Arbeitskampf in München:Wie kann die Arbeit wieder zum Menschen passen?

Arbeitskampf in München: Vor der Firma MTU in der Dachauer Straße versammeln sich am Dienstag mehr als 3000 Menschen. Sie fordern sechs Prozent mehr Lohn und eine 28-Stunden Woche.

Vor der Firma MTU in der Dachauer Straße versammeln sich am Dienstag mehr als 3000 Menschen. Sie fordern sechs Prozent mehr Lohn und eine 28-Stunden Woche.

(Foto: Stephan Rumpf)

Die IG Metall ruft zum Warnstreik auf und 3000 Menschen demonstrieren in der Dachauer Straße. Vielen geht es nicht nur ums Geld, sondern auch um eine 28-Stunden-Woche.

Von Pia Ratzesberger

Silke Kitzing pfeift. Doch der schrille Ton ist kaum zu hören, er geht unter im lauten Pfeifen der anderen, im dumpfen Trommeln. Eine Mauer aus Lärm. Wie die anderen trägt auch Silke Kitzing die Uniform des Tages, eine dunkle Mütze und eine rote Plastikweste. Sie bläht die Backen, wieder ein Pfeifen, immer lauter. "Es geht ja heute um viel."

Wenn Silke Kitzing nicht gerade mit 3000 Menschen in der Dachauer Straße stünde, wäre sie jetzt in der Produktion für Busgetriebe. Wie jeden Tag, seit 16 Jahren. Früher war sie meist für eine Maschine verantwortlich, heute sind es manchmal fünf, und Silke Kitzing, 49 Jahre alt, sagt: "Wird alles immer mehr." Auch deshalb ist sie hier.

Arbeitskampf in München: Die IG Metall entscheidet Ende der Woche, ob weiter gestreikt wird.

Die IG Metall entscheidet Ende der Woche, ob weiter gestreikt wird.

(Foto: Fotos: Stephan Rumpf)

Wie kann die Arbeit wieder zum Menschen passen?

Die IG Metall München hat an diesem Dienstag zum Warnstreik aufgerufen, aber nicht wie in den vergangenen Wochen in einzelnen Betrieben, sondern gesammelt auf dem Platz in der Dachauer Straße, vor der Firma MTU. Und nun stehen dort also mehr als 3000 Menschen und schwenken ihre roten Fahnen und wahrscheinlich sind die Verhandlungen zwischen ihrer Gewerkschaft und ihren Arbeitgebern in diesen Wochen so wichtig wie lange nicht mehr. Denn es geht nicht nur ums Geld. Sondern auch um die Frage, wie die Arbeit wieder zum Menschen passen kann. Und nicht nur der Mensch zur Arbeit.

Vorne auf der Bühne brüllt gerade Horst Lischka, Chef der IG Metall München, ins Mikro - die vorige Generation habe die 35-Stunden-Woche erkämpft und nun sei es an der Zeit, für die verkürzte Vollzeit zu streiken. Silke Kitzing pfeift. Immer lauter.

Schon kommende Woche könnte man mit den langen Streiks beginnen

Ihre Gewerkschaft verhandelt derzeit mit den Arbeitgebern in der Metall- und Elektroindustrie über ihren Tarifvertrag, dabei geht es um mehr Lohn, sechs Prozent fordert die Gewerkschaft, die Arbeitgeber wollen bisher nur zwei Prozent zahlen. Aber es geht eben zum ersten Mal seit vielen Jahren auch um die Arbeitszeit. Die IG Metall will, dass jeder die Möglichkeit hat, seine Arbeitswoche auf 28 Stunden zu reduzieren und das für einen Zeitraum von zwei Jahren. Entweder durch freie Tage oder eine längere Auszeit am Stück. Von Seiten der Arbeitgeber könnte man sich das zwar vorstellen, sofern die Gewerkschaft im Gegenzug zum Beispiel flexiblere, längere Arbeitszeiten zuließe. Geht es nach der IG Metall sollen die Arbeitgeber während der "verkürzten Vollzeit" aber auch einen Zuschuss an die Menschen zahlen, die weniger arbeiten, weil sie Eltern pflegen oder Kinder betreuen oder weil sie im Schichtbetrieb tätig sind - und wie Horst Lischka vorne auf der Bühne das gerade ausdrückt: "Der Schichtbetrieb sie kaputt macht." Diesen Zuschuss allerdings wollen die Arbeitgeber bisher nicht.

Am Mittwoch stehen in Baden-Württemberg die nächsten Verhandlungen an, es ist die vierte Runde, schon im November vergangenen Jahres fanden die ersten Gespräche statt. Am Donnerstag und Freitag wird man sich in der IG Metall dann beraten, ob es weitere Gespräche geben soll oder ob 24 Stunden gestreikt wird. "In München wären wir bereit", sagt Lischka. Schon kommende Woche könnte man mit den langen Streiks beginnen, bei BMW zum Beispiel und bei MAN Truck & Bus GmbH - gleich neben dem Platz, auf dem gerade so viele ihre Fahnen schwenken. Am Himmel schweben zwei goldene Luftballons: die Zahl Sechs. Und ein Prozentzeichen.

Das sagen die Gegner der 28-Stunden-Woche

Von BMW ist an diesem Dienstag kaum einer da, dort gibt es am Mittwoch nochmals eigene Streiks, am Vormittag und am Abend, es werden die letzten in München sein für diese Woche. Von anderen Firmen aber sind ganze Busse vorgefahren, der Platz hat sich innerhalb von Minuten gefüllt, die Menschen kommen unter anderem von Kraus Maffei Wegmann und Otis, von ThyssenKrupp, Linde und Siemens. Eines der Argumente der Arbeitgeber gegen die 28-Stunden-Woche ist, dass sofort jeder weniger arbeiten würde und nicht nur, wer Kinder betreut oder Eltern pflegt. Fragt man allerdings die Menschen in der Dachauer Straße, sagt kaum einer, dass er aus Prinzip reduzieren möchte. Da ist zum Beispiel ein junger Zerspanungsmechaniker. Der Job mache ihm Spaß, er sehe gerade keinen Grund, weniger zu arbeiten, er habe ja auch erst vor zwei Jahren angefangen - "erst wenn's mal nötig wäre". Ein paar Meter weiter, eine Gruppe Jungs, auch sie schütteln alle den Kopf. Jetzt gerne noch Vollzeit. Aber später ebenso gerne die Wahl haben.

Rechts von der Bühne steht ein Mann, der dieses "später" auf das Alter "um die 30 Jahre" datiert. Werner Lenz selbst aber ist schon ein paar Jahre älter, 54 Jahre um genau zu sein. Auch er trägt natürlich die Uniform, dunkle Mütze und rote Plastikweste, er ist vor allem wegen der "nächsten Generation" da. Sein Sohn arbeite nun im Schichtdienst. Frühschicht, Spätschicht, Nachtschicht. Werner Lenz sagt: "Ich hatt's ja noch einfach, die Frau war zu Hause." Aber wie wolle man das heute hinkriegen, wenn beide arbeiten - und dann vielleicht noch nicht einmal gleichzeitig? Es brauche mehr Zeit, sagt der Mann. Ein schrilles Pfeifen.

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