Asylbewerber in Siemens-Büros:"Ich war ein Flüchtlingskind"

Die Stadt München braucht dringend Notunterkünfte für Flüchtlinge. Jetzt hat Siemens ein leer stehendes Bürogebäude angeboten. Günter Pritz, Betriebsratschef der Niederlassung München, erzählt, wie es dazu gekommen ist.

Interview von Bernd Kastner

Das Unternehmen Siemens hat in der vergangenen Woche seine Bürogebäude an der Richard-Strauss-Straße in Bogenhausen angeboten, um dort Flüchtlinge unterzubringen. Die Stadt München prüft das Angebot gerade. Günter Prietz, 54, Betriebsratsvorsitzender der Niederlassung München, der Vertriebs- und Serviceorganisation der Siemens AG in Südbayern, erzählt von der Genese dieser ungewöhnlichen Idee.

SZ: Hinter dem Vorschlag steckt der Betriebsrat. Wie kam's?

Günter Prietz: Die Idee ist bei einer unserer Sitzungen entstanden. Man kann sie gar nicht einem Kollegen zuordnen, das kam einfach aus der Diskussion heraus.

Worüber haben Sie denn bei der Sitzung diskutiert?

Die 800 Mitarbeiter unserer Niederlassung sind sehr ungern umgezogen nach Neuperlach. Die Kollegen leiden auch darunter. Zugleich kennen wir natürlich die Diskussion über die Unterbringung von Menschen auf der Flucht. Dann haben wir uns gesagt: Wenn wir schon nicht mehr dort sein dürfen, dann sollten wir das Gebäude für einen vernünftigen Zweck nutzen.

Und dann?

Dann hat's geheißen: Prietz, du bist der Vorsitzende, du schreibst dem Kollegen Kaeser einen Brief.

Was haben Sie dem Kollegen Joe Kaeser, dem Siemens-Chef, denn dann geschrieben?

Dass die Niederlassung ja seit Oktober leer steht, dass aber eine gute Infrastruktur da ist. Die Kantine ist klasse, die wäre auch schnell wieder einsatzbereit, es gibt Teeküchen, Toiletten, getrennt nach Frauen und Männern . . .

. . . was in bayerischen Asylheimen nicht selbstverständlich ist.

Bloß Duschen haben wir nicht genug, nur ein paar im Keller für die Radfahrer. Da müsste man halt nachrüsten.

Und, wie hat Kollege Kaeser reagiert?

Sehr positiv. Er hat sich bedankt und unsere Hausverwaltung aufgefordert, den Vorschlag zu prüfen. Er hat mir sofort persönlich geantwortet, das hat uns sehr gefreut.

Ist so was nicht üblich?

Ich hatte in meinen 38 Jahren bei Siemens noch nie einen persönlichen Brief von einem Vorstandsvorsitzenden bekommen.

Joe Kaeser hat vermutlich erkannt, dass Siemens so mal wieder positiv in die Medien kommt, oder?

Bestimmt. Aber ich sehe das unabhängig davon, dass er mit dem Stellenabbau bald wieder negative Schlagzeilen produzieren wird. Ich freue mich einfach als Siemensianer, dass mein Unternehmen für Flüchtlinge ein bisschen mehr tut als viele andere.

Wie ging es anschließend weiter mit Ihrer Idee?

Nükhet Kivran, die bei uns im Betriebsrat sitzt und Vorsitzende des Münchner Ausländerbeirats ist, hat im Büro des Oberbürgermeisters angerufen und das dort eingespeist. Neulich haben sich die städtischen Experten das Haus auch schon angeschaut.

Wie stehen Sie selbst denn zu dieser Idee? Haben Sie den Brief an Ihren Chef nur geschrieben, weil Sie dazu aufgefordert wurden?

Nein, ich finde das eine tolle Sache. Meine Mutter ist selbst 1946 in Bayern angekommen, sie kam aus dem Sudetenland. Meine Mutter war ein Mensch auf der Flucht. Ich war also ein Flüchtlingskind. Das war lange . . . ich möchte nicht sagen: ein Makel . . . aber das war etwas, das hat man mit sich rumgetragen: Flüchtlingskind. Vor dem Hintergrund halte ich es für eine wichtige Aufgabe, den Menschen, denen es heute ähnlich geht, die aus Syrien kommen oder aus dem Irak, bei uns ordentliche Lebensbedingungen anzubieten. Gerade ein reiches Land wie unseres sollte es hinbringen, diese Menschen menschenwürdig unterzubringen.

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