Autor:Der Geruch von Waschmittel

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Pierre Jarawan leitet einen Schreib-Workshop für minderjährige Flüchtlinge

Interview von Yvonne Poppek, München

Mit dem Thema "Heimat international" befassen sich acht junge Menschen im Alter von 16 bis 20 Jahren aus Eritrea, Afghanistan und Sierra Leone in der "Front:Text"-Schreibwerkstatt (Lesung: 22. November, Einstein-Kultur). Der Poetry Slammer und Autor Pierre Jarawan leitet den Kurs. Wie schwer es ist, über Heimat zu schreiben, erzählt Jarawan, der selbst in Amman geboren wurde.

SZ: Was bedeutet es, eine Schreibwerkstatt mit Flüchtlingen zu machen: Entsteht Kunst oder ist es eine Therapie?

Pierre Jarawan: Die Teilnehmer sind unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Und sie sind traumatisiert. Ich habe versucht, mit ihnen über ihre Heimat oder ihre Erlebnisse zu schreiben, woraus sich eventuell ein therapeutischer Effekt erzielen ließe, aber das war nicht möglich. Sie machen da dicht. Das heißt aber nicht, dass es ihnen nicht trotzdem gut tut, zu schreiben.

Und künstlerisch?

Auch der künstlerische Aspekt ist ein bisschen schwierig. Die Teilnehmer halten sich unterschiedlich lange in Deutschland auf, längstens ein Jahr. Und sie haben noch nicht so lange Deutschunterricht. Das heißt, das Deutsch ist tatsächlich schlecht. Aber es funktioniert. Man darf nicht erwarten, dass große Geschichten zu hören sein werden. Es werden kurze Texte sein, die aber trotzdem sehr persönlich sind und irgendwie Charme haben.

Wovon handeln die Texte ?

Sie sprechen über Deutschland, über ihre Wünsche, was ihnen an Deutschland gefällt. Wovon träumt ihr? Was möchtet ihr einmal werden? Es ist irgendwie berührend, wenn manche Berufe nennen, die sie wahrscheinlich niemals ausüben können. Zum Beispiel Rechtsanwalt und ähnliches.

Wie ist der Ablauf der Schreibwerkstatt?

Bis zur Aufführung werden es vier Workshops sein, in die ich Übungen mitbringe. Eine ist, Deutschland mit allen Sinnen zu beschreiben. Deutschland riecht wie, schmeckt wie, hört sich an wie . . . Dafür haben sie ganz erstaunliche Bilder gefunden. Zum Beispiel: Deutschland riecht nach teurem Waschmittel. Oder: Deutschland fühlt sich an wie Familie.

Der Grat, den Flüchtlingen eine Stimme zu verleihen oder sie auszunutzen, ist schmal. Wie halten Sie die Balance?

Das war eine Sorge von mir, dass das so rüberkommen könnte. Aber ich glaube, die Sorge ist unberechtigt. Die Texte sind sehr persönlich und diese Leute machen das aus Überzeugung. Das heißt, man wird spüren, dass da junge Menschen auf der Bühne stehen, die sich mitteilen wollen.

Sie haben eine eigene Migrationsgeschichte, spielt das eine Rolle?

Ich hatte nicht das Gefühl, dass es für die Teilnehmer eine Rolle spielt. Ich hatte nur erwähnt, dass mein Vater Libanese ist.

Sie sind als Kleinkind nach Deutschland gekommen. Woran erinnern Sie sich?

Ich erinnere mich an viele Urlaube, um die Familie väterlicherseits zu besuchen. Ich war auch für meinen Roman "Am Ende bleiben die Zedern", der im März erscheint, noch einmal im Libanon zur Recherche. Es ist eine Verbundenheit da zu diesem Land und der Geschichte. Aber im Grunde bin ich schon so lange in Deutschland und ich fühle mich auch deutsch.

Haben Sie die Geschichte Ihrer Familie in Ihrem Buch verarbeitet?

Verarbeiten wäre zu viel gesagt. Das Buch war mir ein Bedürfnis, weil ich dadurch gezwungen war, mich mit der Bürgerkriegsgeschichte das Landes auseinanderzusetzen, die heute noch nachwirkt in alle gesellschaftlichen Ebenen hinein. Und es hatte etwas Heilsames. Es hat den Libanon für mich dekonstruiert. Der war immer eine Zweitheimat. Je mehr ich mich damit beschäftigt habe, desto mehr habe ich gesehen, wie viele Schwierigkeiten dieses Land hat und wie kaputt es eigentlich ist - und dass es kein Land ist, in dem man im Moment leben wollen würde.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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