Attacken auf Homosexuelle:Szene besorgt wegen homophober Gewalt

Attacken auf Homosexuelle: "Wir können nur gemeinsam ein Zeichen setzen", sagt Maikönigin Milady Charleen Bla Bla (Mitte).

"Wir können nur gemeinsam ein Zeichen setzen", sagt Maikönigin Milady Charleen Bla Bla (Mitte).

(Foto: Robert Haas)
  • Nach dem Angriff auf Marcel Rohrlack, dem Sprecher der Grünen Jugend Münchens, stellt sich die Frage: Gibt es ein Comeback homophober Gewalt? Oder handelt es sich nur um "ein paar Chaoten"?
  • Die Szene jedenfalls ist verunsichert. Ausgerechnet im Glockenbachviertel häufen sich Pöbeleien und Rempeleien.

Von Martin Bernstein

"Ich bin der Freund, von dem hier geredet wurde." Ein junger Mann geht am Mittwochabend auf dem Weißenburger Platz ans Mikrofon. Ganz still wird es unter den etwa 250 Teilnehmern der Kundgebung. Sie sind gekommen, um gegen homophobe Gewalt zu demonstrieren. Der junge Mann ist Opfer eines derartigen Angriffs geworden - zusammen mit seinem Freund Marcel Rohrlack, dem Sprecher der Grünen Jugend Münchens.

Rohrlack, der bei der Attacke am Samstag verletzt wurde, hat den Vorfall öffentlich gemacht. Mehr als 4500 Menschen haben auf Facebook und Twitter davon gelesen, haben Genesungswünsche geschickt, Solidarität bekundet - oder gepöbelt.

Eine Frage treibt die Szene um, die Lesben, Schwulen, Transgender auf dem Weißenburger Platz, die Rednerinnen: Gibt es den "Roll-back", wie es die grüne Bundestagsabgeordnete Beate Walter-Rosenheimer nennt? Müssen Schwule, Lesben, Transgender auch in München Angst haben, sich auf der Straße zu erkennen zu geben - in einer Stadt, in der laut einer zwei Jahre alten Studie der Ludwigs-Maximilians-Universität die Homophobie eher eine geringe Rolle spielt?

Warum die Polizei von der Szene kritisiert wird

Rohrlack und sein Freund haben sich die Frage in den vergangenen Tagen auch gestellt, sagen sie: "Kann ich jetzt noch zum Ostbahnhof gehen?" Rohrlacks Freund lebt seit zwei Jahren in München, in einer Stadt, die er bislang als aufgeschlossen erlebt hat.

Und dann der Schock vom Samstagabend, ausgerechnet auf dem Heimweg vom Christopher Street Day (CSD). Sollen "ein paar Chaoten", wie Marcels Freund die Angreifer nennt, das Bild bestimmen? Der junge Mann blickt in die bunte Runde am Weißenburger Platz: Diese "riesengroße Menge" sei für ihn München - nicht die fünf Angreifer, nach denen die Polizei noch immer fahndet.

Kritik ist laut geworden an der Polizei, auch in den Reden. Die Täter seien nicht schnell genug verfolgt worden, zunächst habe die Polizei einen Alkoholtest bei dem verletzten Marcel durchgeführt. Und Gewalt gegen Schwule und Lesben werde von der Polizei oft unter den Tisch gekehrt. Beides lässt Polizeisprecher Wolfgang Wenger nicht auf den Münchner Beamten sitzen. Tatsächlich habe man sofort die Ermittlungen aufgenommen.

Stadträtin spricht von mehreren Überfällen in letzter Zeit

Dass Übergriffe gegen Lesben, Schwule und Transgender so selten im Polizeibericht vorkommen, habe unterschiedliche Gründe: Man weise die Opfergruppe nicht eigens aus, um nicht zu diskriminieren. Manche Opfer homophober Gewalt gingen nicht zur Polizei, um sich nicht zu outen - oder erstatteten zwar Anzeige, aber ohne den Hintergrund zu nennen. Das erlebt auch Harald Bayer vom Verein lesbischer und schwuler Polizeibediensteter in Bayern. Und schließlich: Vielleicht sind homophobe Übergriffe in dieser Stadt ja doch eine Seltenheit?

Grünen-Stadträtin Lydia Dietrich weiß von "mehreren Überfällen in den letzten Wochen auf schwule Männer". Einem sei dabei der Wangenknochen gebrochen worden. Die Tat wurde angezeigt. Das ist wichtig, darin sind sich alle einig - Szene, Politik, Polizei. Es gebe ein gutes Verhältnis und viel Vertrauen zwischen Polizei und schwul-lesbischer Gemeinschaft in München. Sagt Polizeisprecher Wenger. Teilnehmer der Solidaritätskundgebung am Weißenburger Platz sagen dasselbe.

Im Mai, das weist der Polizeibericht aus, beleidigte ein 22-Jähriger einen 37-jährigen Homosexuellen und verletzte ihn mit einer Schere. Der Angreifer wurde sofort gefasst. Ausgerechnet in der Müllerstraße geschah das, im Szeneviertel Glockenbach. Seit das Quartier zum allgemeinen Ausgeh- und Partyviertel geworden ist, häufen sich dort Pöbeleien und Rempeleien, erzählen Insider. Und im Fasching, da sei es auch schlimm - oder wenn Junggesellenabschiede gefeiert würden.

Angst in der Szene vor Übergriffen

Und, wie Schwester Theresia Bavaria, als Botschafterin für HIV-Prävention und Lebensfreude weiß geschminkt und prächtig aufgebrezelt, erzählt, auch im Frühjahr, als sie aus den Pegida-Demonstrationen heraus "mit Zeichen heftigst beleidigt" wurde. Aber das seien die Ausnahmen, sagt sie auch. Oft erlebe sie das Gegenteil, freundliche Kontakte, Interesse, Toleranz. "München ist eine wunderbar bunte Stadt."

Das findet prinzipiell auch Milady Charleen Bla Bla, die amtierende Selige Münchner Maikönigin. "Gemeinsam für ein München mit Herz", steht auf ihrer Visitenkarte. Doch die Zweifel sind wach geworden: Wenn man "aus Spaß" im Fasching angepöbelt werde, wenn schon feminine Bewegungen ein Grund für Ausgrenzung seien, wenn sie von vier Übergriffen aus den vergangenen vier Monaten berichten kann - "dann läuft etwas falsch". Lydia Dietrich sagt: "Transgender sehen Sie tagsüber auf der Straße nicht - weil sie sich nicht trauen." Früher sei das anders gewesen, meint die Maikönigin: "Wo geht's hin?" Attacken wie die vom Samstag sind ein Schock.

"Ich will mich zeigen", sagt sie. "Wir wollen gemeinsam etwas erreichen, Farbe bekennen. Wir feiern - und dann passiert so etwas." Die Szene sucht nach Erklärungen. Die von Milady Charleen lautet: München wächst. "Und für den einen oder anderen ist es vielleicht fremd, wie wir mit unserer Buntheit umgehen."

Ausgrenzung

Vorbehalte gegen Homosexuelle sind in München seltener als im Bundesdurchschnitt. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forschungsbericht des Instituts für Soziologie der Ludwig-Maximilians-Universität über "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit". Vor zwei Jahren befragten die Forscher rund 3800 Münchnerinnen und Münchner, 1139 Fragebögen kamen zurück. Das Ergebnis: Langzeitarbeitslose, Obdachlose und Muslime haben es in München schwerer, von ihren Mitbürger akzeptiert zu werden, als Homosexuelle. Wer allerdings homophob ist, ist es dann aus Überzeugung. "Starke gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit", nennen die Forscher das - immerhin sieben Prozent der Befragten gehören dieser Gruppe an. Zwei Drittel der Menschen mit extrem homophoben Ansichten sind Männer. Jeder neunte männliche Münchner lehnt demnach Homosexuelle komplett ab. Je älter die Befragten sind, desto größer ist die Ablehnung. Und: Protestanten sind offenbar toleranter als Katholiken - deutlich am aufgeschlossensten Homosexuellen gegenüber sind aber die Konfessionslosen. Über die Einstellung etwa muslimischer Münchner konnten die Forscher keine Aussage machen - ihr Anteil an der Stichprobe war zu gering. "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit entsteht dort, wo Abwertung und Ausgrenzung anderer Anerkennung vermittelt", schreiben die Forscher. "Weit verbreitet" sei diese Haltung auch in München. Und das wirkliche Ausmaß sei vermutlich noch viel höher. bm

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: