Ausstellung von HIV-Infizierten:Überlebenszeichen in Farbe

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Münchner mit HIV und Aids setzen sich beim Zeichnen mit ihrer Lebenssituation auseinander. Für eine Ausstellung wagen sie den Schritt in die Öffentlichkeit.

Lisa Sonnabend

Zwei weiße Segelboote schippern auf dem weiten Meer. Der Himmel ist klar, der sanfte Wind treibt sie geradlinig vorwärts. Das Acryl-Gemälde von Tommaso drückt Sehnsucht aus. Sehnsucht nach Leichtigkeit, Unbeschwertheit und Tatendrang - Eigenschaften, die Tommaso verloren hat. An jenem Tag vor sieben Jahren, als der heute 45-Jährige erfuhr, dass er HIV-positiv ist.

"Der schwere Gang - ins Licht": In den Gemälden drücken die HIV-Kranken Ängste und Sehnsüchte aus. (Foto: Foto: sonn)

Das Bild mit den Segelbooten hängt im Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum (Sub) in der Müllerstraße im Münchner Glockenbachviertel. Tommaso, Sepp, Stefan und Harald stellen dort einen Monat lang ihre Werke in der Ausstellung "Zeichen setzen" aus. Sie alle haben den HI-Virus.

Die vier gehören der Ateliergemeinschaft "ÜberLebenszeichen" an. Einmal die Woche zeichnen sie gemeinsam in einem Raum in der Maxvorstadt. Es hilft ihnen, sich mit der schwierigen Lebenssituation auseinanderzusetzen und durch das aktive Gestalten neue Lebensenergie zu entwickeln. "Beim Malen gelingt es uns, in eine andere, unbeschwerte Welt einzutauchen", sagt Tommaso. Als der Münchner die Diagnose HIV erhielt, gab sein Arzt ihm den Tipp mit der Ateliergemeinschaft. "Ich weiß nicht, ob ich ohne die Treffen damit fertig geworden wäre", sagt Tommaso. "Es ist wichtig, sich mit jemandem auszutauschen, der es auch hat."

Tommaso trägt Jeans, ein dunkles Hemd und ein lila Tuch, das er zur Krawatte gebunden hat. Er ist von kräftiger Statur, die Krankheit sieht man ihm kaum an. Nur manchmal zittern seine Hände und seine Augenlider zucken. So wie am Freitagabend, als er vor 30 Gästen mit einer Rede die Ausstellung im Sub eröffnet. "Solange es keine Heilung gibt, muss der Kampf gegen Aids in den Köpfen gewonnen werden", sagt er.

Den vier Künstlern von ÜberLebenszeichen geht es nicht nur darum, besser mit der Krankheit zurechtzukommen. Ihr Ziel ist es auch, Zeichen zu setzen in der Gesellschaft. Mit der Ausstellung wollen sie das Thema Aids ins öffentliche Bewusstsein rücken und vor der Krankheit warnen.

In Deutschland haben 59.000 Menschen den HI-Virus oder Aids, etwa 5000 von ihnen leben in München. Nach Schätzungen steckt sich jeden zweiten bis dritten Tag in der Landeshauptstadt eine Person mit HIV an. "Doch der Aidsschock der achtziger Jahre ist vorbei", sagt Tommaso. Denn HIV ist kein unmittelbares Todesurteil mehr. "Der Virus ist behandelbar, aber immer noch nicht heilbar", warnt Tommaso. Er muss jeden Tag Medikamente einnehmen, die Nebenwirkungen setzen ihm oft erheblich zu. Noch kann Tommaso jeden Tag arbeiten. Das ist wichtig, denn es schützt vor einer der größten Ängste der Aidskranken in Deutschland: der Armut.

In seinem beruflichen Umfeld weiß niemand von Tommasos Krankheit. Auch seiner eigenen Familie verschweigt er es lieber. "Manche Freunden, denen ich davon erzählt habe, haben sich schlagartig von mir abgewandt", sagt Tommaso. Er muss vorsichtig mit dem Outing umgehen, möchte deswegen seinen Nachnamen nicht nennen und sich nicht mit Foto in den Medien zeigen. Es ist bewundernswert, wie die vier Künstler sich aus der Anonymität der Statistiken herauswagen und mit ihrer Ausstellung in die Öffentlichkeit treten.

Ausstellung von HIV-Infizierten
:Überlebenszeichen in Farbe

Münchner mit HIV und Aids setzen sich beim Zeichnen mit ihrer Lebenssituation auseinander. Für eine Ausstellung wagen sie den Schritt in die Öffentlichkeit.

Lisa Sonnabend

ÜberLebenszeichen hat schon mit Schulklassen und Gesundheitsämtern zusammengearbeitet, in Düsseldorf oder Berlin waren die Bilder ausgestellt. "In Berlin hing eines meiner Bilder an fast jeder Litfaßsäule", erzählt Tommaso stolz.

Bis zum 22. Dezember hängen die Bilder nun im Sub. Ein Bild von Sepp zeigt eine auf dem Boden liegende Figur, die sich mit der Hand ans Herz fasst. Harald hat ein Porträt in düsteren Farben gezeichnet, "Der schwere Gang - ins Licht" heißt es. Und auf Stefans Collage stehen Satzfragmente wie "r u one night stand boy? r u samantha in sex & the city?". Stefan war im vergangenen Jahr lange im Krankenhaus, er wäre beinahe gestorben.

Früher war ÜberLebenszeichen ein Verein, der von der Stadt unterstützt wurde. Aus Mangel an öffentlichen Geldern musste er sich im Sommer 2002 auflösen. Kunsttherapeuten gibt es seitdem nicht mehr, die Künstler versuchen, so gut es geht, sich selbst zu helfen. Sie finanzierten das Projekt aus eigenen Mitteln weiter. Viele Infizierte konnten sich allerdings die Kosten für die Atelier-Miete und das Material nicht mehr leisten und mussten aussteigen.

Tommaso, Sepp, Stefan und Harald treffen sich jeden Januar, um zu besprechen, wer genug Geld und noch genug Kraft hat, um weiter mitmachen zu können. Dann können sie die Ateliersgemeinschaft für ein weiteres Jahr aufrecht erhalten. "Wenn nichts Unvorhergesehenes passiert", sagt Tommaso. Er meint damit: Wenn nicht einer von ihnen an Aids stirbt.

Die Gemälde von Tommaso, Sepp, Stefan und Harald können im Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum (Sub) in der Müllerstraße 43 besichtigt und gekauft werden. Weitere Informationen (auch für Spenden) gibt es unter www.ueberlebenszeichen.de.

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