Asylbewerber:Mein Haus, mein Zimmer, kein Flüchtling

Reiner und Marita Biel

"Wir haben uns gut verstanden und viel gelacht": Das Ehepaar Biel hätte Platz für Ghiath, George und Bashar.

(Foto: Günther Reger)

Warum bayerische Gesetze Familie Biel daran hindern, drei Flüchtlinge in ihrem Haus unterzubringen.

Von Inga Rahmsdorf

Eigentlich könnten wir doch Flüchtlinge bei uns zu Hause aufnehmen, dachten sich Marita Biel und ihr Mann. Schließlich haben sie ausreichend Platz in ihrem Haus im Landkreis Fürstenfeldbruck, ihre drei Kinder sind erwachsen und längst ausgezogen.

Aber erst zögerten die beiden, "wir wussten ja nicht, wer zu uns kommen würde", sagt die 65-Jährige. Als sie dann drei junge Syrer persönlich kennenlernten, stand ihr Entschluss fest. Sie boten den Brüdern an, sofort bei ihnen einzuziehen. Die drei würden auch gerne. Doch sie dürfen nicht.

Die jungen Flüchtlinge wurden nach einigen Wochen in der Münchner Bayernkaserne dem Landkreis Traunstein zugewiesen. Dort sind Ghiath, 22, George, 18, und Bashar, 16, nun in einer Kleinstadt untergebracht. Ihr Asylverfahren läuft noch - und solange das nicht abgeschlossen ist, dürfen sie sich auch ihren Wohnort nicht aussuchen. Wie lange das Verfahren noch dauern wird, ist ungewiss - die Mitarbeiter des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sind völlig überlastet.

Die Hürden sind hoch, wenn jemand privat Flüchtlinge aufnehmen will

Vielerorts stöhnen Kommunalpolitiker, dass sie keine Unterkünfte mehr für Flüchtlinge finden. Die Stadt München kommt nicht hinterher, ausreichend neue Plätze zu schaffen. Gleichzeitig sind in Bayern die Hürden sehr hoch, wenn jemand einen Asylbewerber privat unterbringen möchte. Viele Bundesländer handhaben die Unterbringung lockerer und lassen den Kommunen mehr Spielraum; in Leverkusen beispielsweise können Flüchtlinge schon seit Langem unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus privat eine Wohnung oder ein Zimmer beziehen.

Im Freistaat dagegen gilt eines der strengsten Aufnahmegesetze, es sieht vor, dass Asylbewerber in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften (GU) untergebracht werden sollen, solange ihr Verfahren läuft. Außerdem müssen Flüchtlinge, die nur eine Duldung haben, auch noch vier Jahre nach Abschluss des Verfahrens in der GU bleiben.

Diese Regel wurde zwar von der Realität überholt. Denn seit 2012, seit die Zahl der Schutzsuchenden stark steigt, werden auch die Landkreise und kreisfreien Städte mit der Unterbringung beauftragt, und die reicht von Sammelunterkünften über Wohnungen bis hin zu Turnhallen. Um aber dorthin ziehen zu können, wohin sie möchten - zu Verwandten, Freunden oder Ehrenamtlichen -, brauchen Asylbewerber und Geduldete weiterhin eine Genehmigung. Und die kann nur in Ausnahmefällen erteilt werden, wie bei Krankheit, Schwangerschaft oder wenn sie ihren Lebensunterhalt selbst verdienen.

Die Plätze bleiben belegt

Beim Münchner Wohnungsamt gibt es zwar eine Anlaufstelle, die sich darum kümmert, privaten Wohnraum an wohnungslose Menschen zu vermitteln, darunter auch Flüchtlinge. Doch das betrifft nur diejenigen, die bereits eine Aufenthaltsgenehmigung haben, denn nur sie dürfen regulär eine Wohnung mieten.

Wer dagegen, wie Marita Biel, Menschen während des Asylverfahrens oder geduldete Flüchtlinge aufnehmen will, der stößt schnell an Grenzen. Auch ein Asylbewerber, der bei einem schon lange in Deutschland lebenden Onkel unterkommen will, darf das in Bayern in der Regel nicht. Schläft er trotzdem bei ihm auf der Couch, muss er weiterhin in der Gemeinschaftsunterkunft gemeldet bleiben. Und belegt dort einen Platz.

Gebunden an die Vorschriften

Asylbewerber: Ghiath, George und Bashar (von links, hier in der Bayernkaserne) könnten privat bei einem Ehepaar unterkommen.

Ghiath, George und Bashar (von links, hier in der Bayernkaserne) könnten privat bei einem Ehepaar unterkommen.

(Foto: Catherina Hess)

München sei bei der Unterbringung an die bayerischen Vorschriften gebunden, sagt Ottmar Schader, Sprecher des Sozialreferats. Die private Unterbringung sei in München aber auch kein großes Thema, denn es sei auf dem angespannten Wohnungsmarkt schon schwierig, für anerkannte Flüchtlinge und wohnungslose Menschen eine Bleibe zu finden.

Das Sozialministerium argumentiert ähnlich. In Bayern fänden derzeit etwa 10 000 anerkannte Asylbewerber, die aus den Gemeinschaftsunterkünften ausziehen dürfen, keine Wohnung. "Dies zeigt, dass weitere Erleichterungen beim Auszug nicht zielführend wären", sagt eine Sprecherin des Ministeriums.

Eine absurde Regelung

"Bei uns rufen aber immer wieder Ehrenamtliche an, die sagen, ich kenne den Flüchtling jetzt seit einem halben Jahr und habe ein Zimmer frei, warum darf er nicht bei mir einziehen?", berichtet Alexander Thal vom bayerischen Flüchtlingsrat. Es sei eine völlig absurde Regelung, die dazu führe, dass es Menschen gebe, die jahrelang nicht aus der Gemeinschaftsunterkunft ausziehen dürfen, auch wenn sie längst bei Freunden oder Verwandten untergekommen sind oder arbeiten und sich selbst eine Wohnung finanzieren.

"Jegliche Form von Selbsthilfe, durch Freunde, Familie oder Ehrenamtliche ist versperrt. Gleichzeitig brauchen wir gerade jetzt jeden freien Platz", sagt Thal. Er geht davon aus, dass mindestens fünf Prozent der belegten Plätze in Bayern eigentlich frei wären, weil die Flüchtlinge längst woanders wohnen, aber offiziell nicht ausziehen dürfen.

Viele Menschen wären zudem bereit, Zimmer für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen, davon ist Johannes Seiser überzeugt. Die Bereitschaft sei sehr hoch in München, er bekomme häufig Anfragen, sagt der Chef des Vereins für Sozialarbeit, der sich gemeinsam mit anderen Organisationen dafür einsetzen möchte, dass die private Unterbringung als eine von mehreren Wohnformen erlaubt wird. Dadurch würden zwar nicht massenhaft Unterkünfte entstehen, aber es könnte punktuell für Entlastung sorgen, sagt Seiser.

Eine Chance für die Integration

Zudem biete die private Unterbringung gerade für die Integration viele Chancen und könne so auch einen Beitrag zum sozialen Frieden leisten. Schließlich gebe es in den Gemeinschaftsunterkünften nur eine eingeschränkte Privatsphäre, die Flüchtlinge seien dort meist zum Nichtstun verdammt und das erhöhe das Gewaltpotenzial.

Das Ehepaar Biel und die syrischen Brüder haben sich bereits mehrmals getroffen. Und Marita Biel klingt begeistert: "Wir haben uns gut verstanden und viel gelacht." Ihr Mann und sie würden davon profitieren, dass junge Menschen bei ihnen im Haus wohnen, sagt sie. Und Ghiath, George und Bashar wollen so schnell wie möglich Deutsch lernen und studieren. Der Älteste hat in Syrien vier Jahre Bauingenieur studiert und möchte das in Deutschland fortsetzen.

Wenn sie bei den Biels wohnten, könnten sie sich hier schneller einleben, hoffen sie. Wann sie zu ihnen ziehen dürfen, wissen sie nicht. Marita Biel hat sich trotzdem schon einmal erkundigt, nach Deutschkursen und Sportvereinen, und wo der Jüngste in die Schule gehen könnte.

Das System der Unterbringung

Flüchtlinge kommen in Bayern zuerst in Erstaufnahmeeinrichtungen. Anschließend werden sie auf Gemeinschaftsunterkünfte (GU) verteilt, die von den Bezirksregierungen betrieben werden. Das ist die Form der Unterbringung, die das bayerische Aufnahmegesetz grundsätzlich vorschreibt. Weil die Plätze in den GUs bei Weitem nicht mehr ausreichen, werden seit etwa vier Jahren auch die Landkreise und kreisfreien Städte mit der Unterbringung beauftragt - ihnen weist die Regierung von Oberbayern Flüchtlinge zu. Sie werden dann in Tragluft- und Leichtbauhallen, Gewerbegebäuden, Wohnungen oder auch Turnhallen einquartiert. Die Unterkünfte in kommunaler Trägerschaft werden etwas ungenau als "dezentrale Unterkünfte" bezeichnet und machen mit 57 Prozent der Plätze mittlerweile den größten Anteil aus. 17 Prozent der 133 000 Asylbewerber und geduldeten Flüchtlinge in Bayern leben in Erstaufnahmeeinrichtungen, 15 Prozent in Gemeinschaftsunterkünften und elf Prozent in privaten Wohnungen. Um privat wohnen zu können, brauchen Asylbewerber und Geduldete eine Ausnahmegenehmigung. inra

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