Aufträge für Billiglohnländer:Die arbeitslosen Häftlinge von Stadelheim

Die Zahl der Arbeitslosen hat Höchststand erreicht, sogar in Stadelheim. Maximal 2,12 Euro verdienen die Häftlinge pro Stunde - zu viel für Unternehmen, die mit der JVA zusammenarbeiten. Immer mehr Firmen verlagern ihre Aufträge ins billigere Osteuropa.

Von Christoph Henn

"Die Arbeitslage ist so schlecht wie noch nie", sagt Hans-Jochen Menzel. Der stellvertretende Leiter der Justizvollzugsanstalt beklagt massive Unterbeschäftigung. Von den 1540 Personen, die in Stadelheim und der Frauenabteilung Am Neudeck einsitzen, arbeiten rund 470 - vor gut zehn Jahren waren es 800.

Vor allem im Bereich Unternehmerbetriebe, in dem die Häftlinge im Auftrag externer Firmen arbeiten, hat sich die Situation drastisch verschlechtert. "Früher waren in der Werkhalle rund 500 Leute beschäftigt, jetzt sind es noch 173", sagt der stellvertretende Betriebsleiter Bernhard Sellerer. Diese 173 Gefangenen kleben für externe Auftraggeber Staubsaugerbeutel zusammen, verpacken Kaffeemaschinen oder schleifen Autoteile. Die übrigen knapp 300 Beschäftigten arbeiten für den Eigenbedarf der Anstalt - in Küche, Wäscherei und Reinigungsdienst.

Menschen durch Maschinen ersetzt

"Die Stellen werden weniger, seit in Osteuropa die Grenzen gefallen sind", sagt Sellerer. Auch die anderen Ursachen lassen den Knast wie ein Abbild des deutschen Arbeitsmarktes erscheinen: allgemeine Kaufzurückhaltung, immer mehr Ungelernte sowie Rationalisierungsmaßnahmen, in deren Zuge Menschen durch Maschinen ersetzt werden.

"Vor zehn Jahren wurden Kuvertierungsarbeiten noch per Hand bei uns erledigt", erklärt Ernst Stöckl, der stellvertretende Leiter der JVA-Arbeitsabteilung. "Dieser Zweig ist weggebrochen, seitdem die Unternehmen das maschinell machen."

Zum glücklichen Drittel, das noch Arbeit hat, gehört Fred (Namen der Häftlinge geändert). Sieben Stunden am Tag sitzt der 26-Jährige an einer Werkbank und klebt mit einer Pistole Staubsaugerbeutel zusammen. "Dass das Spaß macht, wäre übertrieben", sagt Fred über seinen monotonen Job. "Aber hier kann man sich wenigstens bewegen und hat Gesprächspartner."

Alternative: In der Zelle bleiben

In Stadelheim wollen die Männer nicht in erster Linie wegen des Geldes arbeiten. Martin etwa, der zwei Hallen weiter Autoteile bearbeitet, verdient 64 Cent in der Stunde. Doch erstens kann der gelernte Maschinenschlosser die 70 Euro monatlich gut gebrauchen - für Zigaretten, Kaffee und Süßigkeiten - und zweitens bewahrt ihn die Arbeit vor einer trostlosen Alternative: 23 Stunden am Tag in seiner Zelle zu hocken.

Für rund 1000 Insassen ist die tägliche Stunde Freigang die einzige Abwechslung - vielen reicht das nicht: "Mindestens 300 Häftlinge, die gerne arbeiten würden, können wir mangels Aufträgen nicht berücksichtigen", sagt Ernst Stöckl. Die Folgen: unzufriedene Häftlinge, die sich nutzlos fühlen und denen ein strukturierter Tagesablauf fehlt. "Unter den Leuten, die den ganzen Tag auf der Station verbringen, gibt es mehr Reibereien als bei den Arbeitern."

Untersuchungshäftlinge im Nachteil

Die Flaute trifft vor allem Untersuchungshäftlinge, die im Gegensatz zu Strafgefangenen gesetzlich nicht zur Gefängnisarbeit verpflichtet sind. Dass diese Kurzzeitgefangenen in Stadelheim rund zwei Drittel der Insassen ausmachen und die durchschnittliche Verweildauer hier nur 61 Tage beträgt, ist arbeitstechnisch ein Nachteil gegenüber anderen Gefängnissen. "In Straubing, wo Lebenslängliche sitzen, kann ein Unternehmer Maschinen hinstellen, an denen dieselben Häftlinge 20 Jahre lang arbeiten", sagt Stöckl.

Er sieht die Jobs im Knast nicht nur als wichtige Beschäftigungstherapie für Gefangene. Die Arbeiten, die von Eigen- und Unternehmensbetrieben erledigt werden, seien ein bedeutender Wirtschaftsfaktor: 2,8 Millionen Euro verdiente die JVA damit im vergangenen Jahr. Dass die "stagnierenden bis leicht rückläufigen" Einnahmen wieder steigen könnten, glaubt Stöckl nicht. "Wir sind gehalten, die Preise für Heimarbeiter nicht zu unterschreiten. Damit sind wir für Unternehmen viel teurer als die Billiglohnländer in Osteuropa."

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