"Basket#6":Fahrstuhl? Beobachtungsposten? Kommandoraum?

Mitten in München steht seit kurzem ein seltsames Ding: fünf Meter hoch, zahlreiche Metalltüren, eine Wendeltreppe. Höchste Zeit für eine Erkundungstour.

Von Birgit Sonna

(SZ vom 11.9.2003) — Es könnte eines der Fahrstuhlgehäuse in den U-Bahn-Untergrund sein. Doch seit wann sind diese organoid wie Amöben geformt und bestehen zudem aus wind- und wetterdurchlässigem Gitterrost? Also nichts wie rein ins doppelwandige Gitterhaus am Königsplatz, auf dass die zwielichtige Funktion erkundet werden kann.

Ein roter, quallenartig marmorierter Boden verleiht einem das merkwürdige Gefühl, auf einer zellophanverpackten Gallertschicht zu wandeln. Offenbar handelt es sich bei dem Gehäuse lediglich um eine Fahrstuhlattrappe: Abwärts in den U-Bahn-Schacht darf der Betrachter jedenfalls nicht, dafür geht es durch eine der verwirrend vielen Metalltüren und über die Wendeltreppe hinauf in den ersten Stock des Käfigs. Von hier aus hat man einen im wahrsten Sinne gebrochenen Blick auf die Propyläen. Es ist, als sei man in die Kammer eines technoiden Serails transplantiert worden.

Vielleicht handelt es sich auch um eine geheime Kommandozentrale. Schließlich stehen auf der ersten Etage noch drei weiße Lederbürostühle wie auf einem verwaisten Beobachtungsposten herum.

Ein Kuckucksei für die Öffentlichkeit

Die luftige Pavillonarchitektur auf dem Museumsplatz nahe des Lenbachhauses stammt von dem ingeniösen Künstlerpaar Wolfgang Winter und Berthold Hörbelt. Ein wunderbares Kuckucksei haben die beiden hier im Auftrag der Städtischen Galerie gelegt. Es ist nicht das erste Mal, dass das im öffentlichen Raum routinierte Duo industriell vorgefertigte Materialien in einen frappanten Konstruktionszusammenhang setzt.

Wer 1997 bei den Münsteraner "Skulptur. Projekten" war, wird sich an die aus gestapelten Mineralwasserkästen gebauten Pavillons erinnern. Jetzt markieren Winter/Hörbelt in "Basket #6" mit gemeinhin für Kellerfenster und verbotene Zugänge vorgesehenen Gitterrosten die durchlässig gewordene Grenze zwischen öffentlichem und privatem Raum.

Skulptur und Architektur zugleich, wirft das pseudofunktionale Zwitterwerk die Frage nach dem Schutz des Privaten vor zudringlichen Blicken auf. Auch der beengte Umgang in der doppelwandigen Schleife des Konstrukts verspricht manipulative Raumeindrücke. Vorstellbar, dass ein gehässiger Verkehrshüter von dem erhabenen Stützpunkt aus notorische Rotlichtgänger ins Visier nimmt. Passanten bietet "Basket #6" einen kurzweilig gefilterten Einblick in das Treiben am Königsplatz. Hinter Gittern, auf sechs Metern Höhe nimmt sich der Ort fremd aus.

Nach Jeppe Heins interaktivem Brunnen und Michael Sailstorfers autobetriebenem Sonnensystem ist Winter/Hörbelts begehbare Skulptur das dritte gelungene Kunstprojekt vor dem Lenbachhaus. Somit ist die frech als "Museumsplatz" ausgewiesene Agora gegenwärtig der einzige Ort in der Stadt, wo kontinuierlich öffentliche Kunst auf hohem Niveau gedeiht. In kunstpolitisch miserablen Zeiten wie diesen merkt man erst richtig, was man am Lenbachhaus eigentlich hat (bis Dezember).

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