Berg am Laim:Der Mann mit dem Madonnen-Blick

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Clemens Kindler hat in ganz München an Hauswänden Marienstatuen fotografiert. 120 seiner Aufnahmen werden jetzt ausgestellt. Nach einem Schlaganfall hat der 75-Jährige zwei Träume: zur Vernissage aus Esslingen zu kommen und wieder eine Kamera zu bedienen.

Von Renate Winkler-Schlang, Berg am Laim

Es war 1978. Clemens Kindler fuhr mit der Tram an der Jakob-Klar-Straße vorbei, und sein Blick blieb an einer schönen Madonna hängen: Das Bild, ein Natursteinrelief an einer Hausmauer, hat ihn tief berührt. "Das war der Auslöser", sagt er. Mit seiner Hasselblad fuhr er eigens noch einmal hin und machte eine Aufnahme. Der Grundstein für eine Serie war gelegt.

220 weitere Marienbilder, -reliefs und -statuen hat er seither an Münchner Hauswänden entdeckt und verewigt. Im Mai, dem Marienmonat, wird die Künstlergilde Berg am Laim den Aufnahmen eigens eine Ausstellung widmen. Für Kindler ist dies ein wichtiger Lichtblick. Er hatte im Januar einen Schlaganfall, kann nicht mehr gehen und wurde zum Pflegefall, sein Bruder hat ihm einen Heimplatz in Esslingen besorgt. Der 75-jährige hofft, dass er überhaupt zur Vernissage kommen kann. Und er betet, dass er es irgendwann auch wieder schafft, seine Kamera zu bedienen.

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(Foto: Robert Haas)

Mit ihr fing alles an: Die Madonna an der Jakob-Klar-Straße war Clemens Kindlers erstes der Marien-Bilder...

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(Foto: Robert Haas)

...die er auch in der Notburgastraße...

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(Foto: Robert Haas)

...und der Inneren Wiener Straße aufspürt.

Kampf mit den Tränen

Seine bisher letzten Tage in München verbrachte er in einem Altenheim-Doppelzimmer am Hasenbergl. Er kämpft mit den Tränen, als er von seiner geliebten Wohnung erzählt, die nun aufgelöst werden muss, von den unzähligen Bildern von Heumandln, von Landschaften und Stillleben, von den abstrakten Kompositionen, die er gemalt hat, von den Fotoalben mit den Madonnen-Bildern. Im Berg am Laimer Altenheim hatten sie so spontan keinen Platz für ihn frei.

Kindler blickt zurück auf sein Leben: Geboren in Schlesien als siebtes von neun Kindern, nach der Vertreibung aufgewachsen in Norddeutschland. Seine Familie war katholisch: "Das hat uns zusammengehalten." Kindler erlernte das Schneiderhandwerk, arbeitete in der Kostümabteilung an Theatern in Bonn und in Südafrika. Dann zog es ihn wieder nach Deutschland, er bekam eine Stelle am Gärtnerplatz "und wollte nie wieder weg aus München".

Eines seiner Hobbys ist die Oper. Er hat die Schönheit Wagner'scher Musik schätzen gelernt, und das hat ihm auch nach dem Schicksalsschlag Kraft gegeben. Sein Sinn für Schönheit, sein Talent zum genauen Arbeiten, das drückt sich auch in seiner Malerei aus - das Album mit Aufnahmen seiner Werke, das er mit der gesunden Hand aus dem Schrank zieht, beweist es. "Ich male in Essig und Öl." Seinen trockenen Humor hat sich der künstlerische Autodidakt bewahrt. Kindler hat auch Löwenstatuen in München fotografiert, er mag Serien. Von seinen Marienbildern hat er im Heim keines um sich. Doch er kann sich an jedes einzelne erinnern.

Manches Marienbildnis existiert nicht mehr

Die Madonna an der Jakob-Klar-Straße hat er noch schwarz-weiß fotografiert, später kam der Farbfilm, dann die digitale Canon. Freunde und Bekannte berichten ihm von der einen oder anderen Figur. Oft kann er sagen: "Hab' ich schon." Gezielt fährt er immer wieder durch die Straßen, immer mit diesem Madonnen-Blick. Besonders viele hat er in Gern entdeckt. Er wundert sich, wenn er auf gleiche stößt. Oftmals folgen Passanten seinem Blick hinauf und bemerken so zum ersten Mal ein Kleinod. Weil die Perspektive von schräg unten, dieser "sonderbare Winkel", nicht vorteilhaft ist für so ein Werk, klingelt Kindler bei Leuten gegenüber. Abgewiesen wird er nie, selbst wenn er in ein Mittagessen platzt. Manches Marienbildnis wie das einer sixtinischen Madonna in einem Hinterhof der Müllerstraße oder eine geschnitzte im Tal - sie existieren nicht mehr. Neue kommen nicht hinzu. Diese öffentlichen Glaubensbekenntnisse sind aus der Mode kommen.

Was ihn so fasziniert an den Madonnen? "Es ist eine Mutter." Er spürt die Liebe, die Fürsorge. Unbefleckte Empfängnis, kann er daran glauben? "Das ist jetzt nicht das, was wir hier diskutieren müssen", weist er die Frage zurück. Er denkt nach. "Ich habe im Moment nicht das Gefühl, dass sie mich beschützt. Aber ich bete jeden Tag zu ihr." Er weint.

"Das Kunsthistorische ist nicht meine Sache", erzählte Kindler. Schon lange aber hat er den Wunsch, die Freude zu teilen, seine Sammlung zu zeigen, träumt von einem Verlag, findet aber zunächst keine Resonanz. Im vergangenen Jahr wollte die Künstlergilde die Fotos zeigen. Doch als Kindler damals überraschend zu einer Fuß-Operation muss, verlegt Leiterin Ursula Zentgraf ihm zuliebe die Schau. Er will doch so gerne dabei sein, hat genau im Kopf, wie die Aufnahmen gehängt werden sollen. "Irgendwie", sagt er, "werde ich es diesmal schaffen".

Die Ausstellung mit 120 von Clemens Kindlers Madonnen an Münchner Hauswänden wird am Samstag, 9. Mai, um 10 Uhr im großen Pfarrsaal an der Baumkirchner Straße 26 eröffnet. Sie ist zu sehen bis 14. Mai, jeweils von 10 bis 18 Uhr.

© SZ vom 04.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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