Ausverkauf am Gärtnerplatz:"Die Leute haben eine furchtbare Geiz-ist-geil-Mentalität"

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"Eine Kundin hat geweint", sagt Klaudia Burger, die ihr Geschäft "Slips" am Gärtnerplatz schließt. (Foto: Kaveh Kasravi/oh)

Klaudia Burger ist genervt, weil viele Kunden sich von ihr beraten lassen und dann online kaufen. Deshalb schließt sie ihr Modegeschäft am Gärtnerplatz - nach 27 Jahren.

Von Gerhard Fischer, München

Klaudia Burger ist eine zierliche Frau mit einer riesigen runden Brille. Das Zweite, was an Burger auffällt, ist ihr Tempo. Sie geht schnell und sie redet schnell, und die Geschichten, die sie erzählt, wirken deshalb immer, als würden sie auf dem Weg erzählt - by the way, nebenbei. "Barbara war hier", sagt sie also nebenbei, "Barbara Schöneberger, und sie sagte: ,Was, du machst Schluss? Das geht nicht - da fehlt mir ja eine Konstante in meinem Leben'."

Ja, Klaudia Burger macht Schluss, am nächsten Samstag. Nach 27 Jahren schließt sie ihr Mode-Geschäft "Slips" am Gärtnerplatz - und geht nach Ibiza, um ein kleines Gästehaus zu eröffnen.

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Wer den Gärtnerplatz betritt, sieht die großen, roten "Räumungsverkauf"-Aufschriften auf den Schaufenstern von Burgers Laden, der sich an der Ecke Corneliusstraße befindet. Auch in dem Geschäft kleben überall Schilder: "Jeder BH 40 Euro", zum Beispiel. Auf manchen steht: "20 Prozent, time to say goodbye, slips."

Klaudia Burger ist gerade beschäftigt. "Ich brauche noch zehn Minuten", sagt die quirlige Frau, "mir ist heute eine Mitarbeiterin ausgefallen." Sie muss noch bedienen, telefonieren, rumräumen. Es bleibt also Zeit, sich in dem 300 Quadratmeter großen Laden umzusehen. Vor 27 Jahren begann Burger mit einem Dessous-Geschäft (daher der Name Slips), mittlerweile gibt es auch Hüte, Taschen, Kleider, Schuhe oder Hemden, alle im Premium-Bereich, also relativ teuer.

Es sind seltene Stücke: von Carven, NO.21, Lala Berlin, Masnada, Missoni oder Golden Goose. In dem Laden ist nichts Nullachtfünfzehn. Gefertigt wird vorwiegend in Europa. An diesem Freitagvormittag sind vor allem Frauen im Geschäft. Es sind viele. Sicher locken auch die Schilder vom Räumungsverkauf.

Klaudia Burger ist fertig, sie bittet zum Gespräch ins Büro. "Ich müsste den Laden nicht schließen, er wirft noch Gewinn ab", sagt sie gleich, "aber ich ertrage es einfach nicht mehr." Viele Kunden gingen ihr auf die Nerven. "Ausgenommen sind unsere wirklich tollen Stammkunden", sagt sie. Da bedauern es offenbar viele, dass Klaudia Burger Schluss macht. "Eine Kundin hat auch geweint", sagt Burger.

Nervig seien die Leute, die in den Laden kämen, um sich ausführlich beraten zu lassen, die Sachen anprobierten - und dann wieder gingen, um die Artikel online zu bestellen. "Wie haben mehrmals bemerkt, wie Kunden in der Umkleide Fotos machten - um daheim genau zu wissen, was man bestellen muss", erzählt Burger. Dieses Verhalten sei nicht bloß schlecht fürs Geschäft; es sei auch frustrierend für die sieben Verkäufer und Verkäuferinnen, die manchmal stundenlang umsonst berieten.

Ein kleines Gästehaus auf Ibiza

Das ist das Eine. Das Andere ist, dass die Leute heute erwarten würden, Kleidung müsse billig sein. Ketten wie Zara und H&M hätten die Preise verdorben, sagt Klaudia Burger. "Die Leute haben eine furchtbare Geiz-ist-geil-Mentalität, die fahren mit ihrem SUV bei Lidl und Aldi vor und kaufen ein Netz Orangen für 99 Cent - und denen ist egal, wenn der Orangenbauer in Sizilien Probleme hat wegen dieser Preise." Das Gleiche gelte für Kleidung. "Ich finde das Wahnsinn", sagt sie, "die Wertschätzung geht verloren - für nachhaltige Mode und für die Arbeit, die darin steckt."

Klaudia Burger ist in Niederbayern geboren, aber schon lange in München zu Hause. Sie machte zunächst eine Ausbildung als Kosmetikerin, ging der Liebe wegen ein paar Jahre nach Frankfurt und arbeitete dort in einer Wäscheboutique, kehrte nach München zurück und eröffnete Slips in der Fraunhofer Straße. Sieben Jahre später wechselte sie an den Gärtnerplatz. Was die Mode angeht, ist sie Autodidaktin. "Ich hatte schon immer Freude an schönen Dingen", sagt sie.

Jetzt will sie nach Ibiza auswandern und - nach einer Pause - ein kleines Gästehaus aufmachen, mit fünf Zimmern und Bed & Breakfast. Sie fährt schon seit vielen Jahren nach Ibiza, es ist ihre zweite Heimat. Früher hat ein Onkel dort gewohnt, jetzt hat eine Freundin ein Geschäft auf der Insel. "Je näher der Tag rückt, an dem wir - mein Mann und ich - dorthin gehen werden, desto glücklicher bin ich", sagt sie.

"Ich möchte in der Natur leben, ich will kochen, putzen, garteln, einen Hund haben und ein schönes Haus - ich kann gut einrichten." Es klingt pathetisch, es so zu schildern - aber Klaudia Burger blickt dann tatsächlich aus dem Fenster hinaus, also irgendwie in die Ferne, weg von Slips und dem Ärger, und sagt dann: "Ich möchte wieder eine Arbeit machen, die wertgeschätzt wird."

© SZ vom 08.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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