Sparkasse:Wenn der Banker sich nicht mehr über das Geld seiner Kunden freut

Georg Simbeck, Filialleiter bei der Stadtsparkasse in der Innenstadt

Georg Simbeck hat als Banker schon einiges erlebt, aber nie eine so kuriose Situation wie derzeit.

(Foto: Florian Peljak)

Georg Simbeck arbeitet seit mehr als 40 Jahren bei der Münchner Stadtsparkasse. Jetzt muss er Kunden erklären, warum er kaum noch Geschäfte mit ihnen macht.

Von Pia Ratzesberger

Er weiß noch, wie es früher war. Die Halle der Bank war voll, seine Ledermappe auch, in jeder Lasche eine Währung. Lire, US-Dollar, Francs. Drachmen, Pfund. Er weiß noch, wie er die Scheine an der Kasse zählte, daneben die Liste mit den Wechselkursen. Ein US-Dollar = 2,46 Deutsche Mark. Die Chefs schickten ihn manchmal zur Post, die Frankiermaschine aufladen, die Chefs sagten, ein Brief sei die Visitenkarte der Bank. Er weiß noch, dass der erste Versuch nie durchging, er schrieb den Brief noch ein zweites Mal, ein drittes Mal. Er trug am Anfang immer Rollkragenpullover. Nie Krawatte.

Die Halle der Bank ist leer an diesem Freitag, nur die vorderen zwei Schalter sind geöffnet, zwei von sechs. Georg Simbeck trägt Krawatte, er trägt Anzug. Am linken Revers ein goldener Anstecker. Das S der Stadtsparkasse. Er ist Filialleiter im Hauptgebäude, gleich beim Marienplatz, er ist 59 Jahre alt. 41 Jahre bei der Stadtsparkasse. Er war dabei, als sie die offenen Kassen wegbrachten, als sie die ersten Euromünzen ausgaben und während der Finanzkrise stapelweise Goldbarren. Jetzt muss er seinen Kunden zum ersten Mal erklären, dass die Bank ihnen kein Geld mehr für ihr Geld zahlt. In den 41 Jahren hat sich viel verändert für Georg Simbeck, für die Stadtsparkasse München. Für die deutschen Banken.

Eine Frau hat gerade die Münzen für ein Standl am Viktualienmarkt abgeholt, gleich an der Bürotüre, zwei Lagen mit Ein-Euro-Münzen, zweimal 50 Cent, einmal ein Euro. 1200 Euro. Simbeck hat die Münzen früher noch selbst in Papier eingerollt, habe er zu lasch gedreht, sei alles wieder auseinander gefallen. Es klopft an seiner Tür. Simbeck hat 80 Mitarbeiter in seiner Filiale, irgendjemand will immer etwas.

Diesmal eine Beraterin, sie hat gerade einen Kunden aus Argentinien im Büro, er möchte ein Konto eröffnen für seinen Schwiegervater, das Geld aber käme von der Tochter. Wie das jetzt laufe, fragt sie, er sei wohl sehr vermögend, 70 000 bis 400 000 Euro könnte er anlegen. Früher hätte Simbeck wahrscheinlich gelächelt. Jetzt kneift er die Augen zusammen. Er sagt: "Nicht, dass der das Geld bei uns nur parken will."

Als Simbeck seine Ausbildung beginnt, sagen die Freunde noch: "Bankkaufmann, nicht schlecht, Mensch". September 1975. Filiale an der Ecke Naupliastraße, Säbener Straße. Der Banker gilt noch als Ehrenmann und nicht als Zocker. Banken verdienen ihr Geld mit Zinsen.

Keine Freude mehr über das Geld von Kunden

Das Modell war seit Jahrhunderten das gleiche, der eine hat Geld und leiht es der Bank, die zahlt ihm einen Zins. Der andere braucht Geld und leiht es sich von der Bank, die verlangt einen Zins, die Differenz ist ihr Gewinn. 2016 hat die Stadtsparkasse München mit dem Zinsgeschäft 271 Millionen verdient, das mag nach viel Geld klingen, wichtiger aber ist, dass es 16 Millionen weniger waren als im Jahr zuvor. Die Europäische Zentralbank (EZB) verlangt von den Banken mittlerweile Negativzinsen, wenn die über Nacht ihr Geld bei der EZB lagern. Sie müssen also für etwas zahlen für das sie früher Geld bekamen. Und Georg Simbeck ist in der absurden Situation, dass er sich über das Geld seiner Kunden nicht mehr so richtig freuen kann.

Die Beraterin wartet auf eine Ansage, der Argentinier würde investieren wollen, sagt sie, also später, erst einmal aber braucht er nur das Konto. Man müsse vorsichtig sein, sagt Simbeck, er lehnt sich auf seinem Bürostuhl zurück, die Arme auf den Lehnen. "Kunden, die keine Geschäftsbeziehung eingehen wollen, sind nicht gewollt." Auf dem Schrank von Simbeck stehen drei silberne Pokale. Fußballturniere der Stadtsparkasse. Simbeck hat acht Anzüge. Für jeden einen eigenen Stecker mit dem goldenen S.

Manchmal sitzt ihm in diesem Büro so jemand gegenüber, der eigentlich nichts mit seiner Stadtsparkasse tun haben will, der das Geld nur bei einer Bank unterbringen möchte, bei der er nichts zahlen muss. Simbeck erklärt dann, dass die Bank ohnehin weniger verdiene, dass sie von kommendem Jahr an wohl keinen Gewinn mit den Einlagen ihrer Kunden mehr machen. Sie es sich also nicht leisten können, dass viel Geld nur auf dem Konto liegt und die Stadtsparkasse bei der EZB zahlen muss.

Das Wort "Negativzins" hört man hier nicht so gerne

Wie schwer sich die Banken in diesen Zeiten tun, gerade die kleinen, regionalen, sieht man links neben dem Schreibtisch von Simbeck. Da steht jetzt kein Drucker mehr. Keiner der Berater hat mehr einen Drucker seit ein paar Wochen, auch nicht der Chef. Die Bank versucht an kleinen Beträgen zu sparen, hat ihre Mitgliedschaft in der Tourismusinitiative der Stadt gekündigt, die kostete gerade einmal 1000 Euro im Jahr. Und Georg Simbeck teilt sich seinen Drucker nun mit vier Kollegen.

Kaum eine deutsche Bank gibt die Negativzinsen der EZB bisher an Privatleute weiter, außer einer Raiffeisenbank in Gmund am Tegernsee, deren Vorstand bekam Anrufe von Journalisten aus dem ganzen Land. Bei Firmenkunden aber ist das anders, von manchen verlangt auch die Stadtsparkasse einen Negativzins. 0,4 Prozent, das ist der Referenzzinssatz der EZB. Das Wort "Negativzins" hört man hier in den Gängen allerdings nicht so gerne, sie sprechen lieber von "Verwahrentgelt". Klingt nicht so negativ.

Simbeck läuft die Kellertreppe hinunter, die Tür des Tresors ist einen halben Meter breit, öffnet automatisch, dahinter ein Raum wie man ihn aus Agentenfilmen kennt. Nur Regale, meterhoch, 5000 Schließfächer. Alle vermietet. Immer mehr seiner Kunden legen Bargeld nun in einen Safe mit der Fläche eines DIN-A4-Blatts, ab fünf Zentimetern Höhe kostet ein Fach 70 Euro im Jahr, ab 20 Zentimetern 160 Euro. "Eine halbe Million Euro ist dann als Bargeld so ein Packerl", sagt Simbeck, er zeichnet mit den Händen ein Paket in die Luft, kleiner als ein Schuhkarton. In Fächern von Verstorbenen haben sie hier Unterwäsche und Urnen gefunden, auch mal einen toten Kanarienvogel. Jetzt liegen in einigen der Fächern mehr und mehr Scheine. Und Gold.

Die griechische Regierung verhandelte gerade mit dem Internationalen Währungsfonds, vielleicht war es das Jahr 2010 oder 2011, so genau weiß Simbeck das nicht mehr, auf jeden Fall waren es die Jahre der Staatsschuldenkrise in Griechenland. Die Leute standen in so langen Reihen in der Halle wie er das ewig nicht mehr gesehen hatte, sie wollten Gold. Simbeck wog die Barren, täglich neue Lieferungen, er kam kaum nach, auch die Lieferanten nicht. Von Bestellung bis Ausgabe dauerte es manchmal sechs, sieben oder acht Wochen, die Barren stapelten sich, er zeichnet mit seinen Händen ein Paket in die Luft. Größer als ein Koffer.

In den Nullerjahren waren plötzlich Aktien in Mode

Viele Mitarbeiter vieler Banken reden nicht so gerne über die Finanzkrise, über das Jahr 2009, das Jahr 2010, Simbeck aber schon. Zur Stadtsparkasse nämlich seien damals einige Kunden mit großem Vermögen gekommen, die bisher bei den großen Banken waren, denen sie nun nicht mehr trauten. "So haben wir ein Stück vom Kuchen abbekommen, das wir sonst nicht gekriegt hätten." Er grinst.

Zurück im Büro klopft es an der Tür, eine Mitarbeiterin kommt herein, Jour fix, Termin einmal die Woche. Einer aus ihrem Team führe nun schon sehr gute Gespräche mit Kunden. Die Wertpapierberatung aber müsse er noch lernen. Georg Simbeck nickt, er weiß ja. Seine Leute müssen jetzt immer zig Formulare ausfüllen, einen Wertpapierhandelsgesetz-Bogen der Bundesfinanzaufsicht zum Beispiel, den WPHG-Bogen und noch ein paar andere Protokolle, das sei aufwendig. Da könne man den Leuten nicht mehr irgendetwas verkaufen, aber sie hätten hier bei der Stadtsparkasse sowieso noch nie Provision bekommen. "Niente", sagt Simbeck. Sein Telefon klingelt. Schon wieder.

Simbeck rollt auf seinem Bürostuhl nach links, blickt auf den Display. Jeder Anruf an seine Privatkundenberater wird ihm angezeigt, es sind wohlgemerkt 24, er kontrolliert, welche Nummer anruft, welche rangeht. Wenn niemand von seinem Team abnimmt, hakt er nach. "Wir gehen immer aktiv auf unsere Kunden zu." Früher kamen die Leute noch in die Halle, Simbeck kannte jeden seiner Kunden. Heute ist er froh, wenn sie anrufen.

Als er in der Filiale in der Lindwurmstraße arbeitete, vergab er einen Kredit nach dem anderen, er füllte die Formulare mit der Hand aus, mit Kugelschreiber, kräftig aufdrücken, wegen des Durchschlags. Er gab noch Bundesschatzbriefe aus, auch Sparkassenbriefe, manche Anlagen brachten 5,6 Prozent Zinsen. "Erklären Sie einem 75- oder 80-Jährigen einmal, dass Sie einen Investmentfonds haben, der im vergangenen Jahr drei Prozent ausgeschüttet hat, aber dass es dieses Jahr vielleicht anders ist."

Er weiß noch, wie 75-Jährige und 80-Jährige damals zu Beginn der Nullerjahre an den Schaltern die Zeitungsausschnitte mitbrachten. Telekom-Aktien wollten sie kaufen, auch wenn "manche nicht einmal Aktie schreiben konnten". Sie wollten in den neuen Markt investieren, von dem sie sich steigende Kurse erhofften, hohe Gewinne. Der aber hohe Verluste brachte.

Die Kasse ruft Simbeck herüber, "schauen Sie mal der neue 50er", ein Mitarbeiter streckt den Schein aus dem Schalter, der soll fälschungssicherer sein. Simbeck legt den neuen neben den alten Schein. Nichts, sagt er, war so gewaltig wie damals 2001 die Umstellung auf den Euro. Simbeck hat noch immer eines der Starterkits in seinem Safe. 20 Euromünzen. Die ersten, die sie überhaupt ausgegeben haben, falls die mal mehr wert werden. Manche hätten damals nach einem Tausend-Euro-Schein gefragt. In Mark gab es den ja auch.

Die Schalter schließen bald, es ist kurz vor vier Uhr am Nachmittag, sie prüfen gerade noch einmal die Kassen, darin der neue 50er, "Wir stimmen!", ruft einer Georg Simbeck zu. Der geht noch einmal durch die Halle, vorbei an den Schreibtischen, prüft, ob alle Unterlagen weggesperrt sind, alle Aktenordner verräumt. Sechs von sechs Schaltern sind jetzt zu, es ist vier Uhr am Nachmittag. Voll war es ohnehin nicht.

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