Aubing/Westkreuz:Verkehrsdilemma

Wenn immer mehr Straßen auf Tempo 30 beschränkt sind, brauchen auch die Linienbusse immer länger

Von Ellen Draxel, Aubing/Westkreuz

Die Bergsonstraße im Ortsteil Aubing ist stark frequentiert. Morgens und in den Mittagstunden sind viele Schulkinder unterwegs, den ganzen Tag passieren zahlreiche Autos und Lastwagen die Strecke. Verwunderlich, findet ein Anwohner, dass Fahrzeuge angesichts der "enormen Lärm- und Abgasbelastung" immer noch bis zu 50 Stundenkilometer schnell fahren dürfen. Denn weiter nördlich, im Pasinger Stadtbezirk, gilt für die Bergsonstraße mittlerweile Tempo 30. Grund dafür ist das Engagement einer Interessengemeinschaft von Anliegern. Die Nachbarn hatten vor Gericht das Tempolimit für diese Teilstrecke nördlich des Langwieder Bahnhofs und für die Alte Allee erstritten.

Der Wunsch nach Tempo 30 vor der eigenen Haustür ist inzwischen kein Einzelfall mehr. Vor kurzem erreichte Aubings Lokalpolitiker die Bitte eines Bürgers, in der Radolfzeller Straße ein solches Limit einzuführen. "Durch die enorme Verkehrszunahme im Viertel", begründet der Mann seine Forderung, seien nun auch die Haupterschließungsstraßen "zunehmend dem Verkehrslärm ausgesetzt". Er selbst wohnt an der Radolfzeller Straße und wird nachts vom Geräusch der Busse, Autos und Motorräder immer wieder aus dem Schlaf gerissen. "Zum Schutz der Wohnbevölkerung vor Lärm" beantragt er für die Zeit zwischen 22 und sechs Uhr eine Reduzierung auf Tempo 30 für die Radolfzeller Straße.

Das Kreisverwaltungsreferat (KVR), nach einem Prozess zur Allacher Straße vor einem Jahr vom Münchner Verwaltungsgericht dazu gezwungen, in einem Abschnitt der Allacher Straße mit Hinweis auf die "Schutzbedürftigkeit der betroffenen Anlieger" Tempo 30 anzuordnen, ist in Lärmfragen ein gebranntes Kind und daher geneigt, dem Ansinnen des Westkreuz-Bewohners stattzugeben. Die Behörde hat die Situation an der Radolfzeller Straße untersuchen lassen und festgestellt, dass bei 14 von 21 Gebäuden die Lärmbelästigung derzeit die Grenzwerte der Verkehrslärm-Schutzverordnung übersteigt. Zulässig wären laut der Verordnung tagsüber 59 und nachts 49 Dezibel, die Messungen ergaben jedoch bis zu 63,2 Dezibel am Tag und 52,7 in der Nacht. Eine Reduzierung der Höchstgeschwindigkeit auf 30 Kilometer pro Stunde könnte die erforderlichen Pegelminderungen möglich machen.

Doch so simpel die Lösung klingt, sie ist es nicht. Denn in vielen Tempo-30-Zonen fahren auch Busse des öffentlichen Nahverkehrs. Und deren Reisezeit, kritisiert die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), werde auf diesen Strecken derart verlangsamt, dass die Linien irgendwann unattraktiv würden. Der Bezirksausschuss Aubing-Lochhausen-Langwied teilt im Falle der Radolfzeller Straße die Ansicht der MVG. Und lehnt deshalb die Bitte des Anliegers ab. "Die Folgen für den Busfahrplan wären bei einer Reduzierung auf Tempo 30 gravierend", betont Gremiums-Chef Sebastian Kriesel (CSU). "Wir wollen ja aber, dass die Leute auf den öffentlichen Nahverkehr umsteigen, und nicht, dass die Fahrt noch länger dauert." Selbst Grünen-Politikerin Karin Binsteiner, Verkehrsexpertin des Bezirksausschusses, ist gemeinsam mit ihrer Fraktion gegen eine Tempominderung in der Radolfzeller Straße. "Weil dort die beschleunigte Buslinie 57 verkehrt."

Für Binsteiner gehört der Konflikt attraktives Busnetz versus Tempolimit ohnehin grundsätzlich gelöst. "Wir haben demnächst in der Aubing-Ost-Straße dasselbe Problem wie jetzt in der Radolfzeller Straße." Auch in der Aubing-Ost-Straße gilt Tempo 30, und eine neue Buslinie soll noch in diesem Jahr ihren Betrieb aufnehmen. "Vielleicht", so die Bürgervertreterin, "ist für diese Problematik ja ein Kompromiss denkbar." Etwa mit Linienbussen, die 40 Kilometer pro Stunde fahren dürfen, während allen anderen Fahrzeugen nur 30 erlaubt ist.

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