Armes München, reiches München:Straße der Gegensätze

Sie beginnt nahe dem Stiglmaierplatz und zieht sich bis ins Hasenbergl: Münchens Facetten zeigen sich nirgends so deutlich wie an der Schleißheimer

Von Pia Ratzesberger, Fotos: Jessy Asmus

Es ist immer noch die gleiche Straße, auch wenn sich alles um einen herum ändert, auch wenn es einem erscheint, als passierte man fünf Städte auf diesen acht Kilometern. Erst Maxvorstadt, dann Schwabing, Milbertshofen, irgendwann den Harthof und das Hasenbergl. Entlang adretter Galerien, schmucker Fassaden und Cafés mit Ohrensesseln. Entlang rumorender Werkstätten, greller Tattoo-Studios und Imbissbuden, in denen das Fett knistert. Dann rechts ein Feld, geharkte Erde, als wäre man schon längst draußen aus der Stadt. Dann wieder Hochhäuser, Dutzende Balkone, Dutzende Wohnungen wie Legosteine ineinandergesetzt. Die Schleißheimer Straße ist eine der längsten Münchens, und es gibt kaum eine andere Straße, die die Widersprüche der Stadt so gut widerspiegelt: beginnend nahe dem Stiglmaierplatz, in der geldigen Innenstadt, bis hoch an den Stadtrand, wo die wohnen, für die ein Leben in der Innenstadt nur noch Illusion ist. Ein Spaziergang zu Münchens Gegensätzen, immer entlang der Schleißheimer.

Das Vergangene

Der alte Herr kommt öfter her, an den Beginn der Schleißheimer Straße. Dann sitzt er wie heute auf der Bank, das Licht im Gesicht, die Lektüre auf dem Schoß. Früher, sagt Hans, hätten sich die Leute hier noch aus den Fenstern gebeugt, von Haus zu Haus gerufen. Früher, als Hans noch ein Junge und dies ein Arbeiterviertel war, ist er mit dem Maßkrug rüber zum Löwenbräu gelaufen, um ein Bier für den Vater zu holen. Heute aber rufe niemand aus dem Fenster, wenn er in seiner Zeitung versinke, ihn kenne ja auch keiner mehr. Jeder gehe für sich alleine durch die Straße, durch das Leben. Die Menschen liefen einander vorbei, kein Wort, vielleicht noch ein Blick. Die jungen Leute, sagt er, jagten ständig etwas hinterher, von dem sie selbst nicht wüssten, was sie sich eigentlich erhofften. Einen noch besseren Job, eine noch bessere Wohnung. Keine Balance hätten die, keine Balance. Links vor ihm klafft eine Baulücke, ein Passant schimpft über die Mietpreise, 560 Euro das Zimmer, auch hier. Dabei war das doch ein Arbeiterviertel, als Hans noch ein Junge war. Er steht auf, klopft die Hosenbeine ab. Alles anders. Nicht unbedingt besser.

Der Wandel

Nannte man vor wenigen Jahren die Schleißheimer Straße als Wohnort, klang das mitunter ein wenig anrüchig. Dämmrige Spielsalons, muffige Sexshops, das verband so mancher Münchner mit dieser Straße, die nicht gerade als erste Adresse in der Stadt galt. An einigen Orten kann man dies noch erahnen, zum Beispiel gegenüber des Löwenbräukellers, rechts ein Spielsalon, schon morgens um zehn Uhr suchen übermüdete Gestalten hier ihr Glück. Münze um Münze verschluckt der gurgelnde Automat. Wahrscheinlich sind es aber genau diese Kulissen, die immer neue Bewohner anziehen, sehnsüchtig schwadronieren sie dann von ein wenig Berlin in Bayern. Von den schrofferen Seiten, von denen sich München sonst so selten zeige - die mit jeder Baustelle nach und nach verschwinden.

Der Alltag

Ein Dorf im Dorf sei das hier. Martin Moser sitzt vor seiner Kneipe und beobachtet die Straße wie der König des Viertels. Sein Bier wartet schon am Tresen, ein Helles für 3,20 Euro, die Tische draußen alle besetzt. Da ist zum Beispiel Lissy, Lederweste, Sonnenbrille. Seit ihr Sohn gestorben ist, kommt sie jeden Tag hierher, löst Kreuzworträtsel. Manche ruhen jeden Tag hier, paffen und plaudern. Das sei doch noch immer keine reiche Straße, sagt Moser, bei ihm säßen die gleichen Leute wie vor zwei Jahren. In einer Nähstube drei Kilometer weiter aber, nördlich des Petuelrings, ordnet Safaa Helwa die Schürzen und Blusen, Oktoberfestzeit. Es brächten schon mehr Leute teure Stoffe, sagt sie. Ob wirklich mehr Wohlhabende hergezogen seien oder die ihren Laden bisher nicht kannten oder ob es vor allem die BMW-Mitarbeiter von drüben seien - wer wisse das schon. Eine Schneiderei nämlich sei noch nie da gewesen. Nur Internetshops und Imbissbuden. Die Nähmaschine surrt, die Nadel sticht. Vorne im Bierstüberl geht es in die zweite Runde.

Der Luxus

Man sieht sie nicht gleich, die restaurierten Fassaden, die ausladenden Terrassen, oft verborgen in den Innenhöfen, in den zweiten Häuserreihen. Doch mit wem man in der Straße auch spricht, irgendwann erwähnt das Gegenüber meist die neuen Bauten, die "Luxuswohnungen" - manchmal bewundernd, manchmal verächtlich. Ein möbliertes Appartement kostet schon einmal mehr als 1000 Euro im Monat, für ein T-Bone Steak verlangt das Restaurant an der Ecke 32 Euro, nicht anders als im Glockenbach, dabei wollte man so geldig doch nie sein. Im Schaufenster eines Friseurs klebt ein Brief, ein Anwohner beschwert sich über die viel zu hohen Preise, 51 Euro der Schnitt. Der Meister lächelt, er könnte sogar noch mehr verlangen, aber das wolle er nicht. Er nämlich wolle nicht nur das geldige Publikum - denn, ach, seien wir mal ehrlich, er könne sich hier auch keine Wohnung leisten.

Die Neuen

Alexander Herrle lehnt an der Türe, hinter der breiten Glasfront sitzen die Kollegen. Ein Architekturbüro Nähe Maßmannpark, alles hell, alles weiß. Sie sind hergezogen, weil da drüben noch der Eisenwarenladen ist, dort vorne in der Kneipe die Stammgäste qualmen. Auch wenn Herrle weiß, dass doch gerade Leute wie er solch ein Viertel verändern. Die Architekten kommen, die Boazn schließt. Manchmal, wenn sich bei der Münchner Tafel ein paar Ecken weiter die Menschen an der Ausgabe drängen, fragt sich Herrle, wo die alle herkommen, so plötzlich. In einem Café gleich gegenüber, auch hier alles hell, alles weiß, nickt der Kellner nur. Ja, die Ärmeren, die sehe man nicht. Gäste aus dem Hasenbergl zum Beispiel habe er nie, "die kommen nicht her und wir nicht rüber." Sei schade, eigentlich.

Die Armut

Weiter nach Norden, Nähe des Frankfurter Rings, die Straße zieht sich immer breiter, der Herrenschnitt kostet neun und nicht mehr 51 Euro. Die Häuser drehen sich höher in den Himmel und auf dem Spielplatz zwischen zwei Blocks steht Jessica, langes Haar, glitzernde Sandalen. Ihren Nachnamen soll man bitte nicht nennen, fotografiert werden möchte sie nicht. Ihr Sohn fegt mit dem Dreirad über die Wege, er soll es einmal besser haben, einen Superjob. Das Modegeschäft, in dem sie verkauft, wird bald schließen. Dann fange das Laufen wieder an, das elende Laufen. Neulich war sie im Zirkus, da habe sie für vier Eintrittskarten 48 Euro gezahlt, für nur einen Abend. Ohne Getränke, ohne Popcorn. Sie deutet auf die kleinen Fenster, hier wohnten doch nur Arme, sagt sie, aber man kenne sich, man helfe sich. Immerhin. Jessica wird bleiben, ist immer geblieben, ist hier aufgewachsen. Genau hier, zwischen diesen zwei Blocks.

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