Anwohner-Beschwerden:Wenn die Drogenszene umzieht

Propyläen in München, 2017

Probleme am Pracht-Platz: Die Polizei registriert vermehrt Beschwerden von Anliegern des Königsplatzes.

(Foto: Florian Peljak)
  • Münchens Drogenszene hat sich nach dem Alkoholverbot am Hauptbahnhof ein neues Quartier gesucht: den Königsplatz.
  • Anlieger wie die Staatliche Glyptothek oder die Städtische Berufsschule für Spedition und Touristik klagen über teilweise aggressives Verhalten von Obdachlosen.
  • Politiker und Polizei betonen dabei, die große Mehrheit der Vorfälle werde nicht durch Wohnungslose begangen und fordern auf, zu differenzieren.

Von Stefan Mühleisen, Maxvorstadt

Eine Idee für eine Lösung hat auch Thomas Boisai nicht. Er weiß aber, was er gelöst haben will: "Es muss sicher gestellt sein, dass meine Schülerinnen nicht belästigt werden", sagt der Leiter der städtischen Berufsschule für Spedition und Touristik an der Luisenstraße. Er sagt das jedoch mit zwiespältigen Gefühlen, denn seine Sorge gilt auch den Belästigern: Die hätten keine Bleibe, lägen dort bei Wind, Wetter, Eiseskälte. "Ich habe Mitgefühl mit ihnen; aber es muss etwas passieren, dass meine Schüler unbelästigt in die Schule kommen können."

Es geht in diesem Fall um bis zu zehn Personen, die nach Boisais Beobachtung ein U-Bahn-Abluftgitter nebst der Schule mit Matratzen und Decken als Nachtlager nutzen. Die Männer haben kleine Steinchen nach den Schülerinnen geworfen, diese "angemacht", berichtet der Schulleiter. Er findet das umso bedenklicher, als die Schülerinnen den Geruch von "Rauschgiftkonsum" festgestellt haben wollen. "Mein Anliegen ist eine positive, konstruktive Lösung", sagt er.

Es ist einer von offenbar sich häufenden Vorfällen am Königsplatz. Bei der Polizei und auch beim Bezirksausschuss Maxvorstadt laufen vermehrt Beschwerden über zudringliches Betragen von Wohnungslosen auf. In dem Lokalgremium hatte ein CSU-Mitglied wiederholt ein rigoroses Vorgehen gegen Obdachlose und Bettler im Viertel gefordert - und musste sich dafür harsche Kritik anhören, auch von seiner eigenen Fraktion.

Die Lokalpolitiker zerbrechen sich schon länger den Kopf, wie man mit den Bettelarmen umgehen soll. Der Gremiumsvorsitzende Christian Krimpmann (CSU), selbst ein Polizeibeamter, hält eine "Bekämpfungsstrategie" für den falschen Ansatz. "Wir müssen lösungsorientiert vorgehen." Er will nun eine "Hilfsstrategie" entwickeln, und zwar im Kreis einer großen Gesprächsrunde: Eingeladen werden sollen Vertreter der Berufsschulen an der Luisenstraße und der Polizei sowie Repräsentanten der Museen am Königsplatz und auch von St. Bonifaz, jener Abtei an der Karlstraße, die mit dem Haneberghaus eine Anlaufstelle für mittellose Menschen bietet.

Doch schon jetzt dürfte eine wichtigste Erkenntnis für die Runde feststehen: Die Obdachlosen sind gar nicht das Problem - sondern die Drogenszene. Es mehren sich die Hinweise, dass sich Dealer und Suchtkranke vom Hauptbahnhof hin zum Königsplatz-Umfeld umorientiert haben. Schon im Sommer hatte das Alkoholverbot am zentralen Bahnhof seine Wirkung deutlich entfaltet. Die Trinkerszene hat sich von dort verzogen, auch Kleinkriminelle, Drogendealer und -konsumenten meiden den Bereich. Im August prophezeite der Vorsitzende des Bezirksausschusses Isarvorstadt-Ludwigsvorstadt, Alexander Miklosy (Rosa Liste), indes bereits: Die Vertreibung der Leute werde nichts nutzen. "Sie tauchen dann eben woanders auf", warnte er.

Woanders, dazu zählt nun offenkundig auch der Königsplatz. "Personen, die unter dem Einfluss psychotroper Substanzen stehen", würden dort in jüngster Zeit vermehrt angetroffen, bestätigt ein Sprecher des Polizeipräsidiums. Auf sie beziehe sich der Anstieg des Beschwerdeaufkommens. Und jene von Drogen Berauschten sind es wohl auch, die sich "bisweilen aggressiv gegenüber anderen Personen betragen", wie der Sprecher sagt.

Allerdings nicht nur bisweilen, wie der Direktor der Staatlichen Antikensammlungen und der Glyptothek, Florian Knauß, zu berichten weiß. "Wir haben eine Situation, die man nicht mehr so einfach hinnehmen kann", sagt er. Nach seinen Worten fühlten sich Besucher und Museumspersonal teilweise sogar bedroht. Manche Mitarbeiterinnen seien verängstigt. "Die verschaffen sich aggressiv Zugang zur Toilette", sagt Knauß. Viele von ihnen, so auch seine Beobachtung, seien offensichtlich Drogenkonsumenten und reagierten nicht auf freundliche Hinweise. "Wir wollen die Leute nicht vergrämen. Doch es braucht eine konstruktive Lösung, damit unsere Mitarbeiter und Besucher nicht bedroht werden."

Das Münchner Polizeipräsidium hat eine solche nicht parat - stellt aber klar, dass im Hinblick auf die Sicherheitslage zwischen Suchtkranken und Obdachlosen klar zu differenzieren sei: Einen Anstieg von "durch Personen ohne festen Wohnsitz kausalisierten" Vorfällen sei am Königsplatz nicht zu verzeichnen - auch eine vermehrte Präsenz von Obdachlosen nicht, wobei die große Mehrheit wiederum "definitiv nicht" den Bettlern zuzuordnen sei, die mitunter einen festen Wohnsitz hätten. Es gilt also zu unterscheiden zwischen Wohnungslosen, Besitzlosen, Suchtkranken.

"Man muss da klar trennen", sagt auch Emmanuel Rotter, den alle nur Frater Emmanuel nennen, Benediktinermönch und Leiter der Obdachlosenhilfe in St. Bonifaz. Für ihn steht außer Frage, dass sich die Drogenszene vom Hauptbahnhof ins Viertel um den Königsplatz verlagert. Er hat Dealer vor der Kirche und auch im Innenhof beobachtet; und ihm sind offensichtlich unter Drogeneinfluss Stehende aufgefallen, die im Haneberghaus herumpöbeln. "Die haben mit unserer Stammklientel aus der Obdachlosenszene nichts zu tun", ist er sich sicher.

Daraus resultiert die zweite Erkenntnis für die Gesprächsrunde unter der Ägide der lokalen CSU: Eine einfache "Hilfsstrategie" wird sich nicht entwickeln lassen. Zwar sind Obdachlose mitunter auch alkoholkrank, doch benötigen sie anders gelagerte Hilfen als Abhängige von harten Drogen oder auch Bettler. Letztere, auch solche die durch "aggressives Betteln" von manchen als störend empfunden werden mögen, sind verarmte Menschen, oft aus Osteuropa, die aus existenzieller Not nach München kommen, wie Hilfsorganisationen zu betonen nicht müde werden. "Man müsste die Armut im Heimatland bekämpfen", sagt Rotter. Und die Drogenhändler. Dennoch hält er die Gesprächsrunde für eine gute Idee: "Es ist", sagt er, "eine Gelegenheit, genau zu differenzieren."

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