Bahn-Chaos:"Die Schienen bröseln mir unter dem Hintern weg"

Mit der Bummel-Bahn durch Bayern: Marode Schienen und Baustellen bremsen den Zugverkehr von München in die Welt. Langsam wird es dramatisch.

Manfred Hummel

Wer in diesen Wochen mit der Bahn fährt, muss viel Geduld aufbringen. Die Züge haben noch mehr Verspätung als sonst, Anschlüsse werden verpasst, Bahnkunden kommen zu spät zu ihren Terminen. Hauptgrund ist das reparaturbedürftige Streckennetz des Unternehmens in Bayern. Marode Schienen und zahlreiche Baustellen lassen die Züge buchstäblich durchs Land zuckeln.

35 Großbaustellen sind es zurzeit allein im Freistaat. "Wir sind unzufrieden mit den vielen Langsamfahrstellen, das verschlechtert die Qualität", klagt Kord Simons, Leiter der Abteilung Infrastruktur der Bayerischen Eisenbahn-Gesellschaft BEG. Wenn die Bahn heute auf ihrer Pressekonferenz zum Fahrplanwechsel vom "Regionalverkehr mit einmaligem Spitzentempo" auf der neuen ICE-Strecke nach Nürnberg schwärmt wird, ist das nur ein Teil der Wahrheit.

Schienenwechsel überfällig

"Die Schienen bröseln mir unter dem Hintern weg", zitiert der Betriebsrat der DB Netz AG ein Vorstandsmitglied des Netzbetreibers. "Jahrelange Flickschusterei, wo eigentlich schon längst ein Schienenwechsel notwendig gewesen wäre, und leere Instandhaltungsbudgets führten zur dramatischen Verschärfung der Situation", heißt es in der Betriebsrats-Info.

Jetzt rächt sich, dass der Bund über Jahre zu wenig Geld für die Instandhaltung des Schienennetzes ausgegeben hat. Einen Nachholbedarf von mehreren Milliarden Euro prognostiziert das Netzwerk Privatbahnen, eine Vereinigung europäischer Eisenbahngüterverkehrsunternehmen.

Obwohl die Bahn seit 1994 privatrechtlich als Aktiengesellschaft firmiert, gehört sie nach wie vor zu 100 Prozent dem Bund. Dieser ist verpflichtet, das Schienennetz zu unterhalten. Knapp 800 Millionen Euro werden heuer für diesen Zweck im Freistaat verbaut. Meldungen, wonach es in Bayern bis Mitte Oktober mehr als 600 Langsamfahrstellen gegeben hat, wollten Bahnsprecher allerdings nicht bestätigen.

Das sei immer eine Momentaufnahme, die keine fundierten Rückschlüsse auf die Qualität der Infrastruktur zulasse. Die aktuelle Zahl der Tempolimits hält die Bahn unter Verschluss, sogar intern.

Der Winter kommt - die Zeit drängt

"Die Lokführer durften mir nichts sagen", berichtet Diethard Binder, Bezirksvorsitzender der Verkehrsgewerkschaft GDBA. Die Bahn dementiert auch, dass die Pünktlichkeit in der ersten Jahreshälfte auf 82 Prozent gesunken sei. Die Bahn sei in den Jahren 2004 und 2005 mit über 90 Prozent Pünktlichkeit im Personenverkehr unterwegs gewesen und wolle dieses Ziel auch heuer erreichen, heißt es.

Ein ehrgeiziges Vorhaben, denn in diesem Herbst hemmen mindestens 35 Großbaustellen den Zugverkehr in Bayern. Langsam gefahren wird unter anderem auf den Strecken Nürnberg-Augsburg, Hannover-Würzburg, München-Garmisch-Mittenwald, München-Ingolstadt-Treuchtlingen, München-Ulm und München-Regensburg. Da nahezu alle Baustellen "unter dem rollenden Rad" stattfinden, müssen die Züge aus Sicherheitsgründen die Geschwindigkeit reduzieren.

Die Bahn befindet sich heuer auch in einer besonders ungünstigen Situation. Der letzte Winter dauerte einen Monat länger, dann verhinderten Fußball-WM, Papst-Besuch und Oktoberfest die Reparaturen. Jetzt kommt alles auf einmal, und die Zeit drängt, denn die kalte Jahreszeit steht vor der Tür.

Der Rückbau von "Kreuzungsbahnhöfen" und Überholgleisen verschärft das Verspätungs-Problem weiter. Paradebeispiel ist die eingleisige Strecke München-Garmisch-Mittenwald. Verspätungen zwischen fünf und zehn Minuten sind dort "normal". Reisende verpassen deshalb regelmäßig ihre Anschlüsse. Vor zehn Jahren wurde aus Rationalisierungsgründen am Bahnhof Diemendorf bei Tutzing das zweite Gleis abgebaut und damit ein Zeitpuffer entfernt.

"Eine Kreuzungsmöglichkeit dort könnte viele Verspätungen abbauen helfen", sagt Norbert Moy, Vorsitzender von Pro Bahn in Oberbayern. Der Fahrgastverband hatte damals energisch gegen den Rückbau protestiert, vergeblich. "Die DB plant nur für ihren Normalbetrieb, Verspätungsfälle werden nicht berücksichtigt", kritisiert Moy.

Noch mehr Baustellen

Das Netzwerk Privatbahnen hat ermittelt, dass sich die Zahl der Langsamfahrstellen in Baden-Württemberg und Bayern von 2004 auf 2005 um 30 Prozent erhöht hat. Von 266 Geschwindigkeitsbeschränkungen hätten im folgenden Jahr immer noch 103 bestanden und so den Sockel für den exorbitanten Anstieg gebildet. Etwa 40 Langsamfahrstellen habe die Bahn AG "am Schreibtisch beseitigt", sagt Sprecher Arthur-Iren Martini.

Und das geht so: Im Jahresfahrplan wurde die Fahrzeit einfach um die Zeit verlängert, die für die Langsamfahrt erforderlich ist. Pro Bahn nennt auch Beispiele: An technisch nicht gesicherten Bahnübergängen wie am St. Georgenweg in Peißenberg, wo die Höchstgeschwindigkeit 10 Stundenkilometer betrage. Oder zwischen Murnau und Bad Kohlgrub, wo die Fahrzeitverlängerung vermutlich wegen eines instabilen Hangs schon seit Jahren im Fahrplan enthalten sei.

Besonders ärgerlich findet die Bayerische Eisenbahngesellschaft auch Langsamfahrstellen auf der Ammerseebahn im Bereich Schondorf und auf der Strecke Ulm-Memmingen bei Gerlenhofen.

Im nächsten Jahr wird es für Bahn-Kunden noch heftiger. Dann steigt die Zahl der Baustellen auf mehr als 50.

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