Rückkehrhilfe München:Wenn Flüchtlinge zurück in die Heimat wollen

Rückkehrhilfe München: Marion Lich leitet seit 1996 das Büro für Rückkehrhilfen.

Marion Lich leitet seit 1996 das Büro für Rückkehrhilfen.

(Foto: Catherina Hess)

Marion Lich unterstützt Menschen, die Deutschland wieder verlassen möchten. Für die Stadt München ist das ein humanitäres Projekt - das sich finanziell lohnt.

Von Thomas Anlauf

Plötzlich steht ein Mann mitten im Lokal und beginnt aufgeregt zu reden. Er wisse nicht mehr weiter, sagt Darko Z. in den Raum hinein. "Aber es stand doch in der Zeitung: Hier gibt es gute Arbeit und Wohnungen, jeder verdient 3000 Euro." Seine Augen sind gerötet, er hat in den vergangenen Nächten im Hauptbahnhof geschlafen. Weil er in München keine Arbeit und keine Wohnung gefunden hat.

Zwei Wochen zuvor war der 58-Jährige mit dem Reisebus aus dem kroatischen Split gekommen. Dort arbeitet er als Maler, von dem geringen Einkommen könne er nicht mehr leben, sagt er. Aber hier in München kann er auch nicht Fuß fassen. Er hat sich das alles ganz anders vorgestellt. 15 Euro hat er jetzt noch in der Tasche - und ein Rückfahrticket nach Split. Darko Z. will nur noch zurück.

Marion Lich sitzt in ihrem Büro und blickt auf eine Weltkarte. Sie nickt. Geschichten wie diese hat sie schon oft gehört. Allerdings von Menschen, die aus ganz anderen Weltgegenden kommen und nicht aus einem relativ nahen Urlaubsort wie Split. "Selbst in Iran hat sich die Gerüchtewelle verbreitet, dass man in Deutschland alle möglichen Leistungen bekommt: Haus, Auto und Arbeit mit zwei- bis dreitausend Euro Gehalt", sagt sie und schüttelt den Kopf. "Das ist ein Riesenproblem." Nicht, dass die Menschen nach Deutschland kommen.

Sondern, dass sie hier in ihren Hoffnungen enttäuscht werden und finanziell vor dem Nichts stehen. Aus dem Traum wird dann ein Albtraum.

Marion Lich weiß, wie es sich anfühlen muss, nach einer langen Flucht in Deutschland anzukommen und sich hier zurechtfinden zu müssen. Sie leitet im Münchner Sozialreferat das "Büro für Rückkehrhilfen", seit seiner Gründung vor 20 Jahren. Seither hat sie mit Tausenden Flüchtlingen gesprochen, sich ihre Geschichten angehört und versucht, ihnen zu helfen, wenn sie Deutschland wieder verlassen sollen - oder wollen.

"Die Asylverfahren dauern lange. Da braucht man sehr viel Geduld und muss starke Nerven haben", sagt Lich. Das monatelange Warten in Gemeinschaftsunterkünften ist frustrierend. Wer die Zeit nicht nutzt, um Deutsch zu lernen, oder Kontakte zu knüpfen, kann schnell psychische Probleme bekommen.

Lich erzählt von afrikanischen Patienten im Bezirkskrankenhaus Haar, die unter Identitätsstörungen litten. Einige gingen schließlich zurück in ihre alte Heimat, obwohl sie medikamentös behandelt wurden. Doch als sie wieder in ihrem vertrauten Umfeld waren, sei es ihnen deutlich besser gegangen. "J'ai retrouvé le goût de la vie", schrieb ein Mann, der nach Burkina Faso zurückgekehrt war: "Ich habe wieder Geschmack am Leben gefunden."

Es mag zynisch klingen - aber das Projekt lohnt sich auch finanziell

Vier Räume entfernt von Lichs Büro sitzen zwei junge Männer aus Afghanistan. Der eine möchte unbedingt wieder nach Hause. Er kommt mit dem neuen Leben in Deutschland nicht zurecht. In seiner Heimat bestimmt oft die Großfamilie das Leben, junge Männer werden an Verwandte empfohlen, wo sie Arbeit und Unterkunft finden. Sich selbständig um das eigene Leben zu kümmern, falle manchen Afghanen schwer, sagt Lich.

Einige gehen deshalb lieber wieder in das Land zurück, in dem Gewalt und Terror an der Tagesordnung sind. Nicht so der zweite junge Mann in dem Beratungszimmer. Leise spricht er mit seinem Landsmann und übersetzt. Er hat in München gerade den Quali gemacht und möchte über ein Praktikum beim Sozialreferat einen Ausbildungsplatz bekommen. Der junge Afghane hat gute Chancen, als Übersetzer könnte man ihn im Büro für Rückkehrhilfen sicherlich gebrauchen.

Rückkehrhilfe München: An der Pinnwand hängen Dankesbriefe.

An der Pinnwand hängen Dankesbriefe.

(Foto: Catherina Hess)

Das siebenköpfige Team muss flexibel sein, wenn es um die Beratung von Migranten geht. In jüngster Zeit sind es vor allem Iraner und Afghanen, die nach Hause wollen, im Jahr davor kehrten fast ausschließlich Menschen aus Albanien und Kosovo zurück. Sie hatten kaum Chancen, dass ihre Asylanträge anerkannt werden.

Trotzdem können die Rückkehrberater helfen. Das Team kümmert sich darum, dass die Menschen kostenlos in ihr Heimatland gebracht werden, dazu gibt es häufig ein wenig Startgeld für einen Neuanfang. "Wir helfen aber auch bei der Existenzgründung", sagt Lich.

Dazu gibt es immer wieder Kurse im Sozialreferat. Viele besuchen die einwöchigen Seminare zunächst skeptisch. Aber nach wenigen Tagen seien die meisten hoch motiviert für einen Neuanfang. "Sie spüren, sie können ja was, sie sind ja wer", sagt Lich. Oftmals besuchen Mitarbeiter der Rückkehrhilfen die Leute später vor Ort und schauen nach, ob die Starthilfe ausgereicht hat, ob sie noch was brauchen für ihr neues Leben.

Bis zu zwei Jahre können die Rückkehrer finanziell unterstützt werden. Die Gelder dafür stammen zum großen Teil von der Europäischen Union und vom Freistaat, die Stadt zahlt lediglich einen Teil der Kosten. 50 000 Euro jährlich stehen dem Büro von städtischer Seite zur Verfügung, um Menschen zu helfen, die von EU-Hilfen ausgeschlossen sind - etwa EU-Bürger ohne Fluchthintergrund. Mit dem Budget wurden aber auch drei Hilfsprojekte in Rückkehrländern unterstützt.

"Das ist eine wunderbare Aufgabe"

Es klingt für einige Flüchtlinge, die Deutschland wieder verlassen, womöglich zynisch: Aber für die Stadt ist das Büro für Rückkehrhilfen nicht nur ein humanitäres Hilfsprojekt. Durch die Rückkehrförderung der EU und der Stadt wurden im vergangenen Jahr nebenbei mehr als 1,4 Millionen Euro an Sozialleistungen gespart.

Marion Lich ist auch nach 20 Jahren noch überzeugt von ihrer Arbeit. "Das ist eine wunderbare Aufgabe", sagt die 57-jährige Politologin. An einer Pinnwand hängen Dankesbriefe und Postkarten aus aller Welt - von Menschen, die dank des Münchner Projekts einen Neuanfang in der alten Heimat geschafft haben.

Hinter Marion Lichs Schreibtisch hängt ein Zettel mit dem Zitat eines kritischen Journalisten aus Osteuropa. Es könnte auch das Motto der Münchner Rückkehrhilfe sein: "Ich will nicht dahin flüchten, wo alles gut ist, ich will, dass alles gut ist, wo ich lebe."

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