Armutsbericht:Leben am Rande des Existenzminimums

Rund 178.000 Münchner gelten laut Armutsbericht als arm. Die Stadt bietet nun den Bedürftigen ein "Sozialticket" an.

Claudia Wessel

Trotz der Einführung von Hartz IV hat sich die Zahl der Armen in München lediglich um rund 1000 Menschen erhöht. "Damit sind wir sehr zufrieden", so Siegfried Benker und Brigitte Meier, sozialpolitische Sprecher der Grünen- beziehungsweise der SPD-Fraktion im Rathaus. "Man hat ja einen großen Anstieg durch die Einführung von Hartz IV erwartet", sagt Benker. "Der ist aber in der Landeshauptstadt ausgeblieben." Dazu hätten sicher die zahlreichen städtischen Maßnahmen gegen die Armut beigetragen, sind sich die beiden Politiker sicher.

Armutsbericht: Rund 178.000 Münchner gelten laut Armutsbericht als arm.

Rund 178.000 Münchner gelten laut Armutsbericht als arm.

(Foto: Foto: ddp)

Die Zahlen zur Armut entnehmen Benker und Meier dem neu erschienenen Armutsbericht, den das Sozialreferat alle zwei bis drei Jahre durch die Gruppe für Sozialwissenschaftliche Forschung (GFS) und das Sozialwissenschaftliche Institut (SIM) erstellen lässt. Der neue Armutsbericht definiert Armut anders als der letzte aus dem Jahr 2005. Inzwischen gilt entsprechend der Definition der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) als arm, wer nur 60 Prozent des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung hat.

21.000 Kinder und Jugendliche leben in Armutshaushalten

In Westdeutschland liegt dieses Durchschnittseinkommen bei 1347 Euro, arm ist demnach, wer 810 Euro oder weniger hat. In der Landeshauptstadt waren dies im Jahr 2007 rund 178.600 Personen, das ist eine Armutsdichte von 134 pro 1000 Einwohnern. Im alten Armutsbericht waren es 177.700 Personen, also eine Armutsdichte von 131 von 1000 Einwohnern. Reich sind etwa 260.000 Münchner. Sie haben mehr als 200 Prozent des Durchschnittseinkommens zur Verfügung.

Rund 21.000 Kinder und Jugendliche, also zehn Prozent dieser Altersgruppe, leben in Armutshaushalten. 2004 waren es noch 14.300. "Kinderarmut ist Elternarmut", sagt Benker. Vor allem die Zunahme der Stellen im Niedriglohnsektor trage hier zu einer Steigerung der Zahlen bei. Auch die Altersarmut sei in den letzten Jahren massiv gestiegen. Aktuell beziehen 9800 über 65-jährige Münchnerinnen und Münchner Grundsicherung. Die Zahl der anspruchsberechtigten Personen werde bis 2020 voraussichtlich auf 24.000 steigen, sagt Benker voraus. Migrantinnen seien von der Altersarmut überproportional betroffen, nämlich 139 von 1000.

75.000 Menschen werden den Pass beantragen

Im Vergleich beträgt das Verhältnis bei Deutschen nur 26 zu 1000. Auch Alleinerziehende gehören oft zu den Armen. In nur 3,4 Prozent der Münchner Haushalte leben Alleinerziehende, bei den Beziehern von "Grundsicherung für Arbeitssuchende" nach dem Sozialgesetzbuch (SGB II) sind sie jedoch mit 19 Prozent vertreten.

Eine der neuesten Initiativen gegen die Armut ist die Einführung der "Isar Card S", auch als "Sozialticket" bekannt geworden. Alle Empfänger von Leistungen nach SGB II- und SGB XII können einen "München Pass" beantragen. Dieser berechtigt zum Bezug des "Sozialtickets", welches monatlich 22,90 Euro und damit die Hälfte des Normalpreises kostet. Die andere Hälfte wird von der Stadt finanziert. Nach Schätzungen werden rund 75.000 Menschen den München Pass beantragen, die Stadt muss rund 5,5 Millionen Euro jährlich beisteuern. Die Einführung der "Isar Card S" wird am 13. November im Sozialausschuss beschlossen. Ab 1. März soll es das soziale Ticket zu kaufen geben. Auch alle Automaten sollen bis dahin umgerüstet sein.

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