Berg am Laim:Da sein für andere

Lesezeit: 4 min

Als Jugendliche kochte Rosa Maria Dick schon für 13 Familienmitglieder. Nun, mit 62 Jahren, ist sie als Generaloberin der Vinzentinerinnen verantwortlich für Krankenhäuser, Pflegeheime - und für ein Mineralwasser

Von Renate Winkler-Schlang, Berg am Laim

Schwester Rosa Maria Dick breitet die Arme weit aus, um den besonders breiten Querbalken im speziellen Kreuz ihres Ordens, der Barmherzigen Schwestern des heiligen Vinzenz von Paul, zu veranschaulichen. "Da sein für alle" bedeute das, erklärt sie, nimmt das trapezförmig gefasste Kreuz, das sie auf ihrer Kutte trägt, in die Hand und deutet auf die kleinen Striche im Hintergrund: Sie symbolisieren die Menschen. Da sein für alle muss sie nun auf ganz neue Weise, denn Anfang Dezember trat sie als neu gewählte Generaloberin des Ordens die Nachfolge von Schwester Theodolinde Mehltretter an, die zwölf Jahre lang die Geschicke der Gemeinschaft gelenkt hatte und Berg am Laim weiter verbunden bleibt, sie leitet nun als Haus- und Conventoberin das ordenseigene Alten- und Pflegeheim St. Michael.

Da sein für andere, das ist ein Lebensmotto der neuen, 62-jährigen Generaloberin. Das musste sie bereits als das vierte von elf Kindern - das erste Mädchen nach drei Brüdern. Viel Arbeit gab es auf dem kleinen Hof in Haunstetten im Kreis Pfaffenhofen. Nach der Schulzeit musste sie die Mutter unterstützen, hat mit 14 schon jeden Tag für alle 13 Familienmitglieder gekocht, in der Landwirtschaft geholfen. Sehr schön empfand sie die Großfamilie, hoffte aber doch, dass bald die nächste Schwester sie ablösen könne. Krankenschwester wollte sie werden oder Lehrerin, vielleicht für Hauswirtschaft, fünf oder sechs Kinder bekommen. Bis zu jenem Cursillo, einer Art Exerzitien, wo ihr beim Abschlussgottesdienst klar wurde, dass ihr Weg ein Leben in einem Orden sein würde. Nachfolgerin Christi wollte sie sein, denn "wenn er Menschen begegnet, wendet sich für diese etwas zum Besseren". Ein Priester riet ihr: "Bet' viel drum und sag niemand was." Sie musste herausfinden: Stimmt das für mich oder ist es ein Strohfeuer? Ihre Familie war gut katholisch, dennoch wusste sie, dass sie ihr mit ihrem Weggang einiges zumuten würde. Ihre Mutter sagte zwar einmal, "ich glaub', die geht noch mal ins Kloster", hatte es jedoch nicht ganz wörtlich gemeint.

Mitten im Leben: Rosa Maria Dick steht als Generaloberin dem Orden vor. (Foto: Stephan Rumpf)

So klar wie die Berufung war Rosa Maria Dick aber auch die Wahl des Ordens. Sie schweige zwar gerne - "weil ich auch gerne rede" - doch ein kontemplativer Orden kam nicht infrage. Sozial tätig wollte sie auch sein. Sie dachte zurück an die Vinzentinerinnen, die ihr einst ihr Kommunionkleid gespendet hatten: "Hoffentlich haben die die Flügelhauben nicht mehr." Hatten sie nicht. Schwester Rosa Maria lacht. Am Rosenmontag 1975, einen Tag vor ihrem 21. Geburtstag, trat sie ein. Sie merkt sich solche Daten, oftmals sieht sie Bezüge, Zeichen, die Hand Gottes in vermeintlichen Zufällen: "Zufall bedeutet, das Fällige kommt mir zu", sagt sie, und: "Gott hat viele Wege, die Menschen zu berufen."

1977 legte sie ihr erstes Gelübde ab, alleine, ohne Mit-Novizin. Sie durfte ihren Geburtsnamen behalten, der auch der Name ihrer Mutter ist, was ihr inzwischen viel bedeutet. Im Noviziat konnte sie die Krankenpflegeschule des Ordens besuchen, arbeitete fünf Jahre im damaligen Vinzentinum in Ruhpolding als Krankenschwester - und das hätte aus ihrer Sicht auch ruhig so bleiben können. Doch die damals Verantwortlichen sahen, dass auch die Jugendarbeit, die Noviziatsbegleitung ihr liegen könnte. Sie machte zahlreiche Fortbildungen, etwa Mentorenausbildung, Gesprächsführung, Exerzitienanleitung, Theologie im Fernkurs. Nicht immer war alles leicht, denn schon damals gewann der Orden selten neue Mitglieder, immer wieder war sie Noviziatsleiterin ohne Novizin. Aber sie hat aus ihrer Familie ein sicheres emotionales Fundament mitbekommen.

In Berg am Laim steht das Mutterhaus des Ordens. (Foto: privat)

Später arbeitet sie in der Krankenhausseelsorge in der Maria-Theresia-Klinik, übernimmt dann die innerbetriebliche Fortbildung, eine große Aufgabe, denn die Barmherzigen Schwestern unterhalten zwei Krankenhäuser, sechs Alten- und Pflegeheime, eine Berufsfachschule für Krankenpflege sowie die Adelholzener Alpenquellen GmbH, in denen insgesamt an die 1500 weltliche Mitarbeiter beschäftigt sind. Und sie ist verantwortlich für Haus Mechtild in der Innenstadt, wo der Orden die Angehörigen von Krankenhauspatienten unterbringt und eine Suppenküche für Obdachlose unterhält.

Zweifel an ihrem Entschluss hat sie nie, denn sie liebt die Gemeinschaft wie früher die Großfamilie. Mit etwa 30, als die früheren Freundinnen Kinder bekommen, schaut sie ihr Leben genau an und ist sicher: "Es ist fruchtbar. Es gibt nicht nur die biologische Fruchtbarkeit. Es hat Wirkung." Reich war es, weil sie immer viele Aufgaben hatte. Aber Stress kommt in ihrem Wortschatz ebenso wenig vor wie müssen: "Ich sag' lieber: Ich kann, ich will, ich werde. Ich schau' mir an, was wirklich wichtig ist. Und das andere lass' ich weg." Und sie hat Kraftquellen, zum einen die morgendliche Laudes, die Andacht, das Frühstück mit den Mitschwestern, zum anderen auch das Wandern, das Pilgern, ob nach Altötting oder auf dem Jakobsweg. Und das Singen, auch eigener Lieder. 2002, zu ihrem 25-jährigen Ordensjubiläum, das auch ihre ganze Familie mit ihr feiert, wählt sie als Sinnspruch ein Zitat aus einem Psalm: "Auf schönem Grund fiel mir mein Erbe zu. Mein Erbe gefällt mir gut."

Als die rund 230 Schwestern der Kongregation im Frühjahr auch sie vorschlagen für die Wahl zur Generaloberin, merkt sie, dass sie ernsthaft rechnen muss mit der Möglichkeit, gewählt zu werden für die nächsten sechs Jahre mit Option auf einmalige Verlängerung. Sie sieht es positiv. Das neue Amt verändert ihr Leben, denn sie muss Veränderungsprozesse begleiten in einem Orden, in dem das Durchschnittsalter bei 80 liegt, die eigenen Krankenhäuser klein und menschlich sind und doch rentabel bleiben müssen. Aber sie glaubt an das Potenzial in jeder Mitschwester, in jedem Mitarbeiter, in jeder Lage: "Wir haben uns die Ordenssituation realistisch angesehen - und wir sind offen für andere Formen des gemeinschaftlichen Lebens." In Österreich etwa gebe es bereits ein freiwilliges Ordensjahr. Die Vinzentinerinnen teilen ihre Altenheime bereits mit anderen Orden, haben in ihrem Mutterhaus in Berg am Laim schon die Missionarinnen Christi mit aufgenommen. Und sie haben einen Lichtblick: Zwei junge Frauen beginnen an Lichtmess ihre "Kandidatur", das heißt, sie wollen den Orden näher kennenlernen. Die eine ist 32, die andere eine 18-jährige Studentin. Schwester Rosa Maria sagt das ohne großes Tamtam, sie freut sich einfach.

© SZ vom 18.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: