Autokauf in Krisenzeiten:Blecherne Hochzeit

Wider die Wirtschaftskrise: In den Verkaufshallen der BMW-Welt in München zelebrieren Autoliebhaber unbeeindruckt den Kult ums Auto.

Wolfgang Görl

Krise? Bei Paul Berberich ist sie noch nicht angekommen. Vor vierzehn Tagen hat er sich entschlossen, ein neues Auto zu kaufen, und jetzt, an diesem Frühlingsvormittag, sitzt er in einem "monacoblauen" BMW 318 Diesel, neben sich seine Frau, die der Verkäufer mit einem Strauß gelber Blumen beschenkt hat. Ort des geglückten Deals ist die BMW-Niederlassung am Frankfurter Ring, die größte ihrer Art weltweit.

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Ein Schnappschuss vom neuen Auto: Die Fotografin der BMW-Welt hält den großen Augenblick für die Kunden fest.

(Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Vor, hinter und neben Berberichs neuer Limousine stehen zig andere Karossen, frisch aus der Fabrik und bereits verkauft. So viel ist schon mal klar: Paul Berberich ist nicht der Einzige, der in diesen finsteren Zeiten einen BMW erwirbt. Für ihn selbst waren die Klagen der Autobranche sogar ein Anlass, seine Entscheidung zu beschleunigen. "Wir haben den Kauf auch deshalb vorgezogen, um den Autoherstellern zu helfen." Einen neuen Wagen hätte er ohnehin gebraucht, nur nicht so rasch.

Michael Rahe, der Chef der Münchner BMW-Hauptniederlassung, ist über derart fürsorgliche Kunden natürlich erfreut. Wären alle Autoliebhaber so gepolt, bräuchte sich die Branche keine Sorgen zu machen. Sind sie aber nicht. Weltweit geht der Absatz von Automobilen infolge der Krise drastisch zurück, der BMW-Konzern leidet besonders unter der Flaute auf dem Automarkt der USA, wo die Münchner im vergangenen Jahr gut 300000 ihrer insgesamt 1,4 Millionen verkauften Fahrzeuge absetzten.

Im vierten Quartal 2008 ist das Unternehmen sogar in die roten Zahlen gerutscht. Ob Hauptniederlassungs-Chef Rahe nichts davon gespürt hat? Doch, hat er. "Im letzten Quartal des vergangenen Jahres war es schon ruhiger." Auch im Januar sei nicht viel los gewesen, "doch das ist immer so". Aber bereits im Februar hätten sich die Kunden wieder kauffreudiger gezeigt, und über das Geschäft im März könne er, Rahe, schon gar nicht meckern. "Wir sind mit dem Auftragseingang zufrieden."

BMW-Liebhaber trotzen der Krise

Michael Rahe sagt das sehr überzeugend, und zumindest zu dieser Stunde herrscht in der Niederlassung reger Betrieb. Andererseits ist auch nicht zu erwarten, dass ein Manager die geschäftliche Lage in schwärzesten Farben schildert - es sei denn, er wäre wirklich am Ende. Aber das ist man bei BMW gewiss nicht. In einer Pressemitteilung Ende Januar äußerte sich Rahe allerdings nicht gerade euphorisch: "Momentan gehen wir davon aus, die Absatz- und Umsatzzahlen von 2008 nicht zu erreichen. Im Gegenteil, es kann auch einen Rückgang geben." Noch im vergangenen Jahr hatte die BMW-Niederlassung München den Gesamtumsatz um 5,3 Prozent auf gut 860 Millionen Euro gesteigert.

Im Foyer der Niederlassung sitzt Jens Rudolph, trinkt einen Cappuccino und blättert in Prospekten. Der Krankenpfleger aus Bad Wiessee fährt einen Einser-BMW, dessen Leasingvertrag jetzt ausläuft. Nun soll ein neuer Wagen her, dieselbe Modellreihe, wieder auf Leasing-Basis. Wegen der Krise hegt er keinerlei Befürchtungen, im Gegenteil. "Jetzt ist die Gelegenheit günstig, um zu verhandeln. Wenn ein gutes Angebot kommt, schlag ich zu."

Und während BMW-Fan Rudolph seine Überlegungen mit einem Schluck aus der Cappuccino-Tasse zu forcieren versucht, steigt Sabine Reichert sichtbar begeistert in einen weißen 320er Touring Diesel. Besonders erfreulich an dem nagelneuen Auto ist, dass sie es nicht selbst bezahlen muss. Es ist ein Firmenfahrzeug, mit dem die Sales-Managerin aus Bielefeld künftig ihre Geschäftspartner ansteuern will. Sie hätte auch einen VW Passat haben können, aber sie entschied sich leichten Herzens für die noble Karosse aus München. Warum? "Ich liebe BMW." Sabine Reicherts Firma tanzt mit dem Erwerb des Autos aber doch etwas aus der Reihe. Wie Michael Rahe bestätigt, sind besonders die großen Konzerne derzeit zurückhaltend, wenn es um die Ergänzung ihrer Automobilflotten geht.

Fahrspaß und Imagepflege

"München ist eine Cabrio-Stadt"

Einige hundert Meter weiter, in der Mini-Zentrale nahe dem BMW-Turm, steht Niederlassungsleiter Rudolf Leberfing vor dem ersten Ausstellungsexemplar des neuen Mini-Cabrios. Der blassgelbe kleine Flitzer mit seinem offenen Verdeck ist ein Frühlings- und Sommerauto, das kommt jetzt gerade recht. "Mini steht für Fahrspaß", sagt Leberfing. "Wenn wir den Kunden überzeugen wollen, setzen wir ihn rein und lassen ihn ein paar Runden drehen." Das wirkt, Krise hin, Krise her, noch immer, beteuert Leberfing.

Dem "Gokart-Feeling" im Mini könne so leicht keiner widerstehen. Auch in den vergangenen Monaten sei dies der Fall gewesen, jedenfalls sieht der Niederlassungsleiter keinen Anlass, in Schwermut zu versinken. "Im Jahr 2008 waren wir sehr erfolgreich, und auch ins erste Quartal 2009 sind wir gut gestartet. Vom neuen Cabrio erhofft man sich eine zusätzliche Belebung des Geschäfts - gerade in München. Denn, so sagt Leberfing, "München ist eine Cabrio-Stadt." Hier gebe es viele Autoliebhaber, die einen Hang zum extravaganten Design und das dazu nötige Kleingeld hätten.

Generell ist die bayerische Landeshauptstadt ein gutes Pflaster für den britischen Kleinwagen-Klassiker, den BMW im Jahr 2001 sozusagen wiederbelebt hat. "München ist die Großstadt mit unserem höchsten Marktanteil", sagt Leberfing. Etwa 1500 Minis verkauft er hier pro Jahr. Und trotz der Krise lebe man in München noch immer auf höherem Niveau als anderswo. "Die Stadt ist mit ihrer Kaufkraft sehr gut aufgestellt. Wenn es in München nicht mehr funktioniert, dann wird es wirklich schwierig."

Aber bei Mini, versichert Leberfing, funktioniert es noch. "Die Marke passt voll in die Zeit." Kleinere Autos mit geringem Verbrauch lägen im Trend, seit ein bis zwei Jahren fragen die Kunden verstärkt, wie viel Sprit die Autos benötigen. Leberfing fühlt sich auf der Überholspur: "2009 wird ein schwieriges Jahr. Heuer werden sich die Guten von den Schlechten scheiden, und wir glauben, dass wir zu den Guten gehören." Und etwas sibyllinisch fügt er hinzu: "Was anderes bleibt mir eh nicht übrig."

Imagepflege: Die BMW-Welt als Kultstätte der Marke

Wer aber erleben möchte, welche Leidenschaften Autos zu erwecken imstande sind, muss nur ein paar Stunden in der BMW-Welt verbringen. Das futuristische Gebäude des Wiener Architekturbüros Coop Himmelb(l)au ist kein Kfz-Verkaufshaus, sondern eher die Kultstätte der Marke BMW, in der, wie BMW-Sprecher Helmut Poeschl sagt, die Leute "den schönsten Tag ihres Lebens" verbringen sollen. Hier holt der Kunde das Auto, das er beim Händler seines Vertrauens bestellt hat, einfach nur ab - aber dies mit allem Pomp und Trara, wofür er 495 Euro berappen muss. Dafür spart er sich die Transport- und Überführungskosten. Und er kann an einer Werkbesichtigung teilnehmen, das BMW-Museum bewundern oder im Shop "BMW-Artikel aus dem Lifestylebereich" erwerben.

Die Botschaft ist klar: BMW ist mehr als ein Vehikel zur Fortbewegung, es ist ein Lebensgefühl, die Marke der Erfolgreichen und Sportiven, die sich nebenher noch für Golf, Segeln und Formel-1-Rennen interessieren. Alles in der BMW-Welt ist darauf ausgerichtet. 15752 Kunden haben 2008 von diesem Angebot Gebrauch gemacht. Sie kamen aus sämtlichen Ecken Deutschlands, aber auch aus dem benachbarten Ausland und viele aus den USA. Im Schnitt bleiben 70 Prozent der Kunden mehr als sechs Stunden in den heiligen Hallen des BMW-Kults.

Auch hier hat die Krise - Poeschl zufolge - nur kurzzeitig zugeschlagen. In den Wintermonaten sei das Geschäft ein wenig mau verlaufen, analog zur Marktentwicklung, was sonst. Aber im März "ist es brutal aufwärts gegangen". Rund hundert Auslieferungswünsche habe man sogar ablehnen müssen, auch der April sei bereits ausgebucht. Spürbar geringer sei lediglich die Kauflust der Nordamerikaner, aber deren Zurückhaltung werde durch deutsche Abholer kompensiert. Insgesamt peilt man in der BMW-Welt die gleichen Zahlen wie im vergangenen Jahr an.

Ins Gästebuch hat ein Amerikaner geschrieben: "Truly heaven on earth". Diesen Himmel auf Erden hat vor einiger Zeit ein amerikanisches Paar gewählt, um nach der kirchlichen Trauung die restlichen Stunden seines Hochzeitstages zwischen metallic glänzenden Limousinen und multimedialen Schautafeln zu verbringen. Ein anderer Abholer hat auch ohne Trauung Hochzeitsgefühle entwickelt: "Es war wie heiraten, und ich würde es wieder tun", steht im Gästebuch.

Aufregung wie vor dem Traualtar

Der Münchner Jakob Jellbauer sitzt mit seiner Freundin in der Lounge, und er erweckt den Anschein, als trete er in wenigen Minuten vor den Traualtar. Er ist "zittrig vor Vorfreude", man sieht es förmlich, und, na klar, er könne es kaum erwarten. Seit Tagen, Wochen hat er auf diesen Moment gewartet, "ich hab' Nächte lang kaum geschlafen". Den jungen Mann, der in der IT-Branche arbeitet, kratzt die Krise wenig. "Ich hab mir genau überlegt, wie es weitergehen soll." Und weitergehen soll es mit einem neuen BMW, der für ihn "ein Stück Lebensqualität" ist. Noch hat er sein künftiges Auto, eine 335i-Limousine, nicht gesehen, aber begeistert, ja enthusiasmiert ist er schon jetzt. Man würde verstehen, wäre seine Freundin eifersüchtig auf die Neuanschaffung.

Endlich wird es ernst. Kundenbetreuerin Stephanie Duderstadt, gehüllt in eine Art Stewardessen-Kostüm, führt das Paar zur virtuellen Präsentation. Auf einem Screen erscheint erst einmal eine Schrift: "Herzlich Willkommen, Herr Jakob Jellbauer." Dann der erste Blick auf das neue Auto - noch gilt er nur einer dreidimensionalen Computer-Simulation. Aber das genügt, um Jellbauers Augen zum Leuchten zu bringen. Die Erregung steigt. Jellbauer erfährt noch allerlei über Technik und Design seines künftigen Gefährts, und das alles klingt in etwa so, als hätten sich die klügsten Köpfe von BMW zusammengetan, um allein für ihn das tollste Auto überhaupt zu konstruieren. Das Wort "Leidenschaft" fällt, so als ginge es um die große Liebe. Doch das ist nur das Vorspiel. Gleich kommt es zur Vermählung.

Auf der Treppe, die hinab in den "Premieren"-Raum führt, hält Jellbauer an. Unten wird die Braut respektive die 335er-Limousine auf eine Drehscheibe gefahren. Ein Scheinwerfer blendet auf, das Auto steht im Lichtkegel wie ein Popstar auf der Bühne. Die Plattform dreht sich, Jellbauer kann seine Errungenschaft von allen Seiten bewundern. Und dann, endlich, kommen sie zusammen: der Fahrer und sein Gefährt. Oder soll man sagen: der Liebhaber und der Traum seiner schlaflosen Nächste. Stephanie Duderstadt öffnet Türen, Kofferraum, Motorhaube, jedes Detail wird erklärt. Eine Fotografin erscheint, die den großen Moment festhält - ein Bild fürs Leben. Die Krise ist diesem Augenblick so fern wie der Mond.

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