Baby-Boom:Münchner Kindl

Geburtenrate 2010

Frohe Botschaft: Baby-Boom in München.

(Foto: dpa)

Die Region erlebt einen Baby-Boom. Für viele werdende Eltern ist inzwischen eine der schwierigsten Fragen, wo der Nachwuchs zur Welt kommen soll. Denn das medizinische Angebot rund um die Geburt ist enorm.

Von Stephan Handel

Die Geburt war eine Katastrophe - in medizinischer, hygienischer wie sozialer Hinsicht. Keine Periduralanästhesie weit und breit und kein Wehenschreiber, die Schwangerschaftsgymnastik bestand aus einem längeren Fußmarsch, weder Homöopathie noch Akupunktur standen zur Verfügung, von Aromatherapie ganz zu schweigen.

Krankenhauskeime waren in Ermangelung eines Krankenhauses eher nicht vorhanden, jedoch sorgten im Geburtsraum anwesende Haustiere gewiss für eine gefährliche Anzahl gesundheitsschädlicher Erreger. Zu allem Überfluss tauchten schließlich auch noch drei Herrschaften dubioser Herkunft auf und überbrachten Gold von allergologisch ungeklärter Schädlichkeit, asthmafördernden Weihrauch und eine Art Baumharz aus gewiss nicht ökologischem Anbau. Es ist, kurz gesagt, ein Wunder, dass die Geburt überhaupt jemand überlebte, damals vor gut 2000 Jahren in Bethlehem.

Gut 15.000 Babys werden jedes Jahr in München geboren, "heuer eher mehr als im vergangenen Jahr", weiß das Statistikamt der Stadt. Ihren Eltern haben die Auswahl aus einer Vielzahl von Möglichkeiten. Ohne Übertreibung lässt sich sagen: aus allem, was die moderne Geburtshilfe so bereithält, von der Hochleistungsmedizin, die auch Kinder ins Leben bringt, die noch vor wenigen Jahren sicher gestorben wären, bis zu den Versprechungen einer "natürlichen" Geburt. Diese Wahlmöglichkeit macht es den Eltern aber nicht leichter.

Die meisten Kinder erblicken das Münchner Licht der Welt als Lampe in einem Kreißsaal der Taxisklinik in Gern - 3283 waren es im vergangenen Jahr, heuer wird es wohl mehr als 3300 geben. Oberärztin Ina Rühl sagt, dass die Mütter bei der ersten Geburt seit einiger Zeit immer älter sind - zwischen 30 und 35 Jahren sind die meisten in der Taxisklinik, was aber wohl auch auf die "sozioökonomische Struktur" in den wohlsituierten Vierteln rund um die Klinik zurückzuführen ist. Oft sind in den Familien auch die Frauen berufstätig und wollen zuerst ihre Karriere vorantreiben, bevor die Entscheidung für ein Kind fällt.

Zum einen gibt es deshalb mehr Mehrlingsgeburten, weil dem unerfülltem Kinderwunsch bei älteren Frauen reproduktionsmedizinisch nachgeholfen wird. Späte Schwangerschaften sind zudem häufiger schwierig, was die Zahl der Kaiserschnitte ebenso erhöht wie die Zahl der Entbindungen, die die Ärzte vorsichtshalber als problematisch einstufen. Am Ende sind sie es oft gar nicht oder bringen eine Komplikation, die den Namen gar nicht verdient: Zwei bis vier Prozent der Babys liegen zwar mit dem Kopf nach unten im Mutterleib, haben sich aber so gedreht, dass sie in die gleiche Richtung schauen wie die Mutter und nicht nach hinten. Das führt dazu, dass sie als erstes nicht den Boden des Kreißsaals erblicken, sondern die Decke. Das ist kein Problem, hat diesen Babys aber den bezaubernden Namen "Sternchengucker" eingebracht.

Modernste Technik im Kreißsaal

Natürlich haben werdende Eltern vor allem einen Wunsch: dass ihr Kind gesund sein möge. Dieser Wunsch wird nicht in allen Fällen erfüllt. Im Klinikum des Dritten Ordens in Nymphenburg kommen im Jahr mehr als 2000 Kinder zur Welt. Davon sind fast zehn Prozent zu früh dran, von denen wiederum mehr als ein Viertel unter dem prekären Geburtsgewicht von 1500 Gramm liegt. Das Klinikum ist darauf vorbereitet - auch auf die 80 Fälle im Jahr, bei denen Kinder schon mit schweren Fehlbildungen zur Welt kommen und sofort operiert werden müssen. Der kinderchirurgische Operationssaal liegt ein Stockwerk tiefer als die Kreißsäle, und damit diese Handvoll Mensch ohne weitere Belastungen dort hingelangt, führt ein rüttelfreier Aufzug hinunter. Auf den weist Chefarzt Franz Edler von Koch ebenso stolz hin wie darauf, dass in den Kreißsälen iPod-Dockingstationen vorhanden sind, damit die Mutter eigene Musik hören kann.

Hochleistungsmedizin wie im Dritten Orden bieten auch die beiden Universitätskliniken, das Rechts der Isar, das zur TU gehört (1715 Geburten im Jahr 2011), und das LMU-Klinikum, das die Geburten an den beiden Standorten Maistraße und Großhadern zusammenzählt und so auf mehr als 4000 im Jahr kommt - mehr als die Taxisklinik, was diese wiederum unfair findet. Das gilt im Übrigen auch für das Städtische Klinikum, das 4600 Geburten im Jahr zählt, allerdings an den drei Standorten Harlaching, Schwabing und Neuperlach.

Den beiden Uni- Häusern haftet der Ruf des Kalten, Unpersönlichen an. Dass Großhadern beim architektonischen Kuschelfaktor nicht an erster Stelle liegt, geben sogar jene zu, die dort das Sagen haben. In Internetforen für Schwangere finden sich aber stets Mütter, die von ihren positiven Erfahrungen dort berichten, nämlich dass sich der Beton auf Herzlichkeit und Zuwendung von Ärzten und Pflegepersonal in keiner Weiser ausgewirkt haben.

In dem Wunsch nach angenehmer Atmosphäre haben andere Häuser ihre Nische entdeckt: Die Geisenhofer-Klinik im Englischen Garten residiert in einer alten Villa mit Park, 2000 Babys kommen dort pro Jahr zur Welt, in 50 Fällen kommen die Mütter aus dem Ausland, "diese Patientinnen reisen extra zur Geburt an", erzählt Geschäftsführer Tilman Götzner, "bis zur Prinzessin aus Arabien".

Ein solides Kreiskrankenhaus ist das Klinikum Starnberg, das auch von vielen Münchnerinnen frequentiert wird, 15 bis 20 Prozent der 2100 Geburten pro Jahr, schätzt Geschäftsführer Thomas Weiler: Sein Haus, sagt er, verbindet das Kleine - 300 Betten, davon 35 auf der Geburtsstation - mit dem gesamten Angebot von Geburtshilfe, Perinatal- und Intensivmedizin. Und dann gibt es neben den Kliniken in und um München noch sämtliche Möglichkeiten mehr oder weniger ambulanter Geburten, Geburtshäuser, Hebammenpraxen, die, was modische Trends wie Homöopathie betrifft, auch nicht mehr oder weniger anbieten als die großen Häuser - vielleicht mit der Ausnahme, dass dort auf der Liste der mitzubringenden Gegenstände auch ein "Gefäß für die Plazenta, falls Sie sie mitnehmen möchten" steht.

Über dem allem, über der Hochleistungsmedizin, den rüttelfreien Aufzügen, den Salzlampen, den Duftkerzen sollte aber nicht vergessen werden, was Ina Rühl, die Oberärztin der Taxisklinik sagt: "Schwangerschaft ist keine Krankheit", und: "Jede gesunde Frau kann ihr Baby aus eigener Kraft zur Welt bringen." Heute in München wie vor 2000 Jahren in Bethlehem.

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