Architekturspaziergang:Das Westend, eine Klasse für sich

Ursprünglich war das Westend ein Arbeiterviertel. Doch dann zog die Messe weg und das Quartier begann, sich zu ändern.

Von Melanie Staudinger (Texte) und Johannes Simon (Fotos)

Es gibt zwei Jahreszahlen in der jüngeren Geschichte, die die Entwicklung des Westends maßgeblich geprägt haben: 1984 und 1998. Mitte der Achtzigerjahre verschwand die Trappentreustraße im Trappentreutunnel und mit ihr die vielen Tausend Autos und Lastwagen, die früher durch das Viertel bretterten und die Lebensqualität deutlich senkten. Und später, kurz vor der Jahrtausendwende, zog die Messe an den östlichen Stadtrand nach Riem. Auf einen Schlag wurde ein 45 Hektar großes Gelände an der westlichen Isarhangkante frei, ein neues Viertel konnte entstehen. Zum Vergleich: Der Vatikan als kleinster Staat der Welt misst gerade einmal 44 Hektar.

An der Theresienhöhe entstand ein Experimentierfeld für Architekten und Stadtplaner. Vorbei zu sein schien die Zeit der großen Genossenschaftssiedlungen, die seit 1900 das Stadtbild prägten. Es entstanden moderne Wohnquartiere, noch modernere Büros und schicke Grünanlagen. Die neuen Bürger, die Anzugträger, die jeden Morgen vom U-Bahnhof Schwanthalerhöhe in ihre modernen Büros ziehen, kamen anfangs nicht überall gut an, doch die meisten Bewohner haben sich längst damit arrangiert, dass ihr Viertel eben mehrere Gesichter hat.

Tourbeschreibung

Los geht es an der Donnersbergerbrücke. Von dort der Trappentreustraße folgen bisbzur Hausnummer 4. Anschließend weiter geradeaus gehen und am hinteren Ende des Gollierplatzes nach links einbiegen. Am Ledigenheim vorbei über den Georg-Freundorfer-Platz geht man auf den Wohnturm "Park Plaza" zu. Durch das alte Messegelände bis zur zur Bavaria an der Theresienwiese wandern und von dort weiter auf der Theresienhöhe Richtung Norden bis zum Franziska-Bilek-Weg. Dann der Heimeran- und Schießstättstraße bis zur Landsberger Straße folgen. Dauer: etwa eineinhalb Stunden

Ursprünglich war das Westend, das ganz früher einmal Sendlinger Höhe hieß, als Arbeiterviertel geplant. Deshalb hängt die Entwicklung des Stadtteils auch maßgeblich mit der Industrialisierung zusammen, die um 1840 begann. Mit den Arbeitern kamen die gründerzeitlichen Häuser, erstellt in verdichteter Blockbauweise, damit möglichst viele Arbeiter Platz fanden. Noch heute stehen viele der alten Gebäude, das Westend ist einer der am dichtesten bebauten Bezirke. Knapp die Hälfte des Baubestands im Viertel soll aus der Zeit vor 1919 stammen. Seit den Siebzigerjahren wird saniert: Schlechte Bausubstanz findet man nur noch sehr selten, ebenso wenig wie Wohnungen mit unzureichenden Standards. Das Wohnen hat aber seinen Preis. Laut dem aktuellen Mietspiegel werden schon in den Blöcken rund um Tulbeck- und Gollierstraße Zentrumsmieten verlangt. Zuvor begann die teurere Kategorie erst östlich der Theresienhöhe.

Auf der anderen Seite der Ganghoferstraße leben nun neue Münchner, im geschachtelten Wohnturm "Park Plaza" zum Beispiel oder in der "Theresie". An zwei Plätzen begegnen sich die unterschiedlichen Typen dann doch. Der eine ist der Georg-Freundorfer-Platz, der 2006 eine Auszeichnung bekommen hat als bester Spiel- und Freizeitplatz Deutschlands. Der andere ist der Bavariapark, der jahrzehntelang als Ausstellungsfläche der Messe diente und der seit 1999 öffentlich zugänglich ist. Auf dem Gelände des alten Messeplatzes treffen Alt und Neu aufeinander. Offiziell eröffnet wurde das Ausstellungsgelände bereits im Jahr 1908 und läutete die Bestimmung des Geländes mit der Ausstellung "München 1908" ein. Die Gründung der Münchner Messe- und Ausstellungsgesellschaft am 1. April 1964 stellte eine Zäsur dar: Von nun an wurden die Flächen nicht nur vermietet, sondern Fachmessen strategisch mit internationaler Ausrichtung geplant.

Von der früheren Messe ist nicht mehr viel geblieben. Nach und nach wurden fast alle Hallen abgerissen, bis auf drei: Diese denkmalgeschützte Messehallen ragen noch immer hinter "Theresie" und "Park Plaza" auf. In ihnen hat sich das Verkehrszentrum des Deutschen Museums eingerichtet. Die alte Kongresshalle wurde Anfang der Fünfzigerjahre nach den Plänen der Architekten Etzold, Strobl und Freymuth gebaut. Damals galt sie als größte Halle ihrer Art und war ziemlich modern.

Die Edith-Haberland-Wagner-Stiftung, Gesellschafterin der Augustiner-Brauerei, übernahm das Objekt 2004 und betreibt dieses mit ihrer Tochtergesellschaft EHW Immobilien. Die Stiftung restaurierte das Gebäude, störende Ein- und Umbauten aus Messezeiten wurden entfernt. Damit bleibt München ein Stück Architektur aus einer Epoche nach dem Zweiten Weltkrieg erhalten.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in der Wirtschaftsstruktur einiges getan. Auf dem Gelände der ehemaligen Reifenfabrik Metzeler entstanden in den Achtzigerjahren der Gewerbehof Westend und das Münchner Technologiezentrum. Obwohl im stadtweiten Vergleich noch immer mehr Arbeiter im Westend wohnen als anderswo in München, beanspruchen Dienstleistungssektor, Handel und öffentliche Verwaltung inzwischen etwa zwei Drittel der Arbeitsplätze im Viertel.

Ein Rundgang durchs Viertel

1. Gedenktafel an die NSU-Opfer

Warum es sich lohnt innezuhalten: Am 15. Juni 2005 starb an der Trappentreustraße im Westend der Grieche Theodoros Boulgarides in seinem gerade neu eröffneten Schlüsselladen. Er war das siebte Opfer der Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds". Insgesamt ermordeten die NSU-Terroristen zehn Menschen - in München wurde neben Boulgarides am 29. August 2001 an der Bad-Schachener-Straße der türkischstämmige Gemüsehändler Habil Kılıç getötet. München tat sich lange schwer im Umgang mit den Taten und setzte als letzte Kommune ein sichtbares Zeichen des Gedenkens. Die Trappentreustraße gibt es schon seit dem 19. Jahrhundert, als der Architekt Gabriel von Seidl einen noblen Vorort im Westen der Stadt schuf. Seit 1984 geht sie in den Trappentreutunnel über, der das Viertel merklich vom Verkehr entlastet, der über den Mittleren Ring rauscht.

Info

Adresse: Trappentreustraße 4

Architekt: -

Fertigstellung: 2013

Gehzeit: 4 Minuten von der Donnersbergerbrücke

2. Ledigenheim

Warum es sich lohnt innezuhalten: Wohnungsnot ist kein neues Phänomen in München. Schon vor dem Ersten Weltkrieg war es schwierig, Wohnraum zu finden. Deshalb gründeten wohlhabende Bürger um den Architekten Fischer 1913 einen Verein, der ein Gebäude mit vermietbaren Zimmern errichten wollte. 1927 eröffnete das Ledigenheim - heute gibt es solche Einrichtungen in Europa kaum mehr. Das Haus ist ein Rohziegelbau im Stil der Neuen Sachlichkeit. Zwei vierstöckige Gebäudetrakte, beide als rechteckige Hufeisen angelegt, sind an ihren Mittelflügeln durch einen schmalen dritten, drei Stockwerke höheren Gebäudeteil miteinander verbunden. 327 Zimmer mit Gemeinschaftsbädern bieten Platz für alleinstehende mittellose Männer. Bis 2006 befand sich im Erdgeschoss das Lokal Ledigenheim, das in den Sechzigerjahren von Karl-Heinz Wildmoser, dem späteren Präsidenten des TSV 1860 München, betrieben wurde.

Info

Adresse: Bergmannstraße 39

Architekt: Theodor Fischer

Fertigstellung: 1927

Gehzeit: 8 Minuten von der Trappentreustraße

3. Wohnturm Park Plaza

Warum es sich lohnt innezuhalten: Am Rande des einstigen Messegeländes ist dieser Wohnturm, Park Plaza genannt, eine Reminiszenz an den ehemaligen, in den Fünfzigerjahren abgerissenen Messeturm. Mit seinen 43 Metern Höhe misst er in etwa so viel wie sein historischer Vorgänger. Und so sehr der Turm an die Vergangenheit erinnert: Er schlägt gleichzeitig die Brücke in die Gegenwart. Als Wohnturm gestaltet nimmt er Bezug zum benachbarten Wohnviertel - wenn auch als Gegensatz. Das neue Quartier ist ein High-Class-Viertel, das alte ein Bürgerquartier. Wenn in den umliegenden Büros die Lichter ausgehen, erwacht der Turm mit seinen erleuchteten Fenstern zum Leben. Weit herausragende, große Balkone verteilen sich unregelmäßig über die Fassade, sie wirken wie offene Schubladen. Die Fassade ist gelb mit orangefarbenen Flächen, auf der Westseite leuchtet in den Nachstunden auf jeder Etage ein andersfarbiges Fenster.

Info

Adresse: Hans-Dürrmeier-Weg 2 und 4

Architekt: Steidle + Partner, München

Fertigstellung: 2002

Gehzeit: 6 Minuten vom Ledigenheim

4. Bavaria und Ruhmeshalle

Warum es sich lohnt innezuhalten: Wo jedes Jahr Millionen Menschen Oktoberfest feiern, gibt es auch architektonisch einiges zu entdecken. Auf der Anhöhe der Theresienwiese entstand von 1843 bis 1853 im Auftrag König Ludwigs I. ein Ehrentempel für bedeutende bayerische Persönlichkeiten, die sich um Wissenschaft und Kunst oder für ihr Land verdient gemacht hatten: die Ruhmeshalle. Leo von Klenze entwarf die dreiflügelige Säulenhalle, in der Büsten aufgestellt werden. Davor thront die Bavaria, ein 18,52 Meter hohes Standbild mit Aussichtsplattform im Kopf. Es steht an der Grenze zum Stadtteil Ludwigsvorstadt und ist aus 1560 Zentnern Erz gegossen, das aus untergegangenen Seeschlacht-Kanonen stammt. Der Bildhauer Ludwig Schwanthaler entwarf die weltliche Patronin Bayerns, die als personifizierte Allegorie für das Staatsgebilde Bayern auftritt. Nach ihm ist auch das Viertel, die Schwanthalerhöhe, benannt.

Info

Adresse: Theresienhöhe 16

Architekt: Leo von Klenze

Fertigstellung: 1853

Gehzeit: 8 Minuten vom Wohnturm Plaza

5. Theresie

Warum es sich lohnt innezuhalten: Schon der Name verrät, dass das Gebäude am Franziska-Bilek-Weg eine Brücke zwischen Altem und Neuem schlagen soll. Es steht an der Schnittstelle zu den weiten Flächen der Theresienwiese auf dem Gelände der Alten Messe München. Im gläsernen herzförmigen Bürogebäude spiegeln sich die Fassaden der gegenüberliegenden Wohnhäuser des alten Westends. Das herzförmige Gebäude bildet den Mittelpunkt des neuen Quartiers und war von Anfang an als Zentrum für Medientechnologie, Grafik, Unterhaltungssoftware, Verlagswesen oder Kommunikationsmanagement geplant. Bis heute zählen Yahoo oder Payback zu den Mietern. Insgesamt hat die Deutsche Grundbesitz-Investment Gesellschaft hier 270 Millionen Euro investiert. Entstanden sind 60 000 Quadratmeter für Büros, 3000 für Einzelhandel und 7000 für Wohnungen.

Info

Adresse: Theresienhöhe 12

Architekt: KSP Jürgen Engel Architekten

Fertigstellung: 2004

Gehzeit: 6 Minuten von Bavaria und Ruhmeshalle

6. U-Bahnhof Schwanthalerhöhe

Warum es sich lohnt innezuhalten: Es lohnt sich schon alleine deshalb, weil der U-Bahnhof Schwanthalerhöhe der einzige der 100 Münchner U-Bahnhöfe ist, der im laufenden Betrieb umbenannt wurde. Bis 1998 hieß er noch "Messegelände", an seine ursprüngliche Funktion als Messebahnhof erinnern heute noch die Wandgrafiken von Volker Sander. Diese finden sich sowohl im säulenlosen U-Bahnhof wie auch im Sperrengeschoss und im Verbindungstunnel zum früheren Messeeingang (siehe Foto) und zeigen Flaggen und Messebesucher aus verschiedenen Ländern. Sonst dominiert die Grundfarbe Silber kombiniert mit verschiedenen Gelbabstufungen, die einen eher nüchternen Eindruck vermitteln. Der U-Bahnhof entstand in Deckelbauweise: Erst wurde eine Grube gegraben und die Decke montiert. Unter dieser Abschirmung buddelten sich die Arbeiter weiter nach vorne, der Messebetrieb wurde so möglichst wenig beeinträchtigt.

Info

Adresse: Franziska-Bilek-Weg

Architekt: Großkopf und Schnetzer

Fertigstellung: 1984

Gehzeit: 3 Minuten von der Theresie

7. Augustiner-Brauerei

Warum es sich lohnt innezuhalten: Das Augustiner-Bier ist in vielen Teilen der Welt bekannt. Dass die Initialen J.W. im Logo für Josef Wagner stehen, der die älteste Brauerei Münchens an der Landsberger Straße gebaut hat, haben Fans der Münchner Biermarke schon gehört. Dass es aber seiner Mutter Therese Wagner zu verdanken ist, dass es den Brauereistandort dort gibt, wissen die wenigsten. Sie pachtete nach dem Tod ihres Mannes 1846 den Butlerkeller weit außerhalb der Stadt an der Landsberger Straße, um die Lagerkapazitäten für Bier zu erhöhen. Nichts deutete damals darauf hin, dass die unbebaute Wiese sich zu einem der am dichtesten besiedelten Viertel Münchens entwickeln würde. 1883/84 zieht der Brauereibetrieb, dann schon unter Sohn Josef, in das Backsteingebäude um. Dieses wurde im Zweiten Weltkrieg beschädigt und wieder aufgebaut. Die Fassade steht mittlerweile unter Denkmalschutz.

Info

Adresse: Landsberger Straße 31-35

Architekt: Xaver Renner

Fertigstellung: 1883/84

Gehzeit: 11 Minuten vom U-Bahnhof Schwanthalerhöhe

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