Architektur in München:Platz für den Spatz

Frecher Spatz

Platz für den Spatz: Schon kleine Maßnahmen helfen, um dem Tier das Leben angenehm zu machen.

(Foto: Maurizio Gambarini/dpa)
  • Wolfgang Weisser von der TU München will das Konzept des "Animal Aided Design" Architekten und Landschaftsplanern in der Stadt näher bringen.
  • Bei dem Konzept geht es darum, auf die Bedürfnisse von Tieren wie Spatz und Fledermaus einzugehen.
  • Oft seien nur wenige, sparsame Eingriffe nötig, die für die Tiere das Überleben in der Stadt sichern.

Von Jakob Wetzel

Für den Menschen sind es nur wenige, sparsame Eingriffe - doch für den Spatz entscheiden sie womöglich darüber, ob er in der Stadt überleben kann. Ein Beispiel: Würden die Grünflächen im Innenhof einer Wohnanlage in Neuhausen seltener gemäht und vielleicht noch ein paar Hügel aufgeschüttet, dann könnten sich hier artenreiche Wiesen entwickeln, mit Kleintieren und Gräsern, von denen sich Vögel ernähren können. Gäbe es in der Nähe zusätzlich Bäume oder Sträucher mit Früchten, Weißdorn etwa oder Felsenbirne, dann hätten Sperlinge auch im Herbst und im Winter zu fressen. Und gäbe es außerdem einen Kinderspielplatz mit Sandkasten oder gewellten Bodenflächen, dann fänden die Singvögel dort auch Sandkuhlen oder Wasserpfützen, um zu baden.

"Oft braucht es nicht viel, damit Mensch und Tier zusammenleben können", sagt Wolfgang Weisser. Nur: Niemand denke daran. Wohnanlagen würden für Menschen konzipiert, allenfalls noch für Pflanzen. "Tiere dagegen werden nicht eingeplant; sie sind am Ende eben da oder auch nicht." Das möchte er gerne ändern.

Architekten für die Bedürfnisse von Tieren sensibilisieren

Weisser ist Professor für terrestrische Ökologie an der Technischen Universität München; er erforscht, was die Landnutzung durch den Menschen für die Artenvielfalt bedeutet. Mit dem Landschaftsarchitekten Thomas Hauck von der Uni Kassel hat er jetzt ein Konzept entwickelt, um Architekten und Landschaftsplaner für die Bedürfnisse von Tieren zu sensibilisieren. Die Forscher sprechen von "Animal Aided Design": Planer müssten sich nicht einschränken, im Gegenteil. Sie könnten sich von den Tieren inspirieren lassen.

Zumindest für den Spatz ist das höchste Zeit. Zwar ist der Sperlingsbestand insgesamt noch hoch, aber er geht zurück, besonders in großen Städten. Seit 2008 steht der Haussperling auf der Vorwarnliste gefährdeter Arten. Dem Landesbund für Vogelschutz zufolge gibt es in der historischen Altstadt Münchens nur noch eine Spatzenkolonie, nämlich am Marienhof - und auch diese droht mit dem Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke zu verschwinden. Überhaupt sind die Aussichten düster: Weil die Stadt wächst, gehen Freiflächen verloren. Und da immer mehr Altbauten saniert werden, verschwinden Nischen und Hohlräume, in denen Haussperlinge nisten können - dabei gäbe es bereits Nistkästen, die sich auch in wärmegedämmte Fassaden integrieren ließen.

Die Fassade kann "betiert" werden

"Dass der Spatz verdrängt wird, passiert meistens völlig unabsichtlich", glaubt Weisser. Sein Ziel ist deshalb ein neues Bewusstsein: Bei Bauprojekten soll das Tiervorkommen nicht mehr dem Zufall überlassen, sondern geplant werden - ebenso wie etwa die Zahl der Parkplätze. Dabei geht es um mehr als nur um Nistkästen und Futterhäuser: Die Forscher haben systematisch die Bedürfnisse verschiedener "Zielarten" zusammengetragen, zunächst für das Rotkehlchen, die Nachtigall, den Buntspecht, die Zwergfledermaus, die Zauneidechse und eben den Spatz. Viele weitere Tierarten kämen infrage, etwa Wildbienen, sagt Weisser. Und in konkreten Entwürfen haben der Biologe Georg Hausladen und der Landschaftsarchitekt Rupert Schelle bereits durchgespielt, was nötig wäre, um etwa in einer Wohnanlage in Neuhausen die Fassaden zu "betieren", einen Ort zu schaffen, an dem sich nicht nur Menschen, sondern auch Eidechsen, Fledermäuse und Sperlinge wohlfühlen.

50 Meter

Weiter entfernt sich der Haussperling, auch Spatz genannt, während der Brutzeit nicht von seinem Nest. Seine Bedürfnisse muss er in unmittelbarer Nähe erfüllen können: ein Nest bauen, fressen und baden - und er braucht Schutz zum Beispiel vor Katzen. Fehlt ihm etwas, lässt er sich nicht nieder. Dem Landesbund für Vogelschutz zufolge hat sich der Spatzenbestand innerhalb des Mittleren Rings in München in den vergangenen 50 Jahren um mehr als 90 Prozent verringert.

Für Spatzen sieht der Entwurf hier Wiesen vor, Nistöffnungen in Fassaden und Hecken zum Schutz vor Fressfeinden. Fledermäuse könnten ebenfalls in den Fassaden Quartier finden. Und Eidechsen könnten ihre Eier in Kies- und Sandflächen in Hausnähe ablegen, die durch Stahlmatten gegen Katzen gesichert sind. Verstecken könnten sie sich in Schotterkästen aus Draht oder in "Skulpturen" aus Totholz, umwickelt mit einem Drahtnetz. Menschen könnten diese Holzelemente zum Beispiel als Sitzgelegenheiten nutzen.

Teure Maßnahmen sind oft ineffizient

Für Weisser ist dieser Ansatz eine nötige Ergänzung zum bestehenden Naturschutz mit seinen Biotopen, Ausgleichsflächen und Tier-Umsiedlungen - teure Maßnahmen, die der Ökologe für häufig ineffizient hält. In Sendling zum Beispiel, auf dem Gelände der Großmarkthalle, gibt es seit 2014 ein 4000 Quadratmeter großes Areal mit Steinquadern, Sträuchern und Sandkies: ein Biotop für derzeit etwa 1000 Mauereidechsen. Die Tiere stehen in Bayern auf der Roten Liste, sie sind vom Aussterben bedroht und wurden wegen Bauarbeiten hierher umgesiedelt; vor Ort entstehen Wohnungen und Schulen. Die Kosten des Umzugs summierten sich auf mehr als 100 000 Euro.

Das Problem bei Umsiedlungen sei aber nicht nur der Preis, sagt Weisser. Es könne auch niemand garantieren, dass eine Tierart im neuen Zuhause tatsächlich langfristig überlebt. Mit "Animal Aided Design" könne man stattdessen von Beginn an eine gemeinsame Lösung für Mensch und Tier suchen. Davon hätten auch die menschlichen Bewohner etwas: Die Öffnungen von Nisthöhlen etwa könne man als Fassadenschmuck einsetzen. Tiere im Innenhof seien zudem eine Chance für die Umweltbildung: Wo sonst hätten Stadtbewohner so unmittelbar mit Tieren zu tun? Und viele Menschen hätten grundsätzlich gerne Tiere um sich, sagt er. Es gebe dazu zwar bislang nur wenige Untersuchungen, aber Kontakt mit der Natur steigere das Wohlbefinden, das sei messbar.

Was den Forschern jetzt noch fehlt, ist die Probe aufs Exempel, um herauszufinden, ob sich die Theorie auf die Praxis übertragen lässt. Interesse sei jedenfalls bereits da, sagt Weisser: Derzeit gebe es vielversprechende Gespräche mit zwei Bauträgern für Projekte in München und in Ingolstadt. Auch Verantwortliche für Landesgartenschauen hätten bereits nachgefragt. Erwünscht ist Mut. Nicht alles werde sofort funktionieren, glaubt der Professor. "Wir brauchen Kommunen, die sich auch einmal trauen, zu experimentieren."

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