Bäder:Wieso immer weniger Kinder schwimmen können

Schwimmunterricht

Den Kopf über Wasser halten, das ist das Wichtigste. Immer mehr Kinder tun sich schwer damit.

(Foto: Jens Büttner/dpa)
  • Bundesweit kann nur noch jeder zweite Zehnjährige sicher schwimmen, so eine Studie.
  • Das große Problem: Es gibt zu wenig Wasserfläche, um ausreichend Kurse anzubieten.
  • Die Stadt München will gegen den Trend ankämpfen.

Von Inga Rahmsdorf

Alle Kurse ausgebucht. Auch bei den Vereinen erhielt Michaela W. nur Absagen. Über ein Jahr dauerte es, bis sie ein Schwimmtraining für ihre beiden Kinder fand. So wie Michaela W. geht es vielen Münchnern, die für sich oder ihre Kinder Schwimmkurse suchen. Sie müssen mit monatelangen Wartezeiten rechnen.

Monika Böck erhält viele Anrufe von verzweifelten Eltern. Sie hat es mittlerweile aufgegeben, Wartelisten zu erstellen. Jede Woche könnte sie zehn bis fünfzehn Kinder neu darin eintragen. Doch so viele Plätze wird Böck nie anbieten können. Sie arbeitet beim Damen-Schwimm-Verein München, der vor mehr als 110 Jahren gegründet wurde und in dem längst auch Jungen und Männer trainieren.

"Wir haben viel zu wenig Wasserflächen", sagt Böck. Sie hätten lange um die Schwimmbahnen für ihr Training und ihre Kurse kämpfen müssen. Und natürlich würde sie sich mehr Platz wünschen, aber Böck hat auch Verständnis dafür, dass er begrenzt ist. Denn in München gibt es viele Vereine und Schwimmschulen, die ums knappe Wasser konkurrieren.

Die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft (DLRG) warnt schon seit Jahren davor, dass immer weniger Kinder schwimmen lernen und auch viele Erwachsene sich nicht sicher über Wasser halten können. Fast 500 Menschen sind im vergangenen Jahr in Deutschland in Seen und Flüssen ertrunken. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl um 25 Prozent gestiegen und hat damit den höchsten Stand seit neun Jahren erreicht.

Die mit Abstand meisten Unfälle ereigneten sich in Bayern mit 112 Badetoten. Anlässlich dieser Entwicklung forderte vergangenen Monat DLRG-Präsident Hans-Hubert Hatje, dass der Schwimmunterricht in den Schulen konsequent durchgeführt werden müsse.

Doch viele deutsche Kommunen schließen ihre Bäder, weil anstehende Sanierungen zu teuer oder die laufenden Kosten zu hoch sind. Mancherorts werden Schwimmbäder in Spaßbäder umgewandelt, die sich meist nicht für Kurse und Training eignen. Und an vielen Schulen wird der Schwimmunterricht gleich ganz gestrichen, weil keine Bäder zur Verfügung stehen. Im Vergleich dazu steht München allerdings noch sehr gut da.

Insgesamt gibt es zehn öffentliche Hallenbäder der Stadtwerke München (SWM) mit wohl unschlagbar guten Öffnungszeiten - in den meisten kann man täglich zwischen 7.30 und 23 Uhr schwimmen. Hinzu kommen im Sommer noch acht Freibäder. Außerdem unterhält die Stadt 32 Schulschwimmbäder, und der Stadtrat hat kürzlich den Bau einer neuen Schwimmhalle in der geplanten Grundschule Bayernkaserne beschlossen.

Doch die Zahl der Einwohner in München steigt seit Jahren und damit auch der Bedarf. "Wir haben die Kurse in den M-Bädern in den vergangenen Jahren stark erhöht", sagt Christian Miehling, SWM-Sprecher. Derzeit seien alle verfügbaren Wasserflächen bis auf wenige Ausnahmen mit Kursen belegt.

Im laufenden Sommerprogramm bieten allein die Stadtwerke insgesamt 105 Anfängerkurse für Kinder an. Hinzu kommen Angebote für Erwachsene sowie Kurse in Aqua-Aerobic und Wassergymnastik. Außerdem stellen die SWM auch Vereinen und Schulen Flächen zur Verfügung. Und schließlich beanspruchen die Badegäste auch Platz. Doch die Fähigkeit zu schwimmen, nimmt offenbar ab.

Im Alltag fällt der Schwimmunterricht oft aus

In Bayern ist der Schwimmunterricht an den Grundschulen Aufgabe des Freistaates. Laut Kultusministerium hat er einen hohen Stellenwert und ist in den Lehrplänen über alle Jahrgangsstufen hinweg verankert mit dem Ziel: Am Ende der zweiten Klasse sollen alle Kinder die Anforderungen für das Seepferdchen-Abzeichen erfüllen, am Ende der vierten Klasse sicher schwimmen können.

Doch das ist reine Theorie. Im Alltag kann es schnell passieren, dass der Unterricht ausfällt, weil gerade das Bad renoviert wird oder der Badewärter erkrankt ist und dann gleich das ganze Schulbad schließen muss.

Bundesweit kann nur noch jeder zweite Zehnjährige sicher schwimmen. Zu diesem Ergebnis kommt das Robert-Koch-Institut in seiner Kiggs-Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Und macht auch auf eine fehlende Chancengleichheit aufmerksam. Denn wie gut Kinder sich im Wasser halten können, ist auch abhängig von ihrem Elternhaus. So können Grundschüler aus benachteiligten Familien deutlich seltener schwimmen.

Für die Stadt München gibt es keine Daten zur Schwimmfähigkeit, aber das Referat für Bildung und Sport geht davon aus, dass es bei Münchner Kindern ähnlich aussieht wie im Bundesdurchschnitt. Das wollte die Stadt aber nicht hinnehmen, und so hat der Stadtrat im vergangenen Jahr ein umfangreiches Paket verabschiedet: die Schwimmoffensive.

Wie die Stadt gegen den Trend ankommen will

Dem Bildungsreferat zufolge lernen derzeit neben dem Schulunterricht insgesamt etwa 3000 Kinder im Jahr bei Münchner Vereinen, Schwimmschulen und den Stadtwerken schwimmen. Doch das reiche nicht aus. Um die Zahl zu steigern, brauche es vor allem mehr Wasserflächen. Das muss nicht zwangsläufig Neubau bedeuten. Ein Ziel der Schwimmoffensive ist es, die vorhandenen Bäder besser zu nutzen.

So haben nun mehr Schulbäder, die bisher meist in den Ferien und am Wochenende geschlossen waren, auch in der schulfreien Zeit geöffnet. Dadurch konnten im vergangenen Jahr 50 Anfängerkurse zusätzlich angeboten werden. Dafür hat das Bildungsreferat auch mehr Personal eingestellt. Außerdem sollen mit kostenlosen Plätzen diejenigen Kinder gefördert werden, die sich sonst keine Schwimmkurse leisten könnten.

Als die Kinder von Michaela W. zwölf und 14 Jahre alt waren, bereits gut schwammen und ein regelmäßiges Schwimmtraining suchten, kam ihnen die Idee, sich als Rettungsschwimmer ausbilden zu lassen. Sie hatten von den vielen Unfällen in Badeseen gehört, bei denen im vergangenen Jahr auch auffallend viele Flüchtlinge starben. So könnten ihre Kinder anderen helfen und lernen, Verantwortung zu übernehmen, dachte Michaela W. Doch auch beim Training der Lebensretter war es schwierig, einen Platz zu finden.

Wartezeiten von einem halben bis zu einem Jahr sind üblich für das Training von Rettungsschwimmern, sagt Michael Förster vom DLRG-Ortsverband München-Mitte. Auch er wünscht sich mehr Übungsplätze. Gerade auch, weil die DLRG nicht nur trainiert, sondern auch Wasserretter ausbildet. Besonders am späten Nachmittag und frühen Abend ist die Nachfrage aber besonders hoch. Auch die meisten Trainer können nur zu diesen Zeiten, denn sie arbeiten in den Vereinen in der Regel ehrenamtlich.

Und da liegt ein weiteres Problem. Es fehlt auch an engagierten Menschen, die sich regelmäßig an den Beckenrand stellen, um Kinder, Jugendliche und Erwachsene zu trainieren. Das ist nicht nur zeitaufwendig, sondern auch eine verantwortungsvolle Aufgabe, die hohe Qualifikationen voraussetzt, sagt Förster. Leider werde es immer schwieriger, Ehrenamtliche dafür zu begeistern.

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