Armuts-Alltag in München:Von der Willkür der Sozialbehörden

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"Nicht mehr nachvollziehbar, was da geschieht": Ein Sozialberater über den Umgang mancher Ämter mit Hilfesuchenden.

Dietrich Mittler

In ihrer Not vertrauen sich mittlerweile auch zahlreiche Hartz-IV-Empfänger dem Rechtsbeistand des Sozialverbandes VdK Bayern an. Zu ihren ersten Ansprechpartnern zählt dann zum Beispiel Stefan-Oliver Zürn, einer der Regionalgeschäftsführer des VdK in München.

SZ: Sind die Fälle, mit denen Sie konfrontiert werden, existenzbedrohend? Zürn: Für die meisten Menschen, die unsere Hilfe suchen, sind die Regelsätze einfach zu niedrig - ganz abgesehen davon, dass viele einen Berg von Schulden angehäuft haben. Sie wissen ja selbst, was zum Beispiel ein Kühlschrank kostet. Wie sich das Hartz-IV-Empfänger zusammensparen sollen, ist mir ein Rätsel.

SZ: Bei Betroffenen, die einmal ein regelmäßiges Einkommen hatten, sind doch meist alle Haushaltsgeräte vorhanden.

Zürn: Wohl, aber da darf um Himmels willen nichts kaputtgehen.

SZ: In einem solchen Notfall können Hartz-IV-Empfänger doch einen Antrag auf Unterstützung stellen ...

Zürn: . . . der in der Folge meist abgelehnt wird. Zumindest wird es den Leuten extrem schwer gemacht, ihren dringlichen Bedarf zu belegen.

SZ: Wie ist das zu verstehen?

Zürn: Viele Behörden tun sich damit hervor, dass sie Beleg über Beleg anfordern. Doch wenn die Betroffenen diese Belege abgegeben haben, hören die Probleme oft nicht auf. Allzu häufig scheinen diese wichtigen Unterlagen in den Schränken der Behörden zu verschwinden.

SZ: Warum machen die Behörden das? Zürn: Ja, warum machen die das? Ich kann hier ja nur etwas unterstellen: Entweder haben sie zu wenig Personal, oder sie sind schlecht organisiert. Im schlimmsten Fall könnte da sogar eine gewisse Taktik dahinterstecken.

SZ: Welche Taktik meinen Sie?

Zürn: Eine Verschleppungs- und Zermürbungstaktik. Da muss der Betroffene die Unterlagen nochmal bringen und nochmal bringen, bis der eine oder andere entnervt aufgibt. Selbst wir Berater sind manchmal am Rande des Nervenzusammenbruchs, wenn wir diverse Bankauszüge bereits zum dritten Mal hinschicken müssen - und das innerhalb von nur sechs Monaten.

SZ: Müssen die Hilfesuchenden wirklich VdK-Mitglieder sein?

Zürn: Wir dürfen nur unsere Mitglieder vertreten. Die meisten Hilfesuchenden, die zu uns kommen, sind zwischen 47 und Mitte 50 Jahre alt. Wir erheben für sie Widersprüche gegen die Bescheide, und wir klagen.

SZ: Sind unter Ihren Klienten auch Leute, die um den Verbleib in ihrer bisherigen Wohnung kämpfen?

Zürn: Auch das hatten wir in den zurückliegenden Monaten verstärkt: Hartz-IV-Empfänger wurden aufgefordert, ihre bisherige Wohnung aufzugeben und sich eine neue zu suchen, die dem Mietniveau der unteren Einkommensklasse entspricht. Die Behörden kennen da oft kein Pardon, selbst wenn dadurch letztlich die Kosten für die Allgemeinheit steigen.

SZ: Haben Sie da einen konkreten Fall im Auge?

Zürn: In einem unserer Fälle haben die Behörden eine halbseitig gelähmte Person zum Verlassen ihrer Wohnung aufgefordert, obwohl sich dort die Nachbarn intensiv um sie kümmerten, zum Beispiel die Einkäufe erledigten. Wenn dieses soziale Umfeld wegfiele, müsste ein Pflegedienst solche Aufgaben übernehmen. Auf dieses von uns vorgetragene Argument hin forderten die Behörden, die betroffene Person solle sich dann wenigstens einen Untermieter suchen. Es ist zum Teil nicht mehr nachvollziehbar, was da momentan geschieht.

© SZ vom 23.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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