Au:Dicke Zigarren und hübsche Girls

Maria-Theresia-Gymnasium

Ausnahmsweise Stillsitzen: die Klasse 1b des Schuljahres 1961/62.

(Foto: privat)

Werner Scheibel erzählt Geschichte und Geschichten des Maria-Theresia-Gymnasiums

Von Daniel Sippel, Au

Im Sommer 1969 reist eine Abitur-Klasse des Münchner Maria-Theresia-Gymnasiums mit dem Zug quer durch die DDR nach West-Berlin. Zwei Schüler sitzen nicht im Zug, sondern fliegen ihren Kameraden nach. Auf diese Weise umgehen sie Kontrollen der Volkspolizei - ihre Väter üben Berufe aus, die zu Problemen führen können. In Berlin angekommen, treffen die Pennäler Prostituierte und deren Zuhälter in der Bar "Krokodil". Sie bunkern im Jugendgästehaus die Adressen amerikanischer Girls, spielen anderen Streiche und paffen dicke Zigarren. So schildert es Werner Scheibel in der Chronik "Von der Anstalt zum Gymnasium", die das Maria-Theresia-Gymnasium (MTG) im Fokus hat.

Der ehemalige MTG-Schüler zeichnet ein Bild seiner Schulzeit in den Sechzigerjahren, doch diese Anekdoten allein füllen nicht die Seiten. Eineinhalb Jahre hat Scheibel in historischen Jahresberichten der Schule recherchiert, ist in Aktenbergen des bayerischen Hauptstaatsarchivs versunken. Er stieß auf ministeriale Beurteilungen ehemaliger Lehrer, fand interne Briefe der Schulleitung an das Bildungsministerium, rekonstruierte die NS-Vergangenheit einiger Studienräte.

Mehr als 60 kurze Lehrerporträts entstanden - eine Fleißarbeit. Sein Werk dokumentiert die Schulgeschichte von 1920 bis 1975 mit penibel recherchierten Biografien, besonders die detailverliebten Anekdoten aus Scheibels eigener Schulzeit erweisen sich als lesenswert. Man fühlt sich erinnert an Erich Kästners "Das fliegende Klassenzimmer" ebenso wie an "Die Feuerzangenbowle": Ihren Englischlehrer nennen Scheibels Kameraden respekt- und liebevoll "Sir". In den Pausen verkauft der Hausmeister im grauen Kittel "Leckereien" und überwacht die Einhaltung der Pausenzeiten. Wenn Schüler zu früh in die Klassenzimmer stürmen wollen, tritt er den Übeltätern regelmäßig, scheinbar unabsichtlich, auf die Füße.

Nicht nur Scheibels Erinnerungen an seine Schulzeit wirken amüsant "retro", wie heutige MTG-Schüler wohl sagen würden. Auch sprachlich passt sich die Chronik an das vergangene Jahrtausend an: Seine Kameraden schlagen sich gegenseitig "ein Schnippchen" und machen "Reklame" für den Schulball der "Penne".

Ebenfalls im Ton der Sechzigerjahre kommentiert der Autor seine Anekdoten. An seine Lehrerinnen erinnert sich Scheibel zum Beispiel so: "Sie wirkten oft wie Hausfrauen." Ähnlich uncharmant ist die optische Gestaltung der 328 Seiten des Buches. Dennoch gewinnt der Leser aufregende Einblicke in vergangene Zeiten - Zeiten, in denen amerikanische Girls in Berlin und deren gesammelte Adressen noch etwas Außergewöhnliches waren.

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