Arabische Filmwoche München:Eine Nacktszene als "Elektroschock"

Kino als Fiktion und Kritik: Ein Gespräch mit dem Regisseur Nadir Moknèche über Filme in Fernost und die Rolle der Frauen.

Susanne Popp

Er ist in Paris geboren, in Algier aufgewachsen und hat in London, Italien und New York studiert: Der algerische Regisseur Nadir Moknèche lebt als Kosmopolit zwischen westlichem und islamischem Kulturkreis. Mit seinen Filmen stößt der 44-Jährige bei den Eliten in Algerien auf Widerstand; er zeigt statt traditionellen Rollenbildern junge Frauen auf der Suche nach Geld, Glück und dem Mann fürs Leben. In München ist er mit "Délice Paloma" und "Viva Laldjerie" bei der ersten Arabischen Filmwoche vom 18. bis 24. Juni zu Gast.

Arabische Filmwoche München: Der algerische Regisseur Nadir Moknèche präsentiert seine beiden Filme "Délice Paloma" und "Viva Laldjerie" bei der ersten Arabischen Filmwoche in München.

Der algerische Regisseur Nadir Moknèche präsentiert seine beiden Filme "Délice Paloma" und "Viva Laldjerie" bei der ersten Arabischen Filmwoche in München.

(Foto: Foto: Susanne Popp)

sueddeutsche.de: Sie thematisieren in Ihren Filmen soziale Probleme, aktuelle Konflikte und Migration. Ist es schwierig, kritische Filme in Algerien zu drehen?

Moknèche: Für algerische Regisseure ist es generell nicht einfach, einen Film zu drehen. Denn das Kino baut auf dem Erzählen in Bildern auf, was im Islam eigentlich verboten ist.

sueddeutsche.de: Das müssen sie näher erklären.

Moknèche: Für das algerische Publikum ist vor allem schwer, sich selbst zu sehen, das ist in unserer Kultur nicht angelegt. Zwar kamen in der kolonialen Epoche Abbildungen des menschlichen Körpers auf, allerdings nicht als Individuum sondern als Masse. Darstellungen einer nackten Einzelperson, wie in christlichen Kirchen schon im 12. Jahrhundert üblich, gibt es bei uns nicht.

sueddeutsche.de: Dennoch zeigen Sie in Ihrem Film "Viva Laldjerie" eine Nacktszene.

Moknèche: Das war eine Art Elektroschock: Jemanden zu sehen, der letztendlich er selbst ist, ist in diesem Sinne revolutionär. Denn wenn sich Frauen im klassischen arabischen Kino ausgezogen haben, dann waren das immer Nicht-Muslime. In diesem Punkt wollte ich bewusst eine Schwelle überschreiten.

sueddeutsche.de: Wie hat das Publikum in Algerien reagiert?

Moknèche: Der Film ist 2004 erstmals gezeigt worden und viele Leute haben mich bestärkt und gesagt, es ist wichtig, so etwas jetzt zu machen. Es gab junge Frauen, die auf mich zukamen und gesagt haben: Das bin ich. Zehn Jahre vorher wären die Reaktionen sicherlich negativer gewesen. Heutzutage ist es aber zum Glück auch für die Schauspielerin möglich gewesen, nach Algier zurückzukehren. Dennoch musste ich sie lange zu der Szene überreden.

Warum manche Dinge überall gleich sind

sueddeutsche.de: Hat der Staat diese provozierende Szene einfach hingenommen?

Moknèche: Ich darf mittlerweile in Algerien keine Filme mehr drehen. Deshalb habe ich mich entschlossen, als nächstes eine französisch-marokkanische Geschichte zu erzählen, die in Marokko spielt.

sueddeutsche.de: Sollen ihre Film Sozialkritik sein und auf Probleme aufmerksam machen, oder geht es Ihnen primär um das Geschichten erzählen?

Moknèche: Grundsätzlich beides. Meine Filme sind Fiktion und Sozialkritik zugleich. Deshalb geht es in "Viva Laldjerie" um den verachtetsten Teil der Gesellschaft, eine Tänzerin und eine Prostituierte. Ich wollte zeigen, wie diese Frauen in ihrem Leben kämpfen. Die Tochter denkt nur daran, einen Ehemann zu finden, um ein bourgeoises Leben zu führen. In einer freieren Gesellschaft könnten sie andere Wege finden, in Algerien stellt sich diese Wahl nicht. Es gibt keine Chance auszubrechen, auch wenn wir offiziell kein Kastensystem haben. Sozialer Aufstieg funktioniert meist nur auf illegalen Wegen. Das System selbst ist blockiert.

sueddeutsche.de: Also betrifft diese Problematik prinzipiell beide Geschlechter?

Moknèche: Bei Frauen findet man sie verstärkt, sie können damit aber besser umgehen. Die Männer hingegen sind oft blockiert und haben Schwierigkeiten, sich anzupassen. Das zeigt sich auch, wenn Algerier nach Europa migrieren. Die Frauen im subsaharischen Afrika sind kämpferischer und aktiver als ihre Männer.

sueddeutsche.de: Das ist ein positives Frauenbild - wird die Frau auch in der algerischen Gesellschaft so gesehen?

Moknèche: In Algerien wird genau das an meinen Filmen kritisiert. Denn die Gesellschaft ist zwiegespalten. Die Konservativen würden natürlich auch im Kino traditionelle Frauenbilder vorziehen. Das ist das Bild, das in den Eliten immer noch existiert. Mich selbst langweilt das und ich habe keine Lust, dieses alte Kino zu sehen.

sueddeutsche.de: Was soll das Münchner Publikum aus den gezeigten Filmen mitnehmen?

Moknèche: Vielleicht haben die Zuschauer zunächst eine sehr einfache Sache gelernt: Es gibt auf der Welt nicht so große Differenzen, wie oft gedacht. Und vor allem sollte man keine Differenzen herstellen, wo keine sind.

sueddeutsche.de: Wie waren die Reaktionen der Münchner?

Moknèche: In der Diskussion nach den Filmen hat sich als Erste eine junge Frau gemeldet, die fragte: Was ist an diesem Film nun typisch algerisch? Es ginge doch um Männer und Frauen und die Probleme, die zwischen beiden entstehen. Und das gebe es doch überall.

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