Bahnstreik:Prellbock und Zahlmeister

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Während des Ausstands müssen sich Servicekräfte am Bahnhof einiges anhören - und viele Kunden verlangen Geld zurück

Von Marco Völklein

Ihn als "Rotkäppchen" zu bezeichnen, damit hat Andreas Retzer kein Problem. "Ist doch nett", sagt der 53-jährige Service-Mitarbeiter der Deutschen Bahn (DB). Seit etwas mehr als zwei Jahren ist Retzer am Hauptbahnhof als mobile Servicekraft im Einsatz. Zu erkennen an der roten Mütze auf dem Kopf. Er gibt Reisenden Auskünfte, hilft Geh- oder Sehbehinderten beim Aus- und Umsteigen. Und weist ausländischen Kunden den Weg, wenn ein Zug von einem anderen Bahnsteig abfährt - und der Kunde die Durchsage aus dem Lautsprecher nicht verstanden hat.

An diesem Mittwoch ist Retzer auch wieder im Einsatz. Nur dass diesmal nicht nur ein paar Züge ausfallen oder verspätet eintreffen - nein, jetzt startet die mittlerweile neunte Streikwelle der Lokführergewerkschaft GDL. Nach Angaben der DB fällt im Regionalverkehr in Bayern gut jeder zweite Zug aus, im Fernverkehr kann der Konzern nur etwa jeden dritten Zug auf die Gleise schicken. Viele Kunden sind sauer, manche Bahnmitarbeiter gestresst.

Retzer aber bleibt ruhig. "Klar sind wir Servicemitarbeiter die Prellböcke in einer solchen Situation", sagt er. Beschimpfungen, auch mal Pöbeleien. Vieles hat er sich schon anhören müssen. Wie geht er damit um? "Man muss da ruhig bleiben", sagt er. Den Leuten erklären, dass er keine Schuld trägt am Ausstand der Lokführer. Und ihnen weiterhelfen, so gut es eben geht. Jeden Abend zum Beispiel rollt die Bahn während des Streiks ein paar Schlaf- und Liegewagen in die Haupthalle des Hauptbahnhofs, in denen gestrandete Passagiere übernachten können. Retzer schickt sie dann aufs Gleis 22, in den "Hotelzug".

Er erstattet: Anthony Schwaiger von der Bahn. (Foto: Marco Völklein)

Froh wäre er aber dennoch, sollte die Tarifauseinandersetzung, die sich nun schon seit Monaten hinzieht, irgendwann einmal zu Ende gehen. "Die Mehrbelastung für uns im Service ist enorm", sagt Retzer. Immer wieder werden er und seine neun Service-Team-Kollegen pro Schicht von Kunden angegangen, auch wenn sich viele mittlerweile auf den Streik eingestellt hätten. "Die Emotionen schlagen einfach hoch."

Ähnlich sieht es ein paar Meter weiter im Reisezentrum der Bahn aus. "Es gibt Kunden, die rasten auch mal aus", sagt der Leiter des Reisezentrums, Anthony Schwaiger. In den meisten Fällen könnten die Mitarbeiter das selbst regeln. Manchmal aber müssen sie Helfer der Bundespolizei rufen. In Streikzeiten deutlich öfter als sonst. "Etwa einmal am Tag", sagt Schwaiger, würden derzeit die Beamten alarmiert.

Normalerweise reichen der 51-Jährige und seine Kollegen im Reisezentrum eine Fahrkarte nach der anderen über den Verkaufstresen. Derzeit läuft es eher umgekehrt: Viele Kunden geben ihre bereits gekauften Fahrscheine zurück - und verlangen eine Erstattung des Fahrpreises. "Zur Zeit nehmen wir fast nichts mehr ein", sagt Schwaiger. Mit seinen 34 Verkaufsschaltern ist der Münchner Hauptbahnhof normalerweise die umsatzstärkste Verkaufsstelle im gesamten Bahnkonzern, sagt Schwaiger. Doch derzeit sieht es anders aus. "Wir zahlen fast nur noch aus."

Er berät die Kunden: Bahn-Mitarbeiter Andreas Retzer. (Foto: Marco Völklein)

Zumal zu Pfingsten große Nachfrage herrscht. "Das ist eine der Hauptreisezeiten." Zahlte die Bahn im Münchner Reisezentrum im April noch 42 000 Euro an Rückerstattungen aus, flossen im Mai bislang schon 40 000 Euro an die Kunden. Und diese Summe dürfte weiter steigen, je nachdem, wie lange der Streik läuft. Die Strategie der GDL, den Schienenkonzern ihre Macht spüren zu lassen, indem sie ihm wirtschaftlich schadet - hier im Reisezentrum geht sie voll auf. Schwaiger: "Das merken wir brutal."

© SZ vom 21.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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