein Erfolgsmodell ist "Wohnen im Viertel", das es in München schon seit 2008 gibt. Pflegebedürftige können in ihrer Umgebung bleiben, die städtische Wohnungsgesellschaft Gewofag stellt in ihren Anlagen barrierefreie Wohnungen und beauftragt einen Pflegedienst wie den ASB (Arbeiter-Samariter-Bund), dessen motivierte Fachkräfte vom Stützpunkt in der Nachbarschaft aus kurze Wege haben, die Patienten gut kennen, individuell betreuen. Alle zufrieden, ein Konzept mit Zukunft. Bereits 13 solcher kleiner Anlagen mit insgesamt 129 Wohnungen gibt es in München. Doch nun schlagen der ASB und sein Dachverband, der Paritätische, Alarm: Die Stadt mache "Wohnen im Viertel" zum Auslaufmodell, der neue Stützpunkt an der Seebrucker Straße in Berg am Laim werde womöglich gar nicht eröffnet. Es geht ums Geld.

Bisher sah das städtische Sozialreferat die Finanzierung des politisch allseits gewollten Konzepts über die Leistungen individueller Pflegeversicherungen hinaus als seine Aufgabe an. Doch nun will die Stadt den Bezirk Oberbayern in die Verantwortung nehmen.

Es ist eine komplizierte Geschichte der unklaren Definitionen, der juristischen Fallstricke und des Taktierens. Die Stadt komme nicht etwa plötzlich auf eine neue Idee, nachdem sie in den Jahren vorher gezahlt habe, ohne wirklich zuständig zu sein, und damit letztlich Steuergeld verschwendet habe, erklärt ein Sprecher des Sozialreferats. Vielmehr gebe es neue Gerichtsurteile, die nun die Zuständigkeit des Bezirks nahe legen und denen die Stadt sich nicht verschließen könne.

Constanze Mauermayer, Sprecherin des Bezirks Oberbayern, widerspricht: Nicht die Rechtslage habe sich geändert, "nur die Haltung der Stadt". Der Bezirk sei da für Menschen mit Behinderung im Rahmen der Eingliederungshilfe und der stationären Unterbringung. Die pflegerischen und hauswirtschaftlichen Hilfen bei "Wohnen im Viertel" aber seien nicht automatisch Eingliederungshilfe, Pflegebedürftigkeit keine Behinderung. Die Stadt als örtlicher Träger der Sozialhilfe sei für ambulante Pflege zuständig.

Das sehen auch ASB-Geschäftsführer Christian Boehnisch und Karin Majewski, Geschäftsführerin des Paritätischen, so - auch wenn sie grundsätzlich verstehen, dass die Stadt das zweifelsfrei klären will. Was den beiden nicht gefällt, ist, dass die Stadt keine Verantwortung übernehmen will für die Zwischenzeit. Sie kritisieren, dass die Stadt das Thema derzeit gar nicht in ihrer Entgeltkommission, wo es um konkrete Summen geht, verhandeln will, dass sie nicht einmal mehr, wie eigentlich vom Sozialausschuss des Stadtrates im März beschlossen, "unter Vorbehalt" zahlen will.

Beim ASB kommt das so an, als wolle die Stadt den Pflegedienst nötigen, den Bezirk zu verklagen. Doch eine Klage durch mehrere Instanzen und Jahre habe der kleine ASB nicht im Kreuz, sagt Boenisch: "Juristisches Superglatteis", sagt er. Stelle sich die Stadt bis zu einem Urteil stur, sterbe das Modellprojekt: Neue Stützpunkte wie an der Seebrucker Straße würden gar nicht erst eröffnet, das bereits dafür akquirierte Personal könne dort nicht eingesetzt werden. Aber auch die vorhandenen Plätze wären in Gefahr, denn eine leer werdende Wohnung könnte dann wegen der ungewissen Finanzierung nicht mehr mit jemandem aus der Zielgruppe belegt werden.

Schlimmer noch, meint Majewski: Der ASB selbst könne gar nicht klagen, nur ein Betroffener. Selbst wenn sich einer fände und das Urteil fiele zu Gunsten der Stadt aus, würde der Bezirk dies zum Einzelfall erklären, nicht als Präzedenzfall werten wollen. So mache es ja auch die Stadt, erste Ablehnungen des Bezirks in konkreten Fällen lägen vor, die Stadt nehme sie nicht ernst. Ein Teufelskreis. Sie selbst laufe den Verantwortlichen im Sozialreferat seit Wochen nach, ringe um eine feste Zusage für eine Zwischenlösung: "Da kommt nichts", sagt Majewski bitter. Auch die Gewofag erklärt, sie verhandle, will das Thema aber derzeit nicht öffentlich kommentieren.

Das Sozialreferat aber versichert, keiner wolle "Wohnen im Viertel" sterben lassen, man dränge nur auf eine rasche Klärung - mit Hilfe des ASB. Von Nötigung zur Klage keine Rede. Unter Vorbehalt zahlen dürfe die Stadt gar nicht. Und "nach erfolgter Klärung werden wir etwaige entstehende Versorgungslücken im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten selbstverständlich bedarfsgerecht ergänzen".

Wenn es dann nicht zu spät ist. Diese Brisanz hat die Rathaus-SPD begriffen: Sie fordert den Freistaat auf, eine gesetzlich eindeutige Definition von Eingliederung zu schaffen. Die wäre auch bitter nötig, denn es entstehen immer mehr solcher Formen zwischen ambulant und stationär, auch die Demenz-WGs gehören wohl in diese rechtliche Grauzone. Aber auch das wird dauern. Boenisch sagt: "Einer von beiden muss ja zahlen. Uns bleibt im Moment das Prinzip Hoffnung." Der ASB hat kürzlich am "Tag der Pflege" vor seinem Stützpunkt am Ramersdorfer Karl-Preis-Platz eine kleine Demo mit Betroffenen organisiert und plant weitere Aktionen, um auf das Dilemma aufmerksam zu machen.

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