Architektur und Design in München:Die Fantastik verschwindet

Eröffnung der Kleinen Olympiahalle in München, 2011

Die Kleine Olympiahalle bietet Platz für Konzerte, Tagungen und Veranstaltungen aller Art.

(Foto: Stephan Rumpf)

Münchner Designer sind international bekannt - sie beleben die vielfältige kreative Szene der Stadt. Die Architekten allerdings sind zwar nicht die wichtigsten, aber dennoch bedeutend. Weil sie aber so selten zum Zug kommen, wandern sie ab - Rückkehr ungewiss.

Von Gerhard Matzig

Andreas Hild ist von imposanter Statur. Groß gewachsen ist er, der Münchner Architekt, der am kommenden Montag 52 Jahre alt wird, und zur eindrucksvollen, eigenartig poliert erscheinenden Glatze trägt er einen nicht minder respektablen Dreieinhalb-Tage-Bart sowie einen finster entschlossenen Blick. In "Fluch der Karibik - Am Ende der Welt" könnte er durchaus einen ernstzunehmenden Komparsen abgeben. Auch deshalb hört man jetzt besser erst mal zu. Übrigens befindet man sich gerade an einem Ort, der aus Sicht der deutschen Architekturkritik dem Ende der Welt eigentlich recht nahe kommen müsste. Nämlich in der Messestadt Riem. Heinrich-Böll-/Ecke Mutter-Teresa-Straße.

Hild trägt einen Mantel, der als Cape durchgehen könnte. Breitbeinig und in einer Pose, die man nur als "Klar zum Entern" umschreiben kann, steht er auf der Dachterrasse eines (nicht von ihm, sondern von Bogevischs Buero entworfenen, sehr gut entworfenen) Hauses. Man wollte sich mit Hild im Café im Erdgeschoss treffen, um über die Architektur der Münchner Messestadt im allgemeinen und über den Zustand der Münchner Architektenschaft im besonderen zu sprechen.

Zum Ausguck aufs Dach

Aber er scheucht einen gleich auf die Dachterrasse. Zum Ausguck. Dorthin, von wo aus man München in den Blick nehmen kann. In all seiner maximilianstraßenhaften Herrlichkeit. Aber eben auch: in all seiner Würfelhustenhäuser-und-Ausfallstraßen-Dürftigkeit. Es ist windig hier oben. Dürfte man die Baukultur Münchens mit Hilfe des herbstlichen Wetterberichts bilanzieren, so lautete das Ergebnis wie auch die Vorhersage für die nächsten Jahre: "Mitunter föhnig aufgeheitert".

Das ist der Titel eines zu Zeiten der Dinosaurier verfassten Buches. Untertitel: "Liebeserklärung an den Alpennordrand". Verfasst allerdings nicht wegen, sondern trotz seiner modernen Architektur - und auch das ist hier bitte als Liebeserklärung zu begreifen.

Gut, manchmal könnte das auch Hassliebe sein. Womit wir wieder bei der Messestadt wären.

Der Ort braucht Zeit

Die Messestadt, eines der größten Städtebau-Projekte Europas, noch immer unvollendet, ist eines der jüngsten Stadtviertel in München. Eine Art gebaute Dauerausstellung der München-Architekten. Viele Gestalter durften sich hier beweisen. Neben Bogevischs Buero (eigentlich: Rainer Hofmann und Ritz Ritzer, hiermit favorisiert für den Award "Fantasievollster Büroname in Deutschland") gilt das auch für das Büro "Hild und K Architekten" - zusammen mit Dionys Ottl. Oder für Allmann Sattler Wappner. Architekten. Oder für Andreas Meck. Und für andere mehr.

Die Messestadt müsste demnach eines sein: eine Leistungsschau der Münchner Macher unter den Architekten, Landschaftsarchitekten und sonstigen Gestaltern. Leider kommt die Messestadt unter Kritikern eher schlecht weg. Als "notdürftig dekorierte Schlafburg" wurde sie vor Jahren von Niklas Maak beschrieben. Und Hild sagt jetzt: "Ach was. Die Messestadt steckt voller guter Architektur. Der Städtebau ist ebenfalls solide. Was dieser Ort braucht, ist einfach nur Zeit. Die Dimension der Zeit wird immer vergessen von euch Kritikern. Ihr schreibt immer gleich drauflos. Die Gründerzeitviertel hättet ihr auch gleich in Grund und Boden geschrieben."

Nur 13 Münchner Büros unter den "Top 100"

Man rückt als drauflosschreibender Kritiker vorsichtshalber etwas ab vom Dachterrassenrand und nimmt sich vor, ihm später zu widersprechen. Hild sagt noch: "Die Stadt steckt voller guter Architekten und vieler baukultureller Möglichkeiten." Es gebe daher auch keinen Grund, zum Beispiel nach Berlin zu gehen. Aha. Dorthin also, wo zuletzt viele junge Architekten aus München hingezogen sind. "Kommen alle wieder." Glaubt Hild.

Zumindest das darf man ruhig glauben: Er ist nicht nur einer der innovativsten Architekten Münchens, er ist auch der begnadetste Trommler für das, was man Münchner Architekten-Szene nennen könnte. Er sollte eigentlich ihr Klassensprecher sein.

Die Architekten gehen nach Berlin

Berufen wäre er. Es gibt ein Ranking, organisiert seit vielen Jahren vom Online-Dienst "Baunetz". Dieses Ranking nimmt natürlich niemand ernst in München. Und man trifft kaum eine von den ohnehin in München viel zu seltenen Architektinnen oder einen der Architekten, der überhaupt zugeben würde, das es existiert. Leider ist dem nicht so.

Und was soll man sagen, unter den "Top 100" der deutschen Architekten befinden sich 31 Berliner Büros - und ganze 13 aus München. Nach den drei Erstplatzierten - gmp, Hamburg (Hauptstadtflughafendesaster, aber das ist nur Neid), Volker Staab, Berlin (neidlose Anerkennung), und Max Dudler, Berlin (dito: neidlos) - kommt noch dutzendweise Berlin vor, und dann auf Platz 20 der erste Münchner: Hild und K Architekten.

Architektur und Design in München: Andreas Hild, Dionys Ottl und Matthias Haber (von links) lieben den spielerischen Umgang mit kontrastierenden Elementen.

Andreas Hild, Dionys Ottl und Matthias Haber (von links) lieben den spielerischen Umgang mit kontrastierenden Elementen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Aber erstens: "Kommen alle wieder" - was eher unwahrscheinlich ist. Und zweitens: München ist deutlich besser als sein Listenplatz. Die bedeutsamsten Planer, quasi die Erfinder des modernen Krankenhauses: Nickl & Partner, München. Eine Architekturfabrik, die - vor Jahrzehnten! - modernste Planungsprozesse nach Deutschland importiert hat: Gunter Henn, München. Der Schöpfer der besten Sakralräume der Gegenwart: Andreas Meck, München. Inspirierendster Querulant unter den Formschöpfern: Peter Haimerl, München.

Die Namen sind da

Einzig wirkmächtiger Stadtraumvordenker, mit dem man nichts lieber hat als fruchtbaren Streit: Stephan Braunfels, München. Eine Frau, die sich in der Landschaftsarchitektur Deutschlands, einer anderen Männer-Domäne, durchgesetzt hat: Regine Keller, München. Zu nennen wäre natürlich auch Fritz Auer, kongenialer Schöpfer der berühmtesten architektonischen Großtat der Stadt, also des Olympia-Areals - seine Kinder haben das Büro (Auer + Weber + Assoziierte) in der Sandstraße 33 längst übernommen und daraus ein kreatives deutsches Architektur-Zentrum gemacht.

Uwe Kiessler, Hilmer & Sattler und Albrecht, Ulrike Lauber, Ruth Berktold, Muck Petzet, Fink + Jocher, Thomas Herzog... Der Platz hier reicht nicht für diese dann doch letztlich sehr überschaubare Stadt, um ihrer interessanten, ganz und gar unterschiedlich schöpferischen Architektenschaft gerecht zu werden. (Anmerkung: Bitte alle bis hierhin verwendeten Superlative als nicht zu belegende steile Thesen ignorieren oder im Kontext einer Liebeserklärung lesen.)

Man traut sich nur selten

Tatsächlich besteht München nicht aus den wichtigsten deutschen Architekten, sondern aus wichtigen Architekten, die allerdings in einer Stadt, die sich selten etwas traut (Werkbundsiedlung, Hochhäuser etc.), auch entsprechend selten zum Zuge kommen.

U-Bahnhof Münchner Freiheit in neuem Design, 2009

U-Bahnhof Münchner Freiheit in neuem Design - für das Lichtdesign ist Ingo Maurer verantwortlich.

(Foto: Stephan Rumpf)

Kein Wunder, dass die Designer international viel bekannter sein dürften. Ingo Maurer (Licht) und Konstantin Grcic (Industrie- und, viel wichtiger, Alltags-Design): Das sind Namen, die man auch weltweit kennt - woran Andreas Hild dann doch noch arbeiten muss. Und die Designer-Szene ist höchst vielfältig: Mirko Borsche ist einer der maßgeblichen Grafikdesigner und Typografen Deutschlands; Saskia Diez ist Industrie- und Schmuckdesignerin - und ebenfalls: über München hinaus bekannt.

Die Verrücktesten waren in München

Bei all dem Potenzial in dieser Stadt könnte man sich den Einsatz herumvagabundierender Jetset-Architekten eigentlich sparen - aber Entwerfen-und-Entwerfen-lassen ist eine Lebenshaltung hier, weshalb uns die Allianz-Arena, die BMW-Welt oder die Erweiterung des Lenbachhauses denn auch willkommen sein sollten. Auch deshalb, weil sich die ortsansässige Architektenschaft dann umso treffender davon distanzieren kann. An den legendären Kampf gegen Coop Himmelb(l)au wird sich der eine oder andere erinnern.

BMW-Welt in München, 2012

Die BMW-Welt gehört zu den markantesten Neubauten der Stadt.

(Foto: Florian Peljak)

Und die verrücktesten Architekten, die die Welt je aufzubieten hatte, lebten ohnehin in München. Der eine, Herman Sörgel (1885-1952), ersann als selbst ernannter "Weltbaumeister" einen ganzen Kontinent namens "Atlantropa". Zu diesem Zweck wollte er das Mittelmeer mit Hilfe gigantischer Staudämme mal eben um 100 Meter absenken. Der andere, Günther L. Eckert (1927-2001), wollte Ende der 1970er-Jahre alle 4,3 Milliarden Menschen, damals die Weltbevölkerung, in einer einzigen gigantischen Röhre unterbringen, wo man wohnen und arbeiten sollte. Auf 35.000 Kilometer Länge. Gut, dass beides nie realisiert wurde. Schade aber auch.

München ist seither eher ärmer an architektonischer Fantasie geworden. Was nicht gut ist, denn ohne Fantastik hätte es weder Schwabing noch das Maximilianeum gegeben. Und übrigens auch nicht Olympia 1972. Aber das ist wieder eine andere Geschichte. Die weiteren Aussichten jedenfalls: mitunter föhnig aufgeheitert.

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