Bau-, Verkehrs- und Energieprojekte:Im Westen ganz viel Neues

Am Stadtrand werden jetzt Technikideen der Zukunft getestet

Von Alfred Dürr

Es ist ein Blick in die Zukunft unseres Lebens in der Stadt. Im Münchner Westen kann man beispielhaft beobachten, wie sich innovative Technik etwa im Bereich der Energieversorgung, des Autoverkehrs oder bei der Verteilung von Gütern auf den Alltag der Bewohner eines Stadtviertels auswirkt. Intelligente Straßenlaternen, die aktuelle Wetter- oder Verkehrsdaten direkt an eine spezielle Stadtviertel-App weiterleiten, Leuchten, die kostenloses Wlan bereitstellen oder die als Ladesäulen für Elektroautos dienen - all das ist bald keine Utopie mehr.

Auch Plätze mit Standorten für verschiedene Sharing-Fahrzeuge oder attraktiv gestaltete Paket-Verteilstationen sind nicht länger reine Zukunftsmusik. Nicht zuletzt wird auch der "sozialverträglichen energetischen Sanierung" der teils alten Wohnblöcke ein sehr hoher Stellenwert eingeräumt.

Erstmals eröffnet nun in München ein sogenanntes Stadtteil-Labor für das Projektgebiet Neuaubing-Westkreuz und Freiham. Dort können sich Bürger nicht nur über die neuen Formen der Urbanität informieren, sondern auch bei der Entwicklung des Konzepts mitentscheiden. Die erste Veranstaltung findet am 2. Juni um 18 Uhr im Paul-Ottmann-Zentrum an der Radolfzeller Straße 5a statt.

"Smarter Together" heißt das Programm, das Bürgermeister Josef Schmid (CSU) mit "gemeinsam sind wir schlauer" übersetzt. Es gehe darum, den Alltag der Bürger zu verbessern. Deshalb sei es auch so wichtig, dass sie das Projekt mitgestalteten. Es gebe dazu viele Ansätze und Ideen, sagt Schmid, "aber was letztendlich gebraucht wird, entscheiden die Bürger selbst". Die Stadt will dazu "interessante Beteiligungsmöglichkeiten" schaffen.

Der englische Name für das Projekt deutet darauf hin, dass es weit über den Stadtteil oder über München hinaus reicht. Gefördert wird es von der Europäischen Union, beteiligt sind verschiedene Bereiche der städtischen Verwaltung. Mit dabei sind nationale und internationale Industrie- und Forschungspartner, Non-Profit-Organisationen sowie hochspezialisierte kleine und mittlere Unternehmen. Das Projektmanagement liegt beim Münchner Referat für Arbeit und Wirtschaft. Die Abläufe im Projektgebiet koordiniert die Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS).

Man werde mit großem Interesse die "digitale Transformation der Stadtgesellschaft" beobachten, sagt Stephan Reiß-Schmidt, der im Münchner Planungsreferat für Stadtentwicklung zuständig ist. Die Bürger sollten von den Innovationen profitieren; neue Probleme, etwa im Bereich des Datenschutzes, dürften nicht entstehen. Auf keinen Fall werde man den Bürgern in dem Modellquartier etwas von oben vorschreiben.

Lyon, Wien und München gelten als "Leuchtturmstädte" im Hinblick auf die innovativen Techniken. Außerdem beteiligen sich auch Santiago de Compostela, Sofia und Venedig. Sie wollen Erkenntnisse und Ergebnisse aus "Smarter Together" für sich umsetzen. Münchens Partnerstadt Kiew ist als Beobachterin eingebunden.

Jetzt haben die Bürger das Wort. Das Vorbild ist kein geringerer als Dostojewski

Lernen kann man beispielsweise, wie man durch großflächige, energetische Wohnhaussanierungen sogenannte Niedrigenergie-Quartiere schaffen kann. "Das gibt dem Stadtviertel am Stadtrand einen enormen Schub", sagt MGS-Chef Ulf Millauer. Ein Teil der Kosten, die für die Wohnungseigentümer anfallen, würde durch die EU-Förderung getragen. Die magische Zahl für das Projektgebiet laute "20", sagt Bürgermeister Josef Schmid: "Wir möchten mehr als 20 Prozent CO₂ einsparen, mehr als 20 Prozent erneuerbare Energien nutzen und die Energieeffizienz um mehr als 20 Prozent steigern."

Aber zunächst haben im Stadtteil-Labor die Bürger das Wort. Ihnen stehen Professor Ignacio Farias vom Munich Center for Technology in Society der Technischen Universität München mit seinen Mitarbeitern gemeinsam mit der MGS zur Seite. Farias ist Experte für Partizipationsforschung. Bei einem Wettstreit mit Kurzstatements zur Stadtentwicklung machte Farias kürzlich auf sich aufmerksam. Er gewann das Publikum mit seiner These, die reichlich schräg im Zusammenhang mit innovativer Beteiligungsforschung klingt: "Für eine idiotische Smart City."

Ausgangspunkt ist dabei Dostojewskis Roman "Der Idiot" mit seiner etwas weltfremden Hauptperson, die scheinbar peinliche Fragen stellt und nicht ernst genommen wird. Farias sagt, das Hinhören lohne sich, auch die Öffnung für das Unbekannte, das Ungewisse, für das Erkunden von alternativen Definitionen der Welt. Solche Gedankenblitze könnten jetzt auch in Neuaubing-Westkreuz zum Tragen kommen, nämlich bei der Suche nach dem Stadtviertel der Zukunft.

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