Straßenambulanz für Obdachlose:Krank vor Scham

Lesezeit: 2 min

Für viele Obdachlose, die aus Schamgefühl nicht zum Arzt gehen, ist die mobile Straßenambulanz der erste Kontakt zum Hilfesystem. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Viele Obdachlose trauen sich nie zum Arzt, ihnen bleibt oft nur die Straßenambulanz. Jetzt geht die Frau in den Ruhestand, die das Vorzeigeprojekt ins Leben gerufen hat. Ein besonderes Modell soll nun helfen, die medizinische Versorgung aufrecht zu erhalten.

Von Sven Loerzer

Wenn die Münchner Straßenambulanz an einem der Treffpunkte von Wohnungslosen hält, dann kommen zu der Ärztin Barbara Peters-Steinwachs Menschen, die sonst nie medizinische Hilfe suchen würden. Viele sind vom Leben auf der Straße gezeichnet, sie haben offene Wunden, die bereits lange unversorgt sind, leiden unter Bluthochdruck, Herzkrankheiten und Atemwegsinfektionen.

An drei Abenden in der Woche ist die rollende Arztpraxis nun schon seit 1997 unterwegs. Das Projekt, das der Katholische Männerfürsorgeverein mithilfe des "Adventskalenders für gute Werke der Süddeutschen Zeitung" gestartet hat, bewährt sich. Behandlung erhalten dort auch Menschen, die nicht krankenversichert sind. Für viele Wohnungslose ist es ein erster Schritt, Vertrauen aufzubauen und sich helfen zu lassen.

Ende September schließt die Praxis in der Pilgersheimer Straße

Doch Barbara Peters-Steinwachs, die auch seit 19 Jahren die Arztpraxis im städtischen Unterkunftsheim an der Pilgersheimer Straße betreibt, geht Ende September in den Ruhestand. "Das Angebot der medizinischen Versorgung ist zu einem unentbehrlichen Bestandteil der Münchner Wohnungslosenhilfe geworden", sagt Sozialreferentin Brigitte Meier. "Viele wohnungslose Menschen suchen aus Scham keine reguläre Arztpraxis auf und haben aufgrund ihrer belastenden Lebenssituation kein ausgeprägtes Gesundheitsbewusstsein." Peters-Steinwachs sei es "durch ihr außergewöhnliches Engagement und ihren sehr guten Zugang zu dem Personenkreis gelungen, eine große Anzahl wohnungsloser Menschen medizinisch zu versorgen".

Im vergangenen Jahr kamen 525 Patienten zu ihr in die Praxis, im Durchschnitt war jeder von ihnen zwölfmal zur Behandlung dort. Die Straßenambulanz rollte an 106 Abenden durch die Stadt und kümmerte sich um 367 Patienten; 127 von ihnen wollten anonym bleiben. Straßenambulanz und Praxis seien für viele Obdachlose der erste Kontakt zum Hilfesystem, betont die Sozialreferentin, oft könne darüber zum Sozialen Beratungsdienst des Männerfürsorgevereins im gleichen Haus in der Pilgersheimer Straße 9 weitervermittelt werden, um die existenziellen Probleme anzugehen. So gelte auch die von der Ärztin aufgebaute Straßenambulanz bundesweit als ein Vorzeigeprojekt.

Hoher Arbeitsaufwand ung erhebliche Verdienstausfälle

Doch weil die Ärztin "einen nicht unwesentlichen Teil ihres Engagements" ehrenamtlich geleistet habe, war klar, dass für sie kaum ein Nachfolger zu finden sein dürfte, der Interesse hat, die Praxis als niedergelassener Arzt zu übernehmen. Hoher Arbeitsaufwand und auch noch erhebliche Verdienstausfälle wegen der Nichtversicherten, das macht eine solche Praxis alles andere als attraktiv.

Um die medizinische Versorgung aufrecht erhalten zu können, hat sich das Sozialreferat zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung ein besonderes Modell ausgedacht. Der Katholische Männerfürsorgeverein wird dabei zwei Ärzte mit insgesamt 50 Wochenstunden anstellen und zur Abrechnung mit den Krankenkassen ermächtigt. Die Stadt übernimmt die Kosten für die Ärzte in Höhe von rund 160 000 Euro pro Jahr per Zuschuss, erhält aber den Betrag zurück, den die Krankenkassen für die Behandlung der versicherten Patienten bezahlen. Legt man die Zahlen von 2014 zugrunde, hätte die Stadt dann effektiv nur Kosten in Höhe von rund 10 000 Euro zu tragen.

Das Gehalt entspricht dem eines Oberarztes

Die Sozialreferentin hofft, dass nach der bereits erfolgten Zustimmung des Sozialausschusses eine der beiden Stellen mit jeweils 25 Wochenstunden schon zum 1. August besetzt werden kann, um einen guten Übergang zu gewährleisten. Weil die Anforderungen hoch sind, sollen die beiden Stellen auch höher als üblich eingruppiert werden und tariflich einem Oberarzt entsprechen. Nur so sei die Besetzung auch zu gewährleisten, hielt die Sozialreferentin Einwänden aus der Kämmerei entgegen. "Eine Nichtbesetzung der beiden Stellen hätte eine medizinische Unterversorgung von obdach- und wohnungslosen Frauen und Männern zur Folge." Dies sei aber aus humanitären und sozialpolitischen Gründen nicht zu verantworten.

Auch die wirtschaftlichen Kosten wären immens, weil dann mehr Krankenhauseinweisungen erfolgten. Der sozialpolitische Sprecher der Rathaus-SPD, Christian Müller, war "froh, dass eine Lösung gefunden worden ist, um dieses Angebot auch in Zukunft aufrecht erhalten zu können". Er betonte: "Jeder Mensch muss in unserer Stadt die Möglichkeit haben, sich ärztlich behandeln zu lassen - auch wenn er kein eigenes Dach über dem Kopf hat."

© SZ vom 22.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: