Ausstellung:Gut eingefädelt

"Le fil rouge" im Espace München

Von Evelyn Vogel

Man traut diesem Punk-Mädchen gar nicht so viel Zärtlichkeit zu. Abweisend sitzt sie da mit ihren Piercings, ihren arrogant geschürzten Lippen, den löchrigen schwarzen Strümpfen und raucht. Aber dann fällt der Minirock ins Auge. Rot-kariert leuchtet er aus dem Schwarz der Szenerie heraus. Ebenso wie die blutrot lackierten Fingernägel. Sie schreien nach Aufmerksamkeit. Unfassbar laut wie das Rauschen des Blutes und ebenso rot. Und der coole Hippie-Typ, der sich wenig später auf die Bank neben sie setzt, hört diese Schreie. Zehn Schreie nach Zärtlichkeit. Er berührt sie sachte, liebkost sie, umarmt sie, hält sie fest, knüpft ein Band zwischen ihren Herzen, das währt bis ins Alter (mittlerweile ist er grau geworden), bis in den Tod.

Im Grunde ist es die klassische Romeo- und Julia-Geschichte, die Hans Op de Beeck in seinem Kurzfilm "The Thread" (Der Faden) gestaltet hat. Wobei: Klassisch ist in dem gut 15-minütigen Video des belgischen Künstlers kaum etwas. Die Szene spielt nicht in einem urbanen Raum, sondern in einem unwirklich in Grau und Schwarz gestalteten Wald. Die Hauptdarsteller sind Gliederpuppen, groß wie Kinder, die von mehreren Menschen, schwarz gekleidet und verhüllt wie Ninjas, direkt bewegt werden. Man sieht die Puppenführer sogar am Anfang, wie sie sich zurecht machen. Sie bleiben auch Teil der Inszenierung, verschwinden nicht hinter einer Wand oder ähnlichem. Die Puppen sind Marionetten ohne Fäden. Und das in einer Ausstellung, in der sich alles um Fäden dreht und die "Der rote Faden" heißt.

Unter dem Titel "Le fil rouge" hat die Kuratorin Michiko Kono die acht Künstler Ghada Amer, Tracey Emin, Isa Melsheimer, Hans Op de Beeck, Michael Raedecker, Fred Sandback, Chiharu Shiota und Tatiana Trouvé eingeladen, für die drei Espace-Ausstellungsräume von Louis Vuitton in München, Paris und Tokio Arbeiten zu entwickeln. Der Film von Op de Beeck ist in allen drei Ausstellungen zu sehen. In München werden zudem Arbeiten von Ghada Amer, Tracey Emin und Michael Raedecker gezeigt. Sie haben sich im Gegensatz zu Op de Beeck tatsächlich sehr direkt mit Nadel und Faden beschäftigt.

Der Niederländer Raedecker klebt und stickt seine Landschaften und Stillleben mit Garn in Farbflächen hinein und verbindet so Malerei mit Stickerei, Kunst mit Kunsthandwerk. Wo die Arbeiten wie hier ins monochrome Blau gehen, lösen sich die Grenzen der beiden Genres völlig auf. Die englische Künstlerin Tracey Emin hat mit schwarzer Wolle großformatig einen weiblichen Akt auf weißen Baumwollstoff gestickt, ein Körper, hingestreckt wie eine Landschaft. Ihr feministisches Spiel mit einer "typisch weiblichen" Tradition konterkariert jedes Klischee, das einem dabei in den Sinn kommen mag.

Um weibliche Erotik geht es bei der in Kairo geborenen, in New York lebenden Künstlerin Ghada Amer: In der Arbeit "My Bang" nimmt sie Motive aus pornografischen Zeitschriften, löst sie in einem Gewirr von Fäden auf und entfremdet sie bis zur Unkenntlichkeit. Besonders umfangreich präsentiert wird die Werkgruppe "Encyclopedia of Pleasure". Auf Aufbewahrungsschachteln aus naturfarbenem Baumwollstoff sind mit goldenem Faden Texte gestickt, die aus einer arabischen Schriftensammlung aus dem 10. Jahrhundert stammen. Die englisch übersetzten Worte haben "alles, was man über die Lust weiß" - so der Titel der Handschriften - zum Inhalt und beschreiben weiblich-homosexuelle Praktiken. Klingt alles sehr sexy, ist es aber nicht. Die Stoffboxen muten angesichts ihrer schieren Masse sogar etwas langweilig an, zumal man die Texte inhaltlich kaum verfolgen kann.

So bleibt als herausragende Arbeit in dieser dritten Ausstellung im Espace, das gerade vor einem Jahr eröffnet hat, die Videoarbeit von Hans Op de Beeck. Er, der so viele seiner hyperrealistisch wirkenden, aber immer kunstvoll im Studio oder vor Ort gebauten Arbeiten in Schwarz-Grau taucht, vermag mit wenigen Farbakzenten so viel zu erzählen. Zudem: Auf die Idee, wenn's um den Faden geht, die Marionetten von ihren Fäden zu befreien und ihre Glieder wie in Slow Motion direkt von Menschen bewegen zu lassen, darauf muss man erst mal kommen.

Le fil rouge. Espace Louis Vuitton, Maximilianstraße 2a, Mo-Fr 12-19 Uhr, Sa 10-18 Uhr, bis 11. April

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: