Architektur:Eine Architekten-Familie prägt München

Architektur: Fritz Auer und die Söhne Philipp und Moritz (von links) vor dem Modell des Münchner Hauptbahnhofs. Es ist ein Prestigeprojekt, in der Stadt, die ihnen längst Heimat geworden ist.

Fritz Auer und die Söhne Philipp und Moritz (von links) vor dem Modell des Münchner Hauptbahnhofs. Es ist ein Prestigeprojekt, in der Stadt, die ihnen längst Heimat geworden ist.

(Foto: Catherina Hess)

Olympiagelände, Sea Life oder der neue Hauptbahnhof: Was Fritz Auer begann, haben seine Söhne Philipp und Moritz zu einem der größten Architekturbüros Deutschlands ausgebaut.

Von Martina Scherf

Ein Kreativquartier nahe dem Stiglmaier-Platz. In dem Hof, der verschiedene Büros, einen Italiener, eine Kinderkrippe beheimatet, belegt das Büro der Architekten Auer Weber zwei ganze Etagen. Ein riesiges Loft, viel Weiß, raumhohe Fenster, keine Trennwände. Mitten drin steht das Modell des neuen Münchner Hauptbahnhofs. Ein Projekt, das jetzt, nachdem endlich die politische Entscheidung für die zweite Stammstrecke gefallen ist, mit Hochdruck vorangetrieben wird. Und ein Prestigeprojekt in der Stadt, die den gebürtigen Schwaben längst Heimat geworden ist.

Die Auers haben das Gesicht Münchens schon an vielen Stellen geprägt: Zentraler Busbahnhof, Alter Hof, Sea Life, Kleine Olympiahalle, U-Bahnhof Westfriedhof, die Europäische Südsternwarte in Garching, bald kommen das neue Stadtmuseum dazu und ein Hochhaus in Pasing. Die Söhne haben das Büro zu einem der ganz großen in Deutschland ausgebaut. Das berühmteste Ensemble bleibt aber für immer mit dem Namen des Vaters verbunden: Fritz Auer war maßgeblich am Bau des Münchner Olympiageländes beteiligt.

Als junger Architekt war der gebürtige Tübinger 1962 in das Stuttgarter Büro von Günter Behnisch eingestiegen. Fünf Jahre später gewannen sie den Olympia-Wettbewerb. Ein Jahrhundertbauwerk, das Symbol für ein demokratisches, weltoffenes Deutschland werden sollte. In der ganzen Welt holten sie sich damals Anregungen. Auer hatte in Polen Sportstätten gesehen, die in Mulden versenkt waren, das gefiel ihm. "Wir haben dann erst mal Tische zusammengestellt und mit Sägemehl das Gelände modelliert", erzählt er.

Behnisch habe seinem Team jede Freiheit gewährt. Was bis zuletzt ein Fragezeichen darstellte, waren die Dächer. "Wir hatten ja alle keine Ahnung von leichten Flächentragwerken." Dann kam eines Tages ein Mitarbeiter mit Bildern des deutschen Pavillons auf der Expo in Montreal an. Gestaltet von Frei Otto. Das war's. Ohne Frei Otto, sagt Auer, wäre der Park nicht, was er ist. Und wie war das mit dem Damenstrumpf? "Ach ja", sagt Auer und schmunzelt, "der Strumpf meiner Frau ..." Als Otto sein Zeltdach demonstrieren wollte, lieh ihm Frau Auer ihren Nylonstrumpf - den spannte er über ein paar Holzstäbchen, fertig war das Modell. So war das damals.

Während der vierjährigen Bauzeit war die Familie Auer von Stuttgart nach München gezogen. Das Olympiagelände war der Abenteuerspielplatz der Kinder. "Schweren Herzens" seien sie danach wieder zurückgekehrt, sagen die Söhne, die heute in München leben. Und als sich Fritz Auer 1980 mit seinem Behnisch-Partner Carlo Weber selbständig machte, gründete er eine Niederlassung in München. Weber starb vor zwei Jahren, doch das Büro heißt bis heute Auer Weber.

Der Senior arbeitet "total analog"

Noch immer kommt Fritz Auer, inzwischen 83, ein bis zwei Mal die Woche von Stuttgart nach München. "Ich bin der Briefbote", sagt er und lacht, "schauen Sie, das ist jetzt mein Büro." Er nimmt eine kleine Holzkiste vom Sideboard mit dem Aufdruck "Professor Fritz Auer" - er hat jahrelang an der Stuttgarter Kunstakademie gelehrt. Darin liegen Stifte, Radiergummi, Lineal. Sein Alter sieht man ihm kein bisschen an, er ist schlank, sportlich, neugierig.

Aber "vollkommen analog", gibt er zu. Gerade hat er noch mit Sohn Philipp Emails gecheckt. Philipp am PC, der Vater hinter ihm stehend. Sieht aus, als gäbe er dem Junior Anweisungen. Dabei sind doch seit zehn Jahren die Söhne die Chefs. Fritz Auer und Carlo Weber hatten sich damals nominell aus der Firma zurückgezogen, "eine weise Entscheidung", stellen die Söhne fest. Denn, sagt Philipp, "dieses Büro zu übernehmen, war eine unglaubliche Chance, aber es gab am Anfang auch immer wieder mal Momente, wo man zweifelte - man bleibt ja immer Sohn."

"Ich wollte keine Dynastie gründen"

Philipp, Jahrgang 1967, hatte vorher bei David Chipperfield in London gearbeitet. Der drei Jahre ältere Moritz, der erst Arzt werden wollte, arbeitete als Architekt in Berlin. Er habe seine Söhne nie zur Architektur gedrängt, betont Fritz Auer, "ich wollte keine Dynastie gründen". Aber natürlich freute es ihn zu sehen, dass sie sich in diesem Beruf bewährten.

1996 bot er Moritz an, ins Münchner Büro einzusteigen. Wenig später ist auch Philipp "dem Ruf der Wildnis gefolgt". Wildnis? "Na ja, unser Büro war ja längst nicht so groß und geordnet wie heute", sagt der Vater. "Carlo und ich hatten nie einen Vertrag, heute gibt es fünf Geschäftsführer und 150 Mitarbeiter."

Der technologische Wandel, den die Architektur in den vergangenen zwanzig Jahren erlebt hat, ist auch äußerlich ablesbar. Das Loft wirkt wie ein effizienter Organismus. Die Computer sind sein Nervensystem. Die Mitarbeiter sitzen in genormten Arbeitsinseln, den "Kojen". Jede Koje bearbeitet ein Projekt, manche auch zwei gleichzeitig. Alles ist offen, nur der Besprechungsraum hat Wände aus Glas.

Die äußerliche Ruhe täuscht - hier wird hoch effizient und unter Zeitdruck an derzeit 30 Projekten parallel gearbeitet. Gerade wechseln zwei junge Leute die Koje, sie ziehen samt Laptop und Ablage um. Jemand telefoniert, der Nachbar trägt Kopfhörer. Die Mitarbeiter stammen aus Deutschland, Frankreich, China, Korea, Syrien. Moritz und Philipp haben ihre Plätze mitten drin, dort, wo es am lautesten ist. "Es ist manchmal anstrengend, aber wir wollen für alle ansprechbar sein", sagt Moritz. Möglichst wenig Hierarchien schaffen. "Wir sehen uns als Moderatoren von Ideen, die im Kollektiv entstehen."

Der Vater ist Architekt im klassischen Sinne, noch immer macht er leidenschaftlich gerne Wettbewerbe. "Da steht er dann um fünf in der Früh auf und hat schon alles durchgezeichnet, bis wir ins Büro kommen", erzählt Philipp. Ja, gibt der Vater zu, es sei nicht immer leicht, die anderen zu überzeugen, weil er eben schon alles zu Ende gedacht habe - "für die anderen auch nicht", wirft Moritz da ein, "je weniger Vorgaben die Mitarbeiter kriegen, desto mehr Kreativität setzen sie frei."

Verschiedene Unternehmenskulturen treffen da aufeinander, und bei der Frage analog oder digital, da klingt der typische Architekten-Generationenkonflikt an. "Ich entwerfe mit der Hand. Ich brauche das Haptische und habe die Rasierklinge neben mir liegen zum Korrigieren", sagt Fritz Auer. "Du hat ja noch nie einen Computer angefasst", erwidert Philipp, "die Qualität des Entwerfens hat doch mit der Digitalisierung nicht nachgelassen."

Doch der Vater bleibt dabei: Bei manchen Computerentwürfen fehle ihm der Einklang von Form und Funktion. Auch die BMW-Welt sei so ein Bauwerk, das rein aus der Idee entstand, "und dann mussten sie immer noch mehr Stahl reinstopfen, um die Form zu halten".

Der Senior bringt ständig neue Ideen zu Papier

Während er also ständig neue Ideen zu Papier bringt, hätten es seine Söhne manchmal lieber, wenn er als Senior-Berater den Überblick behielte, "du hast so viel Erfahrung, warst in zig Jurys, du könntest uns in vielem zur Seite stehen. Aber während wir noch ein Projekt besprechen, bist du schon im nächsten Wettbewerb drin. Und wenn man ihn dann braucht, ist er weg", sagt Philipp. "Er hat halt die totale Freiheit", fügt Moritz an und lächelt. "Solange sie mich hier haben wollen, mache ich das. Es ist mein Lebenselixier, ich will mich nicht aufs Altenteil zurückziehen", sagt der Senior.

Die Bauten von Auer Weber protzen nicht, sie sind dafür bekannt, dass sie in einen intensiven Dialog mit der Region, in der sie entstehen, treten. In Frankreich haben die Architekten ein Wellnessbad in die Alpen gebaut, das sich wie eine künstliche Gletscherzunge an den Berg schmiegt. In Shanghai entwarfen sie Gebäude für den Botanischen Garten, die wie riesige Vogelnester aussehen. Der Stadtgalerie Passau haben sie eine Hülle aus perforierten Metalltafeln verliehen. Und in der chilenischen Atacama-Wüste bauten sie für die Europäische Südsternwarte ein Hotel, das als Schauplatz des James-Bond-Films "Ein Quantum Trost" berühmt wurde.

Viele Länder, viele Kulturen - aber sie wollen kein Wachstum um jeden Preis, sagen die Brüder. Ohnehin nimmt das Management schon einen Großteil ihrer Zeit in Anspruch, sagt Philipp und schaut auf die Uhr. Er muss jetzt bald gehen, die Kinder abholen.

So etwas hätte es früher kaum gegeben. Die Frauen der Söhne arbeiten selbst in kreativen Berufen, sie haben "bis zu einem gewissen Grad " Verständnis, wenn ihre Männer das Wochenende durcharbeiten, sagt Moritz, der ebenfalls Familienvater ist. Aber sie erwarten auch eine gewisse Arbeitsteilung im Alltag. Fritz Auer sagt, er sei seiner Frau dankbar, dass sie Erfolge und Misserfolge mitgetragen habe. Sie hatte Innenarchitektur studiert, "aber ich habe sie vor dem Diplom weggeheiratet". "Schöner Ausdruck", sagt Philipp und grinst, "sie hat mit 21 ihr erstes Kind gekriegt, meine Frau mit 36, da sieht man den Wandel."

Was nun besser ist, bleibt offen. Auf jeden Fall müssen die Eltern Auer einiges richtig gemacht haben, wenn man beobachtet, wie die Brüder achtsam miteinander umgehen, wie der ältere dem jüngeren ein Haar von der Schulter zupft, wie sie einander immer wieder bewusst ins Gespräch integrieren, sich nie ins Wort fallen. "Wir mussten uns nicht gegenseitig beweisen, wie toll wir sind", sagt Moritz, "Konkurrenz gab es nie." Das ist umso erstaunlicher, weil sie keine klare Arbeitsteilung haben. Beide entwerfen und managen das Büro. "Wir müssen am Ende ja auch beide dahinter stehen", sagt Moritz.

"Konkurrenz gab es nie"

Vielleicht ist es die intensive Familienzeit, die sie früher miteinander verbracht haben. Auf einem Bauernhof im Pfaffenwinkel, im Ferienhaus auf Elba, beim Rennradfahren, Angeln, Grillen. Sie haben zusammen gezeichnet und Musik gemacht. Philipp spielt noch immer in einer Band, Moritz braucht sein Rennrad zum Abschalten.

Und wie wohnen die Architekten privat? Die Eltern noch immer in Stuttgart in ihrem umgebauten Vorkriegshaus. Die Söhne in München, "im Dorf". In welchem Dorf? "Na, im Olympiadorf."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: