Architekturausstellung:So könnten wir künftig zusammen leben

Eine Ausstellung zeigt, wie gemeinschaftliche Wohnprojekte funktionieren - und was sie ihren Bewohnern abverlangen.

Von Laura Weissmüller

Endlose Diskussionen über die Nutzung der Gemeinschaftsflächen, noch bevor der erste Spatenstich getan ist. Oder die Frage, ob man seine Wohnung auch wieder verkaufen darf, wenn es denn sein muss. Vor allem aber: viele Menschen, die man kennt und mit denen man lange Zeit Tür an Tür wohnen wird.

Für nicht wenige klingt das, was gemeinschaftliche Wohnprojekte umschreibt, eher wie der Albtraum von den eigenen vier Wänden als nach einem Sehnsuchtsort. Gemeint sind Häuser, die von den zukünftigen Bewohnern gemeinsam entwickelt und eben nicht schlüsselfertig von einem Bauträger geliefert werden. Nebenbei verzichten diese Menschen auch darauf, dass ihr Eigentum einmal satte Gewinne abwerfen wird.

Dennoch gewinnen solche Projekte immer mehr Fans. Weil in den Städten immer unbarmherziger die Mieten steigen. Weil viele die immer gleichen Wohntypen mit dem ewig selben Grundriss von der Stange leid sind. Aber auch, weil einige damit die Hoffnung verbinden, dass das Wohnen in der Gemeinschaft eine Lücke schließt, die die Moderne hat entstehen lassen: "Je mehr sich das System Familie auflöst, desto wichtiger werden solche neuen Wohnprojekte," sagt Hilde Strobl.

Strobl hat die Ausstellung "Keine Angst vor Partizipation!" im Münchner Architekturmuseum kuratiert. Bevor sie die zwölf unterschiedlichen Beispiele aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Dänemark zusammengetragen hat, besaß sie eine feste Vorstellung davon, was Menschen auszeichnet, die sich jahrelang die Köpfe heißreden, ohne überhaupt zu wissen, ob die Gebäude jemals stehen werden, über die sie so leidenschaftlich streiten.

Dass Strobls Klischee nicht mehr stimmt, sondern dass die Bewegung längst sämtliche Bevölkerungsschichten und Altersgruppen erfasst hat, zeigt ihre Ausstellung. Vor allem die Filme von HyggeTV (eine Kooperation von Jörg Koopmann und Lene Harbo Pedersen), die den Alltag in den Häusern einfangen: das Üben der Singgruppe von "Frauen-Wohnen", einer Münchner Genossenschaft, in der nur Frauen Mitglieder werden dürfen. Das Spielen der Kinder im Innenhof der "Kalkbreite", einem Projekt in Zürich, wo aus einem ehemaligen Tramdepot ein Gebäude für Wohnen, Arbeiten und Freizeit entstanden ist. Und immer wieder: die Begegnungen der Menschen in ihren Häusern, in den Fluren, Laubengängen und Innenhöfen.

Eingänge und Treppenhäuser müssen kein toter Raum sein

Die fast schon poetischen Filme machen klar, wer hier im Fokus steht. Es sind die Bewohner, nicht die Architekten. Was in einer Ausstellung über Häuser, in einem Museum für Architektur dann doch eher ungewöhnlich ist. Es geht hier ganz offensichtlich nicht um den genialen Entwurf eines einzelnen Baumeisters, die grünste Fassade oder das ausgeklügelte Materialkonzept. Es geht hier, ganz im Sinne von Jan Gehl, dem dänischen Fußgängerpapst, um die Begegnung der Menschen zwischen den Gebäuden, beziehungsweise zwischen ihren privaten Wohnungen.

Es ist kein Gesetz, dass Eingänge und Treppenhäuser toter Raum sein müssen, in denen jeder die Hoffnung hat, möglichst niemandem zu begegnen. Und es ist auch nicht die Aufgabe von Gebäuden, möglichst viel Raum, der eigentlich der Öffentlichkeit zusteht, der Bordstein, der Innenhof, die Abstandsfläche zwischen den Gebäuden, exklusiv den eigenen Bewohnern zuzuschlagen. Im Gegenteil.

Was eine Stadt gewinnen kann

Die Ausstellung zeigt denn auch, was eine Stadt gewinnen kann, wenn sie Genossenschaften gezielt mit günstigen Grundstücken und Finanzierungshilfen fördert, so wie Wien oder Zürich das seit Jahrzehnten tun. In die Gebäude ziehen nämlich nicht nur die Bewohner ein, sondern auch überraschend schnell öffentliches Leben. Etwa in der Kalkbreite in Zürich. Die kleinen Handwerksbetriebe, Geschäfte und Restaurants im Erdgeschoss machen die Adresse auch für Menschen interessant, die nicht hier wohnen. Vielfach sind es auch die Grünflächen und Innenhöfe der Häuser, die man nach außen hin nicht abriegelt, sondern zugänglich lässt, was die Neubauprojekte so lebendig macht. Nicht immer gelingt das konfliktfrei.

In dem Berliner Projekt Spreefeld etwa waren einige Bewohner nicht so begeistert, als immer mehr Obdachlose das Spreegrundstück für sich entdeckten. "Es ist ein Kampf, der von Anfang bis zum Ende durchgehalten werden muss," sagt Strobl.

Wie viel Öffentlichkeit lässt man auf dem Gemeinschaftsgrundstück zu? Wie wählt man die Mitbewohner aus? Und ist man wirklich bereit, für etwas zu zahlen, was später alle nutzen werden? Wie anstrengend dieser Entwicklungsprozess bei jeder Baugemeinschaft ist, zeigt die Ausstellung. Jedes Projekt wird, neben Koopmanns Film, mit einer Art Pinnwand vorgestellt. Darauf ist ein Gestrüpp aus durchgestrichenen Pfeilen und Begriffen zu sehen, die einem nicht viel sagen - Flexräume, Clusterwohnung, Spekulationsentzug. Ganz ähnlich dürfte es vielen gehen, die solch ein Wohnprojekt planen. Die Architektur-Laien müssen sich erst an das herantasten, was zum Handwerkszeug des Bauens gehört. Die Ausstellung hilft, indem sie auf der Museumswand - und in einem Begleitbuch - die Begriffe des gemeinsamen Wohnens und Planens erklärt.

So sind Flexräume Zimmer, "die bei Bedarf für einen begrenzten Zeitraum angemietet werden können", etwa für die pflegebedürftige Mutter oder den pubertierenden Teenager. In Clusterwohnungen "gruppieren sich separate Wohneinheiten um einen gemeinsam genutzten Wohnraum". Eine Art WG für Erwachsene also. Und Spekulationsentzug bedeutet, dass "im Gemeinschaftseigentum kein individueller Gewinn erwirtschaftet wird".

Der ideelle Wert der endlosen Diskussionen fließt in die Gebäude mit ein

Gerade der Verzicht darauf ist essenziell für die Projekte. Denn wenn nur einer in der Gruppe versucht, seine Wohnung meistbietend zu verkaufen, funktioniert das solidarische Grundkonzept nicht mehr. Schließlich hat die Gemeinschaft geplant. Wie soll man den Wert der endlosen Diskussionen beziffern? Und alle haben für die Gemeinschaftsflächen gezahlt.

Die Ausstellung zeigt nur Mietbaugemeinschaften. Die ebenfalls immer beliebter werdenden privaten Baugruppen sind nicht vertreten. Auch wenn dabei oft architektonisch reizvolle Häuser entstehen, sind diese wirtschaftlich betrachtet nichts anderes als private Reihenhäuser. Die Immobilienspekulation, die Wohnen in der Stadt immer teurer macht und Bevölkerungsschichten aus ihrem angestammten Viertel drängt, werden sie nicht stoppen.

Die vorgestellten Genossenschaftshäuser könnten es zumindest - wenn die Städte sie so zahlreich werden ließen, wie es die Investorenprojekte längst sind. Vor allem zeigen sie, dass die Entwicklung eines Hauses eigentlich erst anfängt, wenn es steht. Wenn die Bewohner einziehen, wenn sie älter werden, wenn Bedürfnisse sich ändern. Einen Investor interessiert das alles nicht, eine Hausgemeinschaft schon. Und auch eine Stadt sollte Interesse aufbringen.

Keine Angst vor Partizipation! Architekturmuseum der TU München, Pinakothek der Moderne, München. Bis 12. Juni. Infos: www.architekturmuseum.de

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