Architektur:Verriss auf ganzer Linie

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Ein 197 Meter langer Gebäuderiegel, den zwei Genossenschaften bauen wollen, ist für die Lokalpolitiker ein monströser Klotz. Der Architekt verteidigt seine Idee: Das sei die richtige Antwort auf die Messehallen gegenüber - und ein geselliger "Bienenstock"

Von Renate Winkler-Schlang, Messestadt Riem

- Belanglos, langweilig, uniform: Das hatte Manuel Pretzl, Fraktionschef der Rathaus-CSU, kürzlich der neuen Münchner Architektur vorgeworfen und damit eine lebhafte Debatte entfacht. Stadtbaurätin Elisabeth Merk und die Chefin der Bayerischen Architektenkammer, Christine Degenhart, haben die Zunft in Schutz genommen. Dass sich über Architektur trefflich streiten lässt, zeigt sich nun auch an dem Beispiel eines geplanten Mega-Wohnhauses an der Willy-Brandt-Allee in der Messestadt Riem.

Rupert Rösch (Grüne) ist Planungsausschuss-Sprecher im Bezirksausschuss Trudering-Riem. Dass Rösch den Plan eines Neubauprojekts an die Wand des Sitzungssaals pinnt, kommt sonst nie vor. Dieses Mal aber wollte er den Kollegen vor Augen führen, wie monströs der Klotz namens RIOriem werden soll, den die beiden Genossenschaften Wagnis und Wogeno gemeinsam östlich des Bauzentrums hinstellen lassen wollen. Dies sei kein Gewerbe-, sondern in der Tat ein Wohnungsbau.

Laubengang als lauschige Fläche für Kinderspiel und Pflanzenkübel, bunte Wimpel und Sitzplätze: Was im preisgekrönten Objekt Domagkpark (Bild) funktioniert, will der Architekt auf die Messestadt übertragen. (Foto: Michael Heinrich/oh)

Man brauchte mehrere Schritte, um die Länge des gesamten Planes abzuschreiten. So mancher tat es und schüttelte dabei ablehnend, fast schon angewidert, sein Haupt. Rösch, Messestädter und auch selbst Architekt, konnte mit seiner Kritik kaum an sich halten: Betonfertigwand, dann oben eine Schallschutzmauer, die dem Gefängnis Stadelheim alle Ehre mache - die Willy-Brandt-Alle sei aber gar nicht so laut. Ein Laubengang, so weit das Auge reicht, ohne Unterbrechung, ohne Gliederung. Zudem an den Ecken der kammartigen Anbauten, die die Innenhöfe bilden, auch noch Wohnungen mit fast 16 Metern Raumtiefe. Wie solle denn da die Sonne reinscheinen? Und dann seien auch noch in den Erdgeschossen direkt am westlichen Aufgang des Bahnhofs Messestadt Ost Wohnungen vorgesehen. Wer solle da leben? Da gehörten Läden hin, Praxen oder eine Gemeinschaftsnutzung, verlangte Rösch. An der Uni, so echauffierte sich der Ausschuss-Sprecher, hätte dieser Plan "eine glatte Fünf" bekommen.

Der gesamte Planungs-Unterausschuss lehne dieses Konzept ab. Der Bezirksausschuss wolle Architekten, Bauherren, Vertreter des Planungsreferates und auch Architektenkammer-Präsidentin Degenhart in die nächste Sitzung einladen, um diesen Plan und damit auch die Kriterien für gelungene Architektur zu diskutieren, erklärte Ausschuss-Sprecher Rösch. Georg Kronawitter (CSU) ergänzte, das Ding erinnere ihn an ein Zitat des früheren Oberbürgermeisters Christian Ude (SPD), der, in der S-Bahn sitzend und auf die Wohnhäuser im Gebiet Hauptbahnhof - Laim - Pasing schauend, immer denke: "Welcher Depp hat das genehmigt?" Kronawitter regte an, das Projekt vor die Stadtgestaltungskommission zu bringen. Diese solle sich ruhig auch mal mit Objekten am Stadtrand befassen. Und der Bezirksausschuss-Vorsitzende Otto Steinberger (CSU) solle diesen Plan bei der nächsten Bürgerversammlung als Negativ-Beispiel für zeitgenössische Architektur vorstellen.

Ein Wohnriegel, so weit das Auge reicht: Dem Bezirksausschuss Trudering-Riem ist der Plan fürs fast 200 Meter lange Gebäude der Genossenschaften Wogeno und Wagnis zu wuchtig. Plan: Architektur:Zwingel/Dilg (Foto: N/A)

Architekt Florian Dilg vom Büro Zwingel/Dilg hatte erst tags zuvor den Deutschen Bauherrenpreis erhalten für ein vergleichbares Wogeno-Haus im Domagkpark. Für sein RIOriem hatte er aber, wie er selbst einräumt, in der Beratergruppe Stadtgestalt und Architektur, die in der Messestadt von Anfang an für Qualität sorgen und notfalls Architekten für schönere Ideen sensibilisieren soll, einen ähnlichen Verriss kassiert wie ihn nun der Bezirksausschuss formuliert hat. In der Beratergruppe aber seien die Bauherren der beiden Genossenschaften für ihn in die Bresche gesprungen, denn sein Konzept entspreche genau deren Wünschen.

Der exakt 197 Meter lange Riegel beinhalte 150 Wohneinheiten, von einer sehr großen für eine Wohngemeinschaft des Franziskuswerks Schönbrunn bis zu kleinen 28-Quadratmeter-Apartments. "Hier ziehen Genossen ein", betont Dilg. Weil man sich hier ausdrücklich dem "Prinzip des gemeinschaftlichen Wohnens" verschrieben habe, wolle man auch über die Laubengänge schnell zueinander kommen können, ohne zuerst die eine Treppe runter, raus auf die Straße und die andere Treppe wieder hoch gehen zu müssen. So könne man den Block waagerecht durchqueren. Diese ellenlangen Laubengänge hätten nichts gemeinsam mit dem sozialen Wohnungsbau in England, wo eine solche Konstruktion beim Sparen helfe. Die Bewohner würden sie nutzen, mit Bänken und Pflanzen verschönern, sich dort aufhalten und treffen. Er bemühe dafür gerne das Bild vom "großen Bienenstock". Und oben gebe es einen Dachgarten mit Blick auf die Alpen. Der Lärmschutz sei Pflicht, werde nicht aus Beton, sondern aus Holz ausgeführt. Und angesichts des Windes, der stets durch die Messestadt pfeift, könne man nur froh sein um diese Wand, die den Aufenthalt behaglich machen werde.

Für ihn sei der lange Baukörper eine "Wohnskulptur", die antworte auf die noch viel längeren Messehallen auf der anderen Seite der inklusive Mittelgrün 60 Meter breiten Willy-Brandt-Allee. Hier passe einfach kein "innerstädtisches Kleinklein", sagt Dilg. Wer den Gehsteig entlang komme, werde zudem nie den ganzen Komplex auf einmal im Blick haben: "Der sieht Abschnitt für Abschnitt die lebendige Fassade, die Gewerbeflächen und kleinen Läden", sagt Dilg und fügt an: "Das wird eine hohe Qualität haben." Die Eckwohnungen mit den überlangen Zimmern seien von beiden Seiten beleuchtet und unter den Genossen sehr begehrt. Und im Erdgeschoss beim U-Bahnhof solle es durchaus Läden geben, und zwar solche wie der frühere Klassiker "Schwabinger Ladenwohnung mit Wohnzimmer gleich hinterm Verkaufsraum", da habe wohl der Bezirksausschuss den Plan nicht genau gelesen. Diesem biete er an, gemeinsam mit den Bauherren den Plan zu diskutieren und das preisgekrönte Haus im Domagkpark anzuschauen. Florian Dilg will werben für seinen Riegel, er will ihn erklären.

© SZ vom 09.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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