Ausweichquartier:Der Brillen-Bus

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Optiker weiß sich nach Wasserschaden zu helfen

Von Sonja Niesmann, Neuhausen

Rot und raumgreifend steht er da, dieser Doppeldeckerbus - selbst für Kurzsichtige ohne Brille nicht zu übersehen. Seit gut zwei Wochen dient das Gefährt aus den 1950er-Jahren als ungewöhnliches Ausweichquartier für Högls Brillenhaus, ansässig an der Nymphenburger Straße 155. Kurz vor Weihnachten hatte es einen kapitalen Wasserrohrbruch in dem Haus gegeben - die Leidtragenden waren vor allem die Mieter im Erdgeschoss. "Das lief runter wie aus Gießkannen", berichtet Inhaber Michael Högl. Die Decke löste sich ab, der Putz bröckelte von den Wänden, der durchweichte Boden muss raus - eine Komplettsanierung des Geschäftes stand an.

Mehrere Wochen schließen, das war für den Optikermeister keine Option, ein Verkaufscontainer aber erschien ihm wenig einladend und auch zu einfallslos. Also entschloss er sich, ein Experiment zu wiederholen, das sich vor zehn Jahren schon einmal bewährt hatte. Damals war Högl während des Geschäftsumbaus in einen grünen Original Londoner Doppeldecker ausgewichen, den er "über 5000 Ecken" bei einer Firma in Pfaffenhofen aufgetan hatte. Diesmal rollte ein roter Bus - "der ist voll fahrtüchtig" - aus Pfaffenhofen an, der nun vor dem Haus parkt, mit allen nötigen Genehmigungen. Strom, Heizung, W-Lan, alles drin: "Wir sind voll autark", versichert der 42-Jährige, "wir können alles machen, ausmessen, beraten, Brillen reparieren, Brillen verkaufen". Einzige Einschränkung: Ein Teil des sechsköpfigen Teams musste Urlaub nehmen, denn für mehr als zwei Mitarbeiter ist es im unteren Stockwerk doch zu eng.

Hereinspaziert in das bullige Gefährt kommen aber nicht nur Kunden des Optikers, sondern auch viele Kinder, "wir haben jeden Tag ein, zwei Schulklassen hier drin", erzählt Michael Högl. Vergangene Woche hielt eine Lehrerin sogar ihre Englischstunde im oberen, bestuhlten Stock des Busses - Lernen mit Londoner Lokalkolorit gewissermaßen. Wenn alles planmäßig läuft mit der Renovierung, kann Michael Högl seine Schatullen und Geräte in der kommenden Woche wieder zurück in den Laden räumen. Und anders als vielleicht manche der faszinierten Kinder im Viertel wird er nicht allzu traurig sein, dass das Doppeldecker-Intermezzo beendet ist. "Das war ganz witzig, aber jetzt ist's dann auch wieder gut."

© SZ vom 09.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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