Balkone in München:Die exklusivste Sonnenterrasse Münchens

Balkone in München: "Erkämpft": Klinik-Direktor Peter Bartenstein auf dem Balkon der Nuklearmedizin in Großhadern.

"Erkämpft": Klinik-Direktor Peter Bartenstein auf dem Balkon der Nuklearmedizin in Großhadern.

(Foto: Catherina Hess)

Für Neid ist hier aber kein Platz: Die Sonnenterrasse der Nuklearmediziner in Großhadern ist Patienten vorbehalten, deren Krebserkrankung auf der Station therapiert wird - weil sie radioaktiv strahlen.

Von Stephan Handel

Jetzt ein Gin Tonic, der Sonne beim Untergehen zusehen im Westen, da kommt Martinsried, dann kommt der Ammersee, dann kommt Frankreich, und dann kommt der Ozean. Ein Traum natürlich - in der Wirklichkeit ist nicht nur der Weg zum Atlantik versperrt, sondern sogar schon der hinaus auf den Gang, wo die Leute zwar auch krank sind, aber, wenigstens: Sie können sich frei bewegen.

Die exklusivste Sonnenterrasse Münchens liegt an der westlichen Schmalseite des Klinikums Großhaderns. Den Zugang dorthin kann sich niemand erkaufen, nicht mit Geld, nicht mit Wichtigkeit und mit etwas anderem auch nicht. Die Leute, die sich auf dieser Terrasse die Sonne auf den Bauch scheinen lassen können, würden auf die Zugangsberechtigung wahrscheinlich liebend gern verzichten: Der Besuch der Terrasse ist nur Patienten der Station K0 (K Null) erlaubt, über deren Tür drohend ein Schild hängt "Kein Zugang", neben der Tür steht "Kontrollbereich Radioaktiv". K0, das ist die Station der Klinik für Nuklearmedizin am Universitätsklinikum. Die Patienten hinter der Tür strahlen. Aber nicht, weil sie sich freuen.

Peter Bartenstein ist der Direktor der Klinik, und er macht nicht den Eindruck, als habe er es tagtäglich nur mit Todgeweihten zu tun - so ist es auch nicht, berichtet er stolz: Beim Schilddrüsenkrebs zum Beispiel, da landet ein Drittel aller bayerischen Patienten bei ihm. Die wurden bereits operiert, nun soll die nuklearmedizinische Behandlung die letzten Reste des Krebses auch noch erledigen.

Das geschieht ganz unspektakulär mit einer Kapsel, die die Patienten schlucken. In ihr allerdings ist radioaktives Jod enthalten - weil die Schilddrüse das einzige Organ im Körper ist, das Jod braucht, weiß die Radioaktivität praktischerweise gleich, wo sie hinmuss. Die radioaktive Energie, die dabei verwendet wird, ist einigermaßen hoch. Peter Bartenstein spricht von Gray und Millicurie, das sind Einheiten, mit denen Laien nichts anfangen können. Schließlich lässt er sich, wenn auch offensichtlich mit Bauchgrimmen wegen erwiesener Unwissenschaftlichkeit, dazu überreden, von etwa 3700 Mega-Becquerel zu sprechen.

Zum Vergleich: Lebensmittel, die mit mehr als 600 Becquerel strahlen, dürfen in Deutschland nicht verkauft werden. Bartenstein traktiert seine Patienten mit einer mehr als sechs Millionen Mal höheren Dosis. Das ist auch der Grund, warum die Station K0 isoliert ist, warum die Patienten keinen Besuch bekommen dürfen und das Personal blaue Strahlenmesser an den Kitteln trägt: Die Patienten geben die Strahlung einige Tage nach der Verabreichung nach außen ab, solange dürfen sie sich nicht in der Öffentlichkeit bewegen. Bartenstein: "Wenn einer, der nicht weiß, dass er strahlt, im Zug neben einer sitzt, die nicht weiß, dass sie schwanger ist . . .", dann könnte das im Extremfall schlimme Folgen für das ungeborene Baby haben.

Die Vorsichtsmaßnahmen gehen so weit, dass sogar das Abwasser der Station in zwei großen Tanks ein Stockwerk tiefer aufgefangen wird: Die Patienten scheiden die Radioaktivität über den Urin, aber auch über ihren Schweiß aus, deshalb wird gesammelt, was aus Duschen, Waschbecken und Toiletten kommt, in den Tanks klingt die Radioaktivität ab, bis das Abwasser dann nach einiger Zeit in die Kanalisation abgelassen werden kann.

Balkone in München: Nur unter strengen Vorsichtsmaßnahmen darf die Station K0 betreten werden.

Nur unter strengen Vorsichtsmaßnahmen darf die Station K0 betreten werden.

(Foto: Catherina Hess)

16 Betten gibt es auf der Station, neben den Schilddrüsen-Karzinomen werden auch neuroendokrine Tumore im Magen-Darm-Trakt, Prostatakarzinome und Metastasen in der Leber behandelt. Die Patienten müssen für vier bis fünf Tage auf der Station bleiben - und weil ihnen der Gang vors Haus, in den Patientengarten, zum Raucher-Pavillon am Haupteingang verwehrt ist, hatte Bartensteins Vorgänger Klaus Hahn in den Neunzigerjahren die Idee, die Terrasse anzulegen.

Bartenstein sagt: "Er hat das erkämpft", und das gibt eine Ahnung davon, welche bürokratischen Hemmnisse zu überwinden waren, bis der Holzboden verlegt werden konnte, Stühle hinausgestellt wurden, ein paar Pflanzen und natürlich ein großer Aschenbecher. Zur Patientenstraße, an deren Ende die Station liegt, ist die Terrasse von einer Glaswand getrennt - und von dem ebenfalls gläsernen Zugang. Es soll schon vorgekommen sein, dass andere Patienten neidisch an der Glasscheibe standen und auf die K0-Patienten schauten - nicht wissend, warum diese vom Rest des Klinikums isoliert werden müssen.

Die Patienten-Terrasse ist nicht der einzige exklusive Sonnenfleck, über den Peter Bartenstein verfügt: Vor ein paar Jahren wurde die Radiopharmazie gebaut, wo das Klinikum die strahlenden Medikamente nun selbst herstellen kann. Dort gibt es einen Teilchenbeschleuniger und andere Gerätschaften, die sehr unangenehm werden können, wenn sie außer Kontrolle geraten - deshalb war der Bau eine Herausforderung für die Ingenieure, die es den Umwelttechnikern wie den Hygienikern gleichermaßen recht machen mussten.

Die Chemiker und Pharmazeuten, die dort im Labor arbeiten, bewegen sich den ganzen Tag in mehrfach gefilterter Luft - da freuen sie sich umso mehr, dass sich die Büro-Etage öffnet zu einer großzügigen Terrasse, auf der der Betrachter nicht anders kann, als sich Biertisch-Garnituren und den Duft von gegrilltem Fleisch vorzustellen. "Diese Terrasse", sagt Peter Bartenstein, "ist bei Bewerbern durchaus ein Argument. So etwas gibt es sonst nirgendwo." Und zusätzlich hat sie einen großen Vorteil gegenüber ihrem Gegenstück drüben auf der K0: Sie darf auch betreten, wer nicht schwer krank ist.

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