Auffälligkeiten bei der Münchner CSU:Unfreundliche Übernahme

Auffälligkeiten bei der Münchner CSU: In mehreren Stadtteilen versuchen Mitglieder der Jungen Union, etablierte CSU-Politiker aus Parteiämtern zu drängen.
Illustration: Alper Özer

In mehreren Stadtteilen versuchen Mitglieder der Jungen Union, etablierte CSU-Politiker aus Parteiämtern zu drängen.

Illustration: Alper Özer

  • In der CSU München hegt man den Verdacht, dass Parteimitglieder durch Tricksereien bei den Angaben zu ihrem Wohnsitz versuchen, Mehrheiten in der CSU zu verschieben.
  • Marcus Choynacki gehört zu denjenigen, die gerade verschiedene Münchner Ortsverbände der CSU übernehmen möchten.
  • Manipulationen bei den Wahlen können der Ausgangspunkt dafür sein, dass ganze Kreis- und Bezirksverbände einer Partei in Schieflage geraten. Bei der CSU herrscht Alarmstimmung.

Von Andreas Glas, Dominik Hutter und Frank Müller

Das Klingelschild an dem Münchner Wohnhaus sieht aus, wie ein Klingelschild einer Wohngemeinschaft eben aussieht: Zwei Namen, mit einem Schrägstrich getrennt. Und ein dritter Name auf Klebeband darüber gepappt. Drei Menschen wohnen hier, soll das bedeuten. Wirklich drei?

Der Name des dritten Mannes ist Marcus Choynacki. Wo er wirklich wohnt, ist einer jener Krimis, die derzeit eine ganze Menge Münchner CSU-Funktionäre in Atem halten. Choynacki gehört zu denjenigen jüngeren Kräften, die gerade verschiedene Münchner Ortsverbände der CSU übernehmen möchten. In seinem Fall den Ortsverband Gern. Dazu aber sollte man auch dort wohnen. Choynackis Wohnsitz sei doch eigentlich im Münchner Umland, erinnern sich Funktionäre, die sein Treiben mit Argwohn verfolgen. Trotzdem steht sein Name plötzlich in Gern auf dem Klingelschild eines Parteifreunds. Ein Anhaltspunkt für den Verdacht, jemand versuche durch Tricksereien mit dem Wohnsitz Mehrheiten in der CSU zu verschieben.

Schon einmal in der Nähe des Abgrunds

Solche Manipulationen können der Ausgangspunkt dafür sein, dass ganze Kreis- und Bezirksverbände einer Partei in Schieflage geraten. Wohl auch deshalb hat es der Münchner CSU-Chef Ludwig Spaenle bei der Vorstandssitzung am Montagabend so eindringlich formuliert. Es gelte gegen Tendenzen vorzugehen, die schon einmal die Münchner CSU in die Nähe des Abgrunds gebracht haben, sagte Spaenle hinter verschlossenen Türen. Das war die unselige Zeit seiner Vor-Vorgängerin Monika Hohlmeier.

Alarmstimmung also in der Partei, vor allem bei jenen, die durch einen Umsturz etwas zu befürchten haben. Davon gibt es viele: Landtags- und Bundestagsabgeordnete, Stadträte, Kreischefs, das ganze Establishment bis hinauf zu Bürgermeister, Staatssekretär und Minister. Sie alle haben in der Hohlmeier-Zeit gelernt, den karriereorientierten und zum Teil skrupellos agierenden eigenen Parteinachwuchs zu fürchten.

Deswegen läuten die Alarmglocken. Deswegen fährt nach einem Parteiempfang jemand wichtiges in der Partei Choynacki einfach mal hinterher. Der Weg führt nicht zu seiner angeblichen WG. Das muss noch nicht viel heißen. Ein anderer Funktionär schaltet sich ein und schreibt eine besorgte E-Mail an die Bezirksgeschäftsstelle. Diese möge doch "die tatsächlichen Adressenverhältnisse objektiv durch Einwohnermeldeamtsanfrage überprüfen", steht darin.

Der Absender ist so besorgt, dass er Parteichef Spaenle auch auf die Empfängerliste setzt. Die CSU fragt daraufhin beim Einwohnermeldeamt an, das bestätigt gegen zehn Euro Gebühr den Verdacht: Choynacki ist nicht am WG-Sitz gemeldet. Er holt die Anmeldung nun ganz schnell nach. Damit dürfte er am übernächsten Montag als CSU-Chef in Gern kandidieren, so wie es sich ein im Hintergrund agierender Kreis von CSU-Nachwuchspolitikern überlegt hat, der in Münchner Kreisverbänden die Machtfrage stellt.

"Das regt mich voll auf"

Wenn er denn kandidieren will. Als die SZ Choynacki am Mittwoch darauf anspricht, lässt er seine Ambitionen zunächst einmal offen. Es könne sein, dass er antrete, müsse aber nicht. Viel mehr erregt ihn eine andere Frage. Es dürfe doch wohl nicht wahr sein, dass ihm in der Partei nachspioniert werde. "Das regt mich voll auf", sagt er. "Das hat bisschen was von deutscher Blockwartmentalität, ich find' das eigentlich einen Wahnsinn."

Wahnsinn finden dagegen viele, die in der CSU schon oben sind, was gerade passiert. An vielen Ecken in der Partei brennt es. Bei den derzeit stattfindenden Ortsverbandswahlen tauchen zum Teil Dutzende neuer Leute auf, die kaum einer zuvor gekannt hat. Es sind Neumitglieder, die in einer organisierten Welle kurz vor den Wahlen aufgenommen wurden. Oder Mitglieder, die plötzlich ihren Ortsverband gewechselt haben, damit sie in einem anderen Ortsverband wählen dürfen. In der Altstadt bringt so ein Kreis um den früheren Münchner JU-Chef Günther Westner den amtierenden Kreischef Georg Schlagbauer unter Druck. Der ist immerhin Handwerkspräsident - die Parteioberen macht eine solche Attacke fassungslos.

In Obermenzing serviert am Dienstagabend eine JU-gesteuerte Truppe den Ortschef Frieder Vogelsgesang ab und installiert ihren eigenen Münchner JU-Chef Stephan Pilsinger. Der Putsch war gut vorbereitet - so gut, dass selbst der Bezirksvorstand den Übergang vom alten zum neuen Ortschef für völlig korrekt hält. Es habe Unzufriedenheit geherrscht mit dem alten Ortschef, der zu wenig präsent gewesen sei. Dabei hat sich Vogelsgesang, eine Art Berufs-Obermenzinger, keineswegs freiwillig aus der ersten Reihe verabschiedet. Er sah sich nur einer hoffnungslosen Übermacht gegenüber. Am Ende sollen sogar Tränen geflossen sein bei der Obermenzing-Wahl. Denn mit Vogelsgesang stürzten gleich noch weitere "Altvordere". Der zuvor ausgehandelte Personal-Kompromiss wurde nicht eingehalten.

Spaenle habe das Problem komplett unterschätzt

Pilsinger gilt in der Parteispitze zwar nicht als Verschwörer. Dass er etwas vorhat in der Partei, konnte die Bezirksführung aber wissen. Eine Liste der in der Partei meldepflichtigen Neuaufnahmen ortsfremder Mitglieder für den Bezirksverband, die der SZ vorliegt, listet bei 16 von 37 Namen als Wunsch-Ortsverband Obermenzing auf. Spaenle habe das Problem komplett unterschätzt, meint denn auch jemand, der den Bezirksverband ebenfalls sehr gut kennt.

"Ausgesprochen unglücklich" seien die Wahlen auch im Ortsverband Neuhausen gelaufen, sagt Joachim Unterländer, CSU-Landtagsabgeordneter und Kreisvorsitzender im Münchner Norden. Gleich mehrere Neuhauser Delegierten wurden vor zwei Wochen abgewählt, darunter verdiente Parteimitglieder. Von einem Putsch will Unterländer zwar nicht reden, aber "verwunderlich" sei das schon gewesen, und "vom Stil her nicht das, was wir in unserem Kreisverband gewohnt sind".

Unter den Neuen, die sich die Delegiertenplätze geschnappt haben, sollen Personen sein, die nur wenige Monate zuvor in die CSU eingetreten sind. Aus dem Umfeld des Ortsverbands heißt es, die Neulinge seien gezielt von zwei Jung-Politikern ins Amt gehievt worden, denen landespolitischer Karriere-Ehrgeiz nachgesagt wird: dem Neuhauser Ortsverbandschef Christian Haase und der erst im vergangenen Jahr gewählten Stadträtin Kristina Frank, die gleichzeitig Ortsverbands-Vize ist.

"Große Ehrgeizinteressen nach oben"

Dass es um Macht und Mandate geht, könne "durchaus eine Rolle spielen", sagt Unterländer, ihm gegenüber hätten Haase und Frank das aber bestritten. Andere CSU-Mitglieder äußern sich deutlicher. Wenn ganze Delegiertenriegen "ausgetrocknet werden, obwohl es beim besten Willen keinen Grund dazu gibt", sagt einer aus dem Umfeld des Ortsverbands, dann liege schon der Verdacht nahe, dass bei manchen "sehr große Ehrgeizinteressen nach oben da sind". Kristina Frank streitet das allerdings ab. Bei der Neuhauser Wahl sei "alles regulär, satzungsgemäß und korrekt" abgelaufen. Außerdem, sagt Frank auf Nachfrage der SZ, fühle sie sich als Stadträtin "pudelwohl" und habe es nicht auf ein Landtagsmandat abgesehen. Auch Haase bestritt am Mittwoch höhere Ziele innerhalb der Partei.

Josef Schmid, Münchens Zweiter Bürgermeister und Vorsitzender im Kreisverband Münchner Westen, sagt derweil, er sei trotz der Auffälligkeiten "gar nicht besorgt". Schließlich handle es sich "nicht um eine flächendeckende Erscheinung, sondern um Einzelvorgänge", das sei "völlig normal". Für Ludwig Spaenles Brandrede vom Montag hat Schmid trotzdem Verständnis: "Wenn JU-Mitglieder so konsequent Mitglieder werben, dass Mandatsträger aus höheren Gremien rausgewählt werden, dann verdient es den gesamten Widerstand der CSU München." Mit den Vorgängen der Ära Hohlmeier sei all das aber "überhaupt nicht vergleichbar".

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