Ausgestochen:Sterne, Mond und Totenkopf

Weihnachtsmarkt München Marienplatz Standbesitzer Klaus Kuschel

Vielfalt auf dem Backblech: Die Kunden von Klaus Kuschel können aus Hunderten Austechformen auswählen.

(Foto: Matthias Döring)

Seit fast 30 Jahren hat Klaus Kuschel einen Stand auf dem Christkindlmarkt am Marienplatz und verkauft mehr als 700 verschiedene Plätzchenformen

Von Christina Hertel

Ein paar chinesische Touristen machen Fotos, eine Amerikanerin mit Fellkapuze sagt: "Oh, how cute is that!" Also: "Wie süß ist das denn?" Ein bisschen zu hoch, ein bisschen zu laut. Sie zeigt auf eine Schneekugel - weiße Flocken rieseln auf eine winzige Frauenkirche. Klaus Kuschel schaut sich das Ganze an und sieht zufrieden aus. Seit fast 30 Jahren hat er einen Stand auf dem Weihnachtsmarkt am Marienplatz. Als er anfing, war er 17, jetzt ist er Mitte 40. Sein ganzes Leben verbrachte er in Buden auf Münchner Märkten. Oktoberfest, Auer Dult, Christkindlmarkt. "Schon als Baby bin ich hier herumgekrabbelt."

Zwei Menschen hintereinander könnten nicht in seinem Stand stehen, so eng ist es. Jeder Winkel wird ausgenutzt. Unter der Theke sind lange Schubladen - voll mit Plätzchenformen. "Mehr als 700 verschiedene Sorten verkaufen wir", sagt Kuschel. So eine große Auswahl zu haben, das sieht man gleich, macht ihn stolz. Jedes Jahr kommt ein bisschen mehr dazu. An dem Drehständer hängen Formen, die kleiner sind als eine Fingerkuppe, und andere, die so groß sind, dass man sich fragt, wer solche Plätzchen alleine essen soll. Es gibt Tiere - Hase, Igel, Eule. Es gibt die Klassiker - Stern, Mond, Herz. Und es gibt Formen, die es woanders nicht gibt: eine Breze hängt bei Kuschel neben einem Totenkopf.

Die wirklich wertvollen Stücke aber kennen viele wohl gar nicht: Modeln, aus Holz geschnitzt oder Keramik gegossen, die man wie einen Stempel auf den Plätzchenteig drückt. Spekulatius und Springerle backt man damit, Gebäck aus Anis und Eierschaum. Schon im Mittelalter haben Mönche solche Plätzchen gebacken - damals noch mit christlichen Motiven. Heute gibt es kaum noch Schnitzer, die Modeln aus Holz herstellen - der Aufwand ist zu groß. Kuschel legt deshalb selbst Hand an. Er leiht sich historische Holzformen aus, kopiert sie und gießt sie dann aus Keramik. Wie er das genau macht, will er nicht verraten. Nur so viel: "Es ist aufwendig - sehr aufwendig." Kuschel hält eines seiner Stücke in der Hand - einen Bischof mit blumenbesticktem Gewand, Mütze, Stab. Das ursprüngliche Holzmodel ist mehr als 200 Jahre alt.

"Haben Sie das, nur noch kleiner", fragt eine ältere Dame und hält Kuschel eine Muschelform aus Keramik hin. Hat er, kein Problem. "Und kann ich dann noch ein Rezept haben? Das hatten Sie doch auch immer." Kuschel reicht ihr ein gefaltetes Papier, "Mit viel Liebe nach Omas Rezept" steht vorne drauf. Solche kleinen Gespräche mit Kunden machen Kuschel am meisten Spaß, immer schon. Der Onkel seines Großvaters begann Ende der 1930er Jahre mit dem Markthändlerleben. Seitdem stehen die Stände der Kuschels auf den großen Münchner Märkten - von Frühjahr bis Winter. Nudelhölzer und Holzbretter verkaufen sie auf der Auer Dult, T-Shirts und Souvenirs auf dem Oktoberfest und eben Plätzchenformen, Schneekugeln und Nussknacker auf dem Weihnachtsmarkt vor dem Rathaus. Immer von Neuem muss sich der 44-Jährige dafür bei der Stadt bewerben - mit Fotos und Texten. Geklappt hat es bis jetzt immer, nervös ist er trotzdem jedes Mal. Denn seine Ware muss er bestellen, bevor er eine Zusage hat. Im Sommer schaut er immer schon die Kataloge für den Winter durch und umgekehrt. In einer Halle, 200 Quadratmeter groß, lagert er sein ganzes Zeug. Wenn er mal eine Absage bekommen würde - für Kuschel wäre das eine Katastrophe.

Bisher, erzählt der Händler, sei das Weihnachtsgeschäft ganz gut angelaufen, nicht bombastisch, aber normal. "Es kommt auch immer auf das Wetter an." Eine Regel aber gibt es: Je näher Weihnachten rückt, desto voller werden die Märkte. Und desto hektischer die Menschen. Nach Nikolaus, das merkt Kuschel immer wieder, werden die Leute schon etwas nervös. "Keiner nimmt sich mehr Zeit zu gucken, es wird einfach gekauft." Dass alles immer schneller gehen muss, spürt Kuschel nicht nur bei den Kunden, sondern auch bei sich selbst. "Früher haben wir beim Aufbauen mittags immer eine lange Pause gemacht, uns gemütlich zusammengesetzt." Jetzt geht alles zack, zack, zack, und am Ende des Tages freuen sich alle nur noch auf eines: ihr Bett.

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