Austausch:Das Vorbild überflügelt

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Gemeinsame Sache: Amsterdams Vize-Bürgermeister Pieter Litjens, Münchens Bürgermeister Josef Schmid, der niederländische Generalkonsul Peter Vermeij und Jeroen Kreijkamp von der Stadt Utrecht (von links). (Foto: Robert Haas)

In Sachen Wirtschaft will Amsterdam jetzt von München lernen

Von Thomas Anlauf

"Phantasie allein ist auch keine Lösung", das steht auf einem kleinen Schild über dem Eingang zu einer alten Halle im Kreativquartier. Drinnen stehen an diesem Dienstagmorgen Dutzende gut gekleidete Männer und Frauen und diskutieren. Es ist eine ziemlich große Delegation aus Amsterdam und Utrecht: Politiker, Unternehmer, Manager und Wissenschaftler. Sie wollen herausfinden, wie die niederländische Metropolregion vom Großraum München profitieren könnte, vor allem im Bereich der Kultur- und Kreativwirtschaft. Denn München ist etwas gelungen, was selbst Fachleute verblüffte: Die Landeshauptstadt, die noch vor einigen Jahren Amsterdam zum Vorbild in der Kreativwirtschaft hatte, hat sie mittlerweile überflügelt.

Am Dienstag unterzeichneten deshalb Münchens Zweiter Bürgermeister Josef Schmid und Amsterdams Vize-Bürgermeister Pieter Litjens eine Grundsatzvereinbarung für eine enge wirtschaftliche Kooperation. Damit wollen die beiden Städte ihre europaweit gleichermaßen bedeutende Position auf dem Gebiet der boomenden Kreativwirtschaft ausbauen. "Die Absichtserklärung unterzeichne ich aus vollster Überzeugung", sagte Litjens. Die Delegation aus den Niederlanden sei schließlich zu Gast in einer der innovativsten Regionen des Kontinents: "Wir wollen von Ihnen lernen", sagte Litjens. Etwa 100 Manager, Unternehmer, Wissenschaftler und Politiker sind als Wirtschaftsdelegation aus den Niederlanden angereist, um drei Tage lang Unternehmer aus München, aber auch Ingolstadt, Nürnberg und Erlangen zu treffen und Kontakte zu knüpfen. Wichtigste Themen sind dabei Elektro- und urbane Mobilität, Gesundheitswesen sowie Digitalisierung. Am Dienstag stand deshalb neben der Unterzeichnung der Absichtserklärung auch ein Treffen mit Münchens Gesundheits- und Umweltreferentin Stephanie Jacobs auf dem Programm der Delegation.

Eigentlich müssten die Holländer nicht bescheiden auftreten, schließlich verfügen München und Amsterdam über ähnliche Potenziale - gerade in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Dazu zählen neben Verlagen die Film- und Musikwirtschaft, der Rundfunkmarkt, Software- und Informationstechnologie, Werbung und Marktforschung sowie Design und ähnliche Dienstleistungen - und diese Branche wächst in München in den vergangenen Jahren außergewöhnlich stark. Laut dem jüngsten Datenbericht zur Kultur- und Kreativwirtschaft in der Metropolregion München hat der Raum München innerhalb von nur drei Jahren das einstige Vorbild Amsterdam nicht nur erreicht, sondern sogar regelrecht überflügelt. München sei "das Powerhouse der ganzen Bundesrepublik", sagt Bürgermeister und Wirtschaftsreferent Schmid. Deshalb seien die bayerische Landeshauptstadt und die niederländische Hauptstadt auch "zwei natürliche Partner".

Denn es gibt neben dem starken Kreativsektor durchaus weitere Parallelen zwischen München und Amsterdam. Derzeit wächst die niederländische Metropole rasant: Hat die Stadt aktuell knapp 840 000 Einwohner, dürfte im Jahr 2030 die Millionengrenze überschritten sein. "Das stellt uns vor viele Herausforderungen", sagt Litjens. Wie erhält man eine Stadt trotz des starken Wachstums lebenswert, sozialverträglich und nachhaltig? Auch hier könnten beide Metropolen voneinander lernen, denn München steht mit seinem Wachstum von 1,54 Millionen Einwohnern auf voraussichtlich knapp 1,8 Millionen im Jahr 2030 vor ähnlichen Kraftanstrengungen. Allerdings seien die Lösungen, die man finden müsse, für beide Städte "sehr spezifisch", wie Litjens betont.

Mit der Vereinbarung, die Litjens und Schmid unterzeichnet haben, sei "eine Arbeitsgrundlage geschaffen", sagt Schmid. Nun sollen Unternehmer, aber auch die Einrichtungen "Creative #olland" und das Münchner Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft, die die Kooperation mit dem Titel "Creative Embassy" initiiert hatten, die Vereinbarung mit Leben füllen. Im Zentrum steht der Ausbau von Netzwerken und die Entwicklung von Konzepten und Austauschprojekten. "Genau das ist der Gedanke hinter dem Konzept der Creative Embassy", sagt Litjens, "keine Gebäude, keine Steine, sondern Menschen, Projekte und gegenseitige Hilfe."

Hilfe aus Holland könnte München in einigen Bereichen durchaus gebrauchen. Im Vergleich zur Fahrradstadt Amsterdam ist München ein Radldorf.

© SZ vom 15.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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