Ausstellung in Schwabing:Die Lust am Lümmeln

Ausstellung in Schwabing: "Jede Aufnahme muss meinen fotografischen Ansprüchen genügen", sagt Hubertus Hierl.

"Jede Aufnahme muss meinen fotografischen Ansprüchen genügen", sagt Hubertus Hierl.

(Foto: Hubertus Hierl)

3000 Menschen kamen 1967 zum öffentlichen Waschtag für einen ungepflegten jungen Mann. Hubertus Hierl fotografierte beim Werbegag des "Drugstores" - und zeigt genau dort nun seine Bilder.

Von Michael Bremmer

Vielleicht 200, 300 Menschen hatten Platz im Lokal "Drugstore" in Schwabing. Aber das Happening im Sommer 1967 hatte sich herumgesprochen in München. Überall in der Stadt wiesen Zettel auf die "Resozialisierung eines Gammlers" hin - ein öffentlicher Waschtag für einen ungepflegten jungen Mann. Der damals 26 Jahre alte Fotograf Hubertus Hierl erfuhr am Marienplatz davon und fuhr sofort mit seinen beiden Leica-Kameras zum Wedekindplatz.

Knapp 3000 Menschen standen dort vor dem "Drugstore", die spiegelblanke Drehtür des an diesem Tag eröffneten Lokals zersprang wegen des Andrangs in tausend Splitter - das schrieb später zumindest die Frankfurter Neue Presse. Hubertus Hierl kümmerte sich aber zunächst weniger um das Happening, die Gesichter der jungen Menschen interessierten ihn viel mehr, wie immer. Heute, knapp 50 Jahre später, zeigt er bis auf Weiteres seine Aufnahmen aus dem Jahr 1967 im renovierten "Drugstore", den Nader Saffari nach dem Tod seines Vaters Jahangir "Jonny" Saffari gerade wiedereröffnet hat.

Im Ausstellungsraum hängen Schwarz-Weiß-Aufnahmen: Junge Menschen, manche von ihnen schauen neugierig, andere eher gelangweilt. Sprösslinge reicher Familien sind zu sehen, herausgeputzt mit Handtäschchen und edler Halskette. Eine junge Frau trägt eine große runde Sonnenbrille mit weißem Rand, eine andere ein frühes Flower-Power-Kleid mit passendem Hütchen. All die gehören zu den Neugierigen. Die Gelangweilten: Ein Münchner John-Lennon-Verschnitt mit frühem Pilzkopf und Schnauzer sitzt am Straßenrand.

Neben ihm ein junger Mann mit mächtiger Mähne, ziemlich ungepflegt. Ein anderer mit Nickelbrille trägt eine verschlissene Army-Jacke, auf den rechten Ärmel hat er ein gewaltiges Peace-Zeichen gemalt. Ein Stück Zeitgeschichte, wenn man so will, wunderbar eingefangen von Hubertus Hierl. Der Fotograf macht keine Schnappschüsse, das ist ihm wichtig. "Ich habe immer Bilder gesehen und erst dann fotografiert", sagt er. "Jede Aufnahme muss meinen fotografischen Ansprüchen genügen."

Während seines Studiums arbeitete er als freier Fotograf, verkaufte seine Bilder an Zeitschriften und Zeitungen - gerade bei seinen Reisen als Student entstanden spannende Bildreportagen, in Spanien porträtierte er einmal Picasso bei einem Stierkampf mit mehr als 100 Fotos - diese und andere Bildreihen aus Paris, Prag und Berlin sind auch als Bildband erschienen. Später arbeitete er als Hauptschullehrer, gründete einen Verlag für Unterrichtsmedien - die Kunst geriet von diesem Zeitpunkt an ein wenig in den Hintergrund.

Hubertus Hierl, geboren 1940 in Regensburg, steht im Ausstellungsraum. Er hat ein weißes Hemd an, ein blaues Sakko und eine Leinenhose. Die Haare sind schlohweiß - wie damals in den Sechzigerjahren trägt er auch heute noch eine Hornbrille. Er betrachtet seine Aufnahmen, schaut von einem Bild zum nächsten, er hält inne: "Ich war nicht Teil dieser Jugendbewegung", sagt er dann: keine langen Haare, immer ordentlich gekleidet.

Hubertus Hierl bei der Vernissage im Restaurant Drugstore

Hubertus Hierl bei der Vernissage im Drugstore.

(Foto: Florian Peljak)

Als er damals in Schwabing beim Wedekindplatz eintraf, war nahezu kein Durchkommen, erinnert sich Hierl. "Ich habe mich unter die Leute gemischt", sagt er, und nach einer Zeit habe er mit dem Fotografieren begonnen. Für die "Resozialisierung eines Gammlers" - ein Werbegag für die neue Kneipe - wurde eine lila-farbene Badewanne aufgestellt. Öffentlich sollte, so die Ankündigung, ein ungepflegter junger Mann gewaschen, frisiert und eingekleidet werden, mit Anzug und Krawatte.

Die Gammler waren eine Jugendbewegung in den Sechzigerjahren - gegen die Wirtschaftswunder-Mentalität, allerdings ohne politische Ansprüche. Sie lebten ihren Protest extrem gemächlich, lümmelten in Parks herum und faulenzten im öffentlichen Raum, ungewaschen, ungepflegt. Sie verhöhnten die Werte der sozialen Marktwirtschaft, in dem sie einfach nichts taten, in der Wiese lagen oder Gitarre spielten. Das wiederum brachte Bundeskanzler Ludwig Erhard auf die Palme. Seine Reaktion auf die Gammler: "Solange ich regiere, werde ich alles tun, um dieses Unwesen zu zerstören." Aber Konsumverweigerung ist nicht strafbar.

Der Totalverweigerer hat es später sogar ins Kino geschafft, mit dem Kultfilm "Zur Sache Schätzchen" - und dort ist sogar das Happening vor dem Drugstore eingebaut: Die beiden Hauptfiguren - Barbara (Uschi Glas) und Martin (Werner Enke) - schlendern über den Wedekindplatz, dort wird ein neuer Brunnen eingeweiht und zur Feier wird der "schmutzigste Gammler Münchens" öffentlich gewaschen.

"Da sind ja lauter Gammler", ruft Martin im Film. Hubertus Hierl erinnert sich: "Alles war voller junger Menschen und mittendurch hat sich ein Kameramann der Arri seinen Weg gebannt." Echtes Leben im Kino, selbst Hierl ist für eine halbe Sekunde in "Zur Sache Schätzchen" zu sehen.

Das echte Leben? Nicht ganz. Kurz vor dem Happening soll die Polizei die 50 bekanntesten Gammler Schwabings weggesperrt haben. Damit die Resozialisierung nicht flachfiel, hatten die Veranstalter angeblich einen normalen Münchner mit langen Haaren engagiert. Für 100 Mark.

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