Arbeitsagentur München:Suchen und schweigen

"Für diejenigen, die erstmals herkommen, ist es immer eine Extremsituation": Ein Besuch bei der Arbeitsagentur in Zeiten des Aufschwungs.

Sebastian Krass

Es ist schlimm genug für die Menschen, dass sie überhaupt hierherkommen müssen. Und dann auch noch die bedrückenden Wartezeiten auf diesen Fluren, wo dicke Betonsäulen alles zu erdrücken scheinen - außer den Lüftungsschächten, die aus dem Boden ragen wie Mülleimer für Riesen. Deshalb, findet Franz Zwingmann, sollten die Büros der Arbeitsvermittler eine persönliche Note haben, ein wenig Menschlichkeit vermitteln.

Arbeitsagentur München: Als er kam, war die Krise schon da: Franz Zwingmann, hier bei einem Vermittlungsgespräch, arbeitet seit zweieinhalb Jahren für die Arbeitsagentur. Seine Kundenkartei ist zuletzt geschrumpft. In letzter Zeit kommen immer mehr Kunden, die selbst gekündigt haben.

Als er kam, war die Krise schon da: Franz Zwingmann, hier bei einem Vermittlungsgespräch, arbeitet seit zweieinhalb Jahren für die Arbeitsagentur. Seine Kundenkartei ist zuletzt geschrumpft. In letzter Zeit kommen immer mehr Kunden, die selbst gekündigt haben.

(Foto: Stephan Rumpf)

Manche seiner Kollegen setzen auf Pflanzen, sie empfangen ihre Kunden in einem kleinen Gewächshaus. Zwingmann sitzt im Erdgeschoss, ansonsten ist er ein Mann der Berge. An der Wand hängen Aquarelle, die ein Freund gemalt hat: Hirsch, Reh und anderes Getier in alpiner Kulisse. Es ist früher Abend, ein ganz normaler Vermittlungstag liegt hinter ihm, acht Gespräche, acht Mal der Versuch, Arbeitssuchenden zu helfen.

Seit zweieinhalb Jahren arbeitet Zwingmann, 34, für die Arbeitsagentur München. Und er hat in dieser Zeit einiges erlebt. Als er kam, war die Krise schon da. "Ich habe viele Tränen gesehen in der Zeit." Besonders hart war ein Außeneinsatz an der Grenze zwischen Nürnberg und Fürth im vergangenen Jahr. Zwingmann gehörte zu der Spezialeinsatzgruppe, die tausende Mitarbeiter des pleite gegangenen Quelle-Imperiums empfangen musste, nachdem sie ihre Stelle verloren hatten.

Inzwischen hat sich die Lage aufgehellt. Fast täglich sind Schlagzeilen zu lesen wie "Boom am Arbeitsmarkt" oder "Deutsche Firmen in Feierlaune". Auch für Franz Zwingmann hat sich das Klima geändert, zumindest teilweise. "Für diejenigen, die erstmals herkommen, ist es immer eine Extremsituation, ob gerade Krise ist oder nicht", erzählt er. "Aber bei vielen Kunden relativiert sich die Lage seit einigen Monaten schneller. Und egal welche Couleur von Arbeitssuchenden: Sie alle nehmen die Stimmung aus der Tagespresse auf."

An diesem Dienstag kommt die neue Statistik. "Der positive Trend der vergangenen Monate hat sich auch bei den Novemberdaten fortgesetzt", verrät Zwingmanns Chef Bernd Becking schon vorab. Der Vorsitzende der Geschäftsführung der Arbeitsagentur München empfängt ganz oben im fünften Stock zum Gespräch.

Noch im Januar dieses Jahres hatte er prognostiziert: "Die nächsten drei Monate werden hart." Ein erfreulicher Irrtum, seit Februar sanken die Arbeitslosenzahlen konstant. "Auch alle Auguren waren überrascht, dass es so schnell bergauf gegangen ist", sagt Becking nun. Er hat ein Bündel an Zetteln voller Zahlen mitgebracht.

Im Monat Oktober waren in seinem Bezirk, zu dem auch die Landkreise München, Dachau, Ebersberg, Fürstenfeldbruck und Starnberg gehören, 52704 Menschen arbeitslos gemeldet, in der Stadt München 38926. Die Arbeitslosenquote betrug im Bezirk 4,3 Prozent, in der Stadt München 5,2 Prozent. "Gegenüber dem Vorjahresmonat ist das ein Minus von 11,4 Prozent", sagt Becking. "Das ist im Vergleich mit anderen Großstädten wie Düsseldorf oder Berlin der stärkste Rückgang."

Er spricht in gesetztem Tempo und betont seine Worte sehr akkurat. Zugleich durchschneiden seine Arme immerfort in weit ausholenden Bewegungen die Luft - als wäre er ein Dirigent und müsste all die Zahlen, die er herumschwirren lässt, in schöner Ordnung halten. Besonders wichtig ist ihm zu betonen, "dass von der dynamischen Entwicklung auch die Menschen profitieren, die mit Hartz IV leben. Das ist keine Selbstverständlichkeit."

"Die erste Rettungsboje"

Die Zahl dieser Langzeitarbeitslosen, die von Arbeitsagentur und Stadt gemeinsam in den Jobcentern betreut werden, ist binnen Jahresfrist um 6,8 Prozent gesunken - auch das ein Spitzenwert in Deutschland, wie Becking anmerkt. "Am deutlichsten steigt die Nachfrage im produzierenden Gewerbe, besonders in der Autobranche, und bei der Zeitarbeit."

Arbeitsagentur München: Trutzburg mit langen bedrückenden Gängen: Die Architektur des Baus an der Kapuzinerstraße drückt zusätzlich auf die Stimmung.

Trutzburg mit langen bedrückenden Gängen: Die Architektur des Baus an der Kapuzinerstraße drückt zusätzlich auf die Stimmung.

(Foto: Stephan Rumpf)

Wenn man über die vielen langen Gänge dieser Trutzburg an der Kapuzinerstraße geht und Wartende anspricht, ist von Aufbruchstimmung allerdings wenig zu merken. Fast alle sitzen in sich gekehrt auf Metallbänken, die man aus U-Bahn-Stationen wiederzuerkennen meint. Die meisten wollen nicht reden. Eine Frau entschuldigt sich, sie sei aufgeregt vor ihrem Gespräch. Ein Mann schüttelt abwehrend den Kopf.

Viele Menschen machen ihre Arbeitslosigkeit mit sich selbst aus. Die Angst, aus der Mitte an den Rand der Gesellschaft zu rücken, macht stumm. "Die Leute verschweigen in ihrem persönlichen Umfeld, dass sie ihren Job verloren haben. Für die sind wir die erste Rettungsboje, die sie erreichen", erzählt Franz Zwingmann.

Klaus Papke ist bereit, ein bisschen zu erzählen - aber nur, wenn sein richtiger Name nicht in der Zeitung steht. Er ist Diplom-Ingenieur und verlor seine Stelle im Sommer 2009, als seine Firma in Neubiberg die Fertigung dichtmachte. Ein Jahr war er in einer Transfergesellschaft, seit dem 1.Juli ist er arbeitslos. 80 Bewerbungen hat er verschickt, ein Vorstellungsgespräch sprang dabei heraus, diese Woche folgt das zweite, in Hamburg.

Papke wohnt in Germering. Er würde die Pendelei in Kauf nehmen. Der Jobboom geht bisher an ihm vorbei. "Mir ist bewusst, wie die Realitäten sind. Meine Chancen sind verschwindend gering." Papke ist 60 Jahre alt. "Ich fühle mich fit, habe keinen Stock. Ich möchte gern noch ein paar Jahre arbeiten. Sonst lässt der Körper zu schnell nach."

Seine Sätze sind frei von Frust. Er ist in einer verhältnismäßig komfortablen Lage, weil er keine Angst vor der Armut hat. In seinem Alter hat er zwei Jahre Anspruch auf Arbeitslosengeld, Jüngere rutschen schon noch nach einem Jahr in Hartz IV. Und nach den zwei Jahren "wären es nur noch ein paar Monate, bis ich 63 bin und Rente bekomme, mit 7,4 Prozent Abschlag".

Franz Zwingmann kennt diese Fälle. "Wir haben noch sehr zu kämpfen mit Arbeitnehmern, die 50 Jahre oder älter sind", berichtet er. "Wenn die zum Beispiel 30 Jahre bei einem Dax-Unternehmen gut verdient haben, möchten sie nicht wieder unten anfangen. Müssen sie auch nicht."

Teure Umschulung für die letzten Berufsjahre?

Aber die Agentur müsse sich oft die Frage stellen, ob es gerechtfertigt sei, einen solchen Arbeitssuchenden mit einer 10.000 Euro teuren Umschulung auf seine letzten drei, vier Berufsjahre vorzubereiten - oder ob man das Geld besser an anderer Stelle ausgebe. Für solche Überlegungen hat Zwingmann in Zeiten des Aufschwungs etwas mehr Zeit. Sein Kundenstamm ist von etwa 300 auf 260 geschrumpft.

"Letztes Jahr hatten wir viele absolut marktfähige Kunden, so viele haben wir noch nie erlebt. Da waren Top-Leute, BWLer mit Schwerpunkt Controlling, monatelang arbeitslos. Im Moment sind die total leicht zu vermitteln, für 60000 bis 65000 Euro Jahresgehalt und mehr." Und wer sitzt dann noch bei ihm? Da muss Zwingmann grübeln. "Na ja." Pause. "Wie sagt man das jetzt?" Pause. "Das sind eben oft Kunden mit größerem Qualifizierungs- oder Förderungsbedarf."

Aber es gibt auch noch eine andere Entwicklung, die ihm im Moment Arbeit beschert. "Wir merken, dass die Fluktuation steigt. Arbeitnehmer, die sich in der Krise an ihren Platz geklammert haben, marschieren jetzt los und suchen sich was Neues." 15.000 Menschen haben sich in diesem Oktober arbeitslos gemeldet, zu Höchstzeiten waren es um die 17.000.

Christa Fröschl - auch sie verschweigt ihren wahren Namen - ist so eine. Die 53-jährige Sozialarbeiterin ist zum ersten Mal hier. Sie hat gekündigt, "weil die Arbeitsbedingungen untragbar waren", wohl wissend, dass auch bei ihr das Alter ein "Vermittlungshindernis" sei, wie sie sagt. "Aber ich bin flexibel und bringe viel Eigeninitiative mit." Und so ist sie guter Dinge, nicht wiederkommen zu müssen. Ob es freilich noch lang so weitergeht mit den Jubelmeldungen, da hat Fröschl so ihre Zweifel.

Bernd Becking sieht hingegen momentan keinen Grund zur Skepsis. "Im Moment haben wir klare Indikatoren, dass der Aufschwung anhält. Die Betriebe melden Monat für Monat mehr offene Stellen", sagt der Chef der Münchner Arbeitsagentur. Und er hält es für "denkbar, dass wir im nächsten Jahr auf unter 50000 Arbeitslose kommen, also auf eine Quote von unter vier Prozent im Gesamtbezirk. Auch für die Stadt München ist viel Optimismus angesagt: Unter fünf Prozent sollten realistisch sein."

Für ihn selbst bedeutet das allerdings, dass er seine Mannschaft verkleinern muss. Es ist zwar noch viel zu tun, aber eben nicht mehr ganz so viel wie vor einem Jahr. "Wir sind eine Versicherung und als solche den Shareholdern, also in unserem Fall den Beitragszahlern, Rechenschaft schuldig", erklärt Becking. "Wir können bei vier Millionen Arbeitslosen nicht mit demselben Personal arbeiten wie bei drei Millionen und weniger. Wir fahren jetzt das runter, was wir in der Krise mehr bekommen haben.

Die Arbeitsagentur arbeitet inzwischen viel mit befristeten Verträgen. Genaue Zahlen will Becking nicht nennen. "Aber wir haben für die Masse der Leute eine Perspektive." Zum Beispiel will er die Beratung der Langzeitarbeitslosen in den Jobcentern verstärken. Hier und da kann es aber schon passieren, dass Arbeitsvermittler sich selbst plötzlich arbeitslos melden müssen - wegen des Aufschwungs.

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