"Baal" in Neuhausen:Mit Brecht und Frisch auf Augenhöhe

Im "Baal" sitzen die Gäste seit drei Jahrzehnten inmitten einer Büchersammlung. Auch nach vielen Umbauten fühlt man sich hier wie zu Hause, denn die Osteria besitzt eine besondere Atmosphäre. Die Besitzerin spricht sogar von einer "Persönlichkeit".

Konstantin Kaip

Der große Wandel im Eckhaus an der Kreittmayr- und Erzgießereistraße liegt lange zurück: Als Daniel Roth 1980 die Bennoburg übernahm, die damals noch im Besitz von Löwenbräu war, schuf er aus einer düsteren Boazn mit schafkopfenden Stammgästen ein Lokal nach seinen Vorstellungen. Er taufte es "Baal", nach dem Theaterstück von Brecht, und gab ihm den Beinamen Osteria, weil er statt bayerischer Standardküche nach dem Vorbild italienischer Gasthäuser frisch zubereitete Nudelgerichte auftischte.

"Baal" in Neuhausen: Im "Baal" platzieren Stammgäste ihr Buch dort im Regal, wo sie es beim nächsten Besuch wiederfinden können.

Im "Baal" platzieren Stammgäste ihr Buch dort im Regal, wo sie es beim nächsten Besuch wiederfinden können.

(Foto: Stephan Rumpf)

Das war zwar auch in den 80er Jahren nicht mehr neu, anders jedoch war die Atmosphäre: Der Literaturfan Roth verfrachtete seine Bücher in die Gaststube, im Saal daneben stellte er einen Billard-Tisch auf. So schuf er im Baal eine eigenwillige Kombination aus Literaturcafé, Billardkneipe und Pub, die auch nach mehr als 30 Jahren noch von den Gästen aus der Nachbarschaft geschätzt wird. Die Schankstube mit der großen Eckbar und der braun gestrichenen Decke wirkt, als hätte man ein britisches Inn mit einem Antiquariat gekreuzt. Die Wände hinter den Tischen säumen Regale mit Hunderten Büchern, die der Stube eine gemütliche Wohnzimmeratmosphäre verleihen, auch wenn man nicht gewillt ist, sich durch Unmengen unsortierter Titel zu stöbern. Bringt der Gast Zeit mit, kann er zwischen einem alten Diercke-Atlas, Konsalik, Edgar Wallace oder Jerry Cotton-Heften auch Homer, Max Frisch oder E.T.A. Hoffmann finden. Stammgäste platzieren ihr Buch so, dass sie es beim nächsten Besuch wiederfinden oder leihen es einfach aus.

An den wenigen kahlen Wänden hängen Bilder einer Suppe löffelnden Therese Giehse und die alte Durchreiche der Bennoburg aus dem späten 19. Jahrhundert mit ihren geschnitzten Flügeltüren. Über der Tür zu den Toiletten weist eine goldgerahmte Collage mit Bildern von Liz Taylor und Richard Burton darauf hin, dass die stillen Örtchen dahinter für "Göttinnen und Götter" bestimmt sind.

Dass die Schrulligkeit der Kneipe über all die Jahre erhalten geblieben ist, liegt daran, dass das Baal auch nach Roths Rückzug als Wirt sozusagen in der Familie geblieben ist. Seine Nachfolger Georg Ostertag, Isabella Kolarik und Tina Niedermaier arbeiteten bereits seit Jahren im Baal, bevor sie das Lokal am 1. Januar 1998 übernahmen. Der Geschäftsführer und die Theken- und Servicekräfte wollten ihre Kneipe nicht in fremde Hände geben. "Wir hatten Panik, dass das irgendeiner übernimmt und den ganzen alten Plunder rauswirft", sagt Tina Niedermaier. "Wir wussten: Wenn man das verändert, ist hier Feierabend." Schließlich sei die Gegend zwischen Nymphenburger und Dachauer Straße nicht gerade ein Ausgeh- oder Einkaufsviertel. "Hier kommt keiner einfach mal so vorbei", weiß die 49-Jährige. Ihr Publikum, da ist sie sich sicher, hat sie der "Persönlichkeit" ihres Lokals zu verdanken, die sie und ihre Mitbetreiber stolz auf der Speisekarte erwähnen.

Der Entscheidung gegen den Wandel geben die Stammkunden recht, von denen viele dem Baal treu geblieben sind. "Manche haben noch nach zehn Jahren nicht gewusst, dass der Besitzer gewechselt hat", erzählt die blonde Gastronomin. Zwar gab es in der Zwischenzeit zahlreiche Renovierungen und Umbauten, zuletzt wurde der Boden im Saal mit dem Billardtisch erneuert. Aber der Charakter des Baal, darauf legt Niedermaier Wert, ist erhalten geblieben. Auch, was die einfache mediterrane Küche betrifft, die Mitte der 90er Jahre um spanische Tapas erweitert wurde. Die Sizilianer Pippo Manganaro und Salvatore Gumina und der Iraker Khaled Suleiman bereiten Pastagerichte, warme und kalte Tapas sowie Salate zu, die auf einer täglich wechselnden Tageskarte angeboten werden. Standards wie Chili con Carne und Tomatensuppe gibt es bis nach Mitternacht. Aus den neun Zapfhähnen am Tresen sprudeln verschiedene Ayinger-Biere, aber auch Pilsner Urquell und Guinness vom Fass. Zudem gibt es eine große Auswahl italienischer, spanischer und deutscher Weine, offen oder in der Flasche.

So gemischt wie die Getränkeauswahl ist das Publikum. Mittags kommen viele, die in der Gegend arbeiten, auf einen schnellen Teller Nudeln vorbei. Am Nachmittag trifft man neben Müttern mit Kinderwagen auch einsame Gäste, die sich bei einem Cappuccino in eines der Bücher aus den Regalen vertiefen, abends sitzen Familien neben diskutierenden Studenten und Arbeitskollegen, die sich in den Feierabend ratschen, nebenan treffen sich alte Freundeskreise auf eine Runde Billard und ein paar Halbe. Besonders voll wird das Baal immer am Mittwoch- und am Freitagabend. Oder wenn zwischen Oktober und März zweimal im Monat diverse Jazz- oder Bluesbands auftreten, wofür Niedermaier und ihre Kollegen den Billardtisch zur Seite rücken. Die Wirtin empfiehlt an diesen Tagen eine Reservierung.

Die Persönlichkeit des Baal hat übrigens auch ein Filmteam überzeugt, das die Räumlichkeiten in den 90er Jahren für Szenen eines "Tatort" nutzte. "Witzigerweise hat der nicht in München, sondern in Düsseldorf gespielt", erinnert sich Niedermaier. Auch wenn das Haus gerade einen neuen Anstrich erhalten hat, soll sich an seinem Innenleben nichts ändern, verspricht sie. Und verweist dann doch auf einen äußeren Vorzug: Der Blick auf Sankt Benno von den Tischen vor der Ostseite sei vor allem bei Sonnenuntergang ein Erlebnis.

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